laut.de-Kritik
Tokio Hotel spielen U2 und Duran Duran an die Wand.
Review von Giuliano BenassiIn einer idealen Welt gäbe es weder Krieg noch Hunger noch schädliche CO2-Emissionen. Wir wären alle dick, erfüllt von Nächstenliebe und würden Fahrrad fahren. Wälder statt Wüsten, Solarzellen statt Atom, Pflugscharen statt Schwerter. Hehre Ziele, gewiss, leider sieht es um uns herum aber ein bisschen anders aus.
Weshalb uns Hilfsorganisationen und Promis immer wieder an das Leiden unserer Mitmenschen erinnern. Etwa an das in der westsudanesischen Region Darfur, wo nach Angaben der UNO in den letzten vier Jahren mehr als 200.000 Personen durch Massaker und Vertreibungen gestorben sind. Über 2.500.000 sind in angrenzende, schwer zugängliche Gebiete geflüchtet.
Für manchen ist es ein Glück, dass kein Mangel an Völkermorden und Naturkatastrophen herrscht, weil die guten Menschen so ihre Residenzen und Limousinen verlassen und uns erklären dürfen, wie wir uns verhalten sollen. Wobei "wir" ja nichts Falsches tun, so lange wir zuhören, Unterschriften leisten und Platten wie diese kaufen, deren Einnahmen an eine Wohltätigkeitsorganisation gehen – in diesem Fall an Amnesty International. Es sind immer die "anderen", also Politiker und Psychopathen, die unfassbare Gräueltaten verantworten, denen der Aufschrei gilt. "Wir" singen ein paar Lieder, spenden ein bisschen Geld, besuchen thematische Großveranstaltungen. "Ihr" löst alle Probleme dieser Welt.
Natürlich brauchen die guten Menschen eine Galionsfigur, die ihre Bemühungen symbolisiert. Nelson Mandela ist in die Jahre gekommen, Che Guevara abgenutzt und politisch inkorrekt, wer bleibt übrig? Ach ja, dieser Typ mit der runden Brille, der von der CIA beobachtet wurde und eine Zeit lang gegen den Vietnam-Krieg wetterte. Außerdem hat er ja ein paar nette Lieder geschrieben, die jeder kennt. Es dürfte nicht allzu schwer sein, ein paar davon neu aufzunehmen, oder?
Zu Beginn von "Make Some Noise"" könnte man fast meinen, John Lennon sei ein Schlagersänger gewesen. "Instant Karma" ist in der Originalversion ein ziemlich schräges Stück, bei dem sich der Ex-Beatle von seiner kreischenden Seite zeigt. U2 machen ein Kinderlied daraus, genauso wie R.E.M., die "#9 Dream" zu Geträller verkommen lassen.
Eine erstaunlich gute Interpretation bietet dagegen Christina Aguilera, die auf derselben instrumentalen Basis wie Lennon zu singen scheint. Zwar ist die Trostlosigkeit ihres "Mother" nicht so intensiv, aber immerhin vorhanden. So lustig wie ungewohnt fällt die Reggae-Version von "Give Peace A Chance" von Aerosmith mit den Sierra Leone's Refugee All Stars aus. Lenny Kravitz spielt wie schon seit zwanzig Jahren das Gleiche, The Cure verhunzen das einfache und dadurch aussagekräftige "Love" mit Echos, E-Gitarren und einen wummernden Bass.
Auch im weiteren Verlauf der ersten CD wechseln sich (wenige) gute Momente mit (zu vielen) belanglosen ab. In die erste Kategorie gehören Corinne Bailey Raes live eingespieltes "I'm Losing You" und Jackson Brownes originaltreues "Oh, My Love". In die zweite fallen die Promi-Sohn-Zusammenarbeit "Gimme Some Truth" und das ikonische "Imagine", dem Avril Lavigne nur die banale, wörtliche Ebene abgewinnt. Das kriegt Jack Johnson auf der zweiten Scheibe deutlich besser hin.
Die sowieso weniger mit großen Namen als mit interessantem Material aufwartet. "Working Class Hero" enthält die wohl dümmste Zeile Lennons ("if you want to be a hero, well just follow me"), ist ansonsten von Green Day mit Mut zur Gitarren gut interpretiert. Auch die Black Eyed Peas legen sich ins Zeug und setzen "Instant Karma" mit einem wuchtigen Rums um.
Ben Harper übertrifft mit "Beautiful Boy" als einziger die Originalversion, wobei ihm die Flaming Lips mit "(Just Like) Starting Over" dicht folgen. The Postal Service untermalen das obskure "Grow Old With Me" mit minimalistischen Elektronik-Klängen, Jack's Mannequin hauchen "God" eine existentialistische Verzweiflung ein.
Für die größte Überraschung sorgen aber Tokio Hotel, die sich zwar an der letzten von insgesamt drei "Instant Karma"-Versionen abmühen müssen, U2 und Duran Duran aber an die Wand spielen. Regina Spektor sorgt mit ihrer hohen, ruhigen Stimme für ein versöhnliches Ende.
Trotz des wohl gemeinten Engagements: In einer idealen Welt gäbe es weder Bono noch Bob Geldof noch all ihre Kollegen mit ihrem Gesülze. Die Welt wird durch ihren Einsatz nicht besser. Oder hat sich etwas in Äthiopien getan, Herr Live Aid? Immerhin unterhält das Land die modernste Armee Afrikas - ausnahmsweise mal kein weg geschmissenes Geld, da sie oft genug zum Einsatz kommt. Was ist aus New Orleans geworden, all ihr engagierten Instrumentenversteigerer? Die Stadt versinkt in Müll, Kriminalität und Behördenunfähigkeit. Trällert eure Poplieder und sorgt für die üblichen Promiskandale, anstatt den Leuten mit eurem pseudoguten Gewissen ein schlechtes zu machen. Das ist der sinnvollste Beitrag, den ihr in dieser, der realen Welt, leisten könnt.
21 Kommentare
trotz cure-diss, hammer-text
Aufgrund dieses Textes werde ich die CD mal probehören gehen. Jack Johnson und Jack's Mannequin sind Bands von denen ich gute Sachen erwartet habe, aber das The Cure und Tokio Hotel so überraschen (die einen im negativen, die anderen im positiven Sinne) ist dann doch etwas unerwartet.
Und der Text ist wirklich genial geschrieben. Nach dem Interview mit dem Bad Religion Frontman und einem überaus faszinierend Artikel im Spiegel (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,15…), hat sich meine Meinung zu der ganzen Live-Aid Kiste sowieso sehr gedreht!
Der letzte Abschnitt der Review grenzt an Perfektion!1A!!!
Ich geb den Leuten und der Rezension vollkommen recht. Diese ganzen Medien Gutmenschen sind nicht besser als irgendwelche anderen. Bono trägt wahrscheinlich auch irgendwelche Klamotten, die Kinder in Südostasien geschneidert haben oder. Auch dieses Live Earth...da sollen alle Künstler, die das ganze jahr über mit bus und privatjet unterwegs sind umweltfreundlich zu diesem Konzert kommen. Könnt ihr euch vorstellen, dass Snoop Dogg sich einen großen Kopf um die Klimaerwärmung macht??Alles Heuchler, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass alle diese Künstler so naiv sind und denken, sie machen ein bisschen musik und die welt wird zum paradies mit friede, freude,eierkuchen...man will einfach nur das image en bisschen aufpolieren!
mm.... naja naja naja tokio hotel spielen u2 an die wand wenn die bild zeitung eine musikzeitschrift wäre, dann wäre das bestimmt eine tolle headline...bei allem "wir hassen u2 getue" Bono hat immer noch eine der besten stimmen der populären musik und der sänger von tokio hotel englischprobleme.also es gibt keine wand auf dieser welt an die tokio hotel u2 spielen könnten und meiner meinung nach ist die flaming lips version von just like starting over das einzig gute lied