laut.de-Kritik
Großflächige Hommage an die Wunderkind-Popstars der 80er.
Review von Michael SchuhVor 21 Jahren erschien "Laughing Stock", das letzte Album der Synthpop-turned-Avantgarde-Band Talk Talk. Vor allem aufgrund dieses Albums und des 1988er Vorgängers "Spirit Of Eden" sprechen Musik-Fans heute in den höchsten Tönen von der britischen Band um den weltabgewandten Sonderling, Sänger und Chef-Songwriter Mark Hollis.
Obwohl Bands wie Radiohead oder Notwist in der Folgezeit stets auf die Briten als Inspirationsquelle verwiesen, bleibt ihr Bekanntheitsgrad bis heute einem relativ exklusiven Zirkel vorbehalten. Spricht man überhaupt mal von Talk Talk, dann meistens von Hitsingles wie "Such A Shame" oder dem von No Doubt gecoverten "It's My Life", die eher dem Anfang ihrer Karriere zugeordnet werden müssen.
Mit "The Spirit Of Talk Talk" liegt nun erstmals eine ausführliche Hommage an die wegweisende Band vor: Auf zwei CDs fanden sich Künstler zusammen, um aus dem vielgestaltigen Oeuvre unter der Leitung von Langzeit-Fan Alan Wilder einzelne Songs heraus zu picken. Soweit zum musikalischen Teil des Projekts.
Da Talk Talk aus genannten Gründen ein Hardcore-Thema sind, das in all den Jahren ebensolche Fangruppen gebar, steht auch ein 200-seitiges Coffee Table-Buch zum Verkauf. Inhalt: Illustrationen des damaligen Artwork-Designers James Marsh, Interviews mit Weggefährten und eine ausführliche Bandhistorie, wie es sie bislang nicht gab. Für das Buch schuf man zwei Editionen, die normale kostet etwa 50 Euro, die von Marsh signierte Deluxe Edition, die auch drei seiner Cover-Kunstdrucke enthält, 180 Euro (ist bereits vergriffen). Zudem existiert eine Webseite und ein eigener Facebook-Account.
In "The Spirit Of Talk Talk" steckt also fraglos viel Liebe und Aufwand, doch selbst das hat nicht ausgereicht, um zumindest eines der Bandmitglieder von Talk Talk nach 21 Jahren zur Unterstützung eines solchen Projekts oder wenigstens zu einem öffentlichen Kommentar zu bewegen.
Es ist eine etwas bösartige Unterstellung, aber vielleicht wäre der Eremit Hollis ja aus der Versenkung erschienen, wenn ein paar namhaftere Künstler verpflichtet worden wären. Sowohl die erwähnten Radiohead, eine PJ Harvey oder auch Arcade Fire hätten der Intention der Compilation, mehr Menschen neugierig auf Talk Talk zu machen, einen Bärendienst erwiesen.
Von letztgenannter Band aus Montreal konnte immerhin Richard Reed Parry verpflichtet werden, der sich an dem "Spirit Of Eden"-Übertrack "I Believe In You" versucht und seinen Respekt in einer sanften wie unspektakulären Piano-Ode samt Engelschören zum Ausdruck bringt. Bon Iver-Drummer S. Carey findet im direkten Vergleich eine betörendere Herangehensweise und ringt dem Song seine Klasse ab, die sich vor allem in einem ausgefeilten Arrangement widerspiegelt.
Es liegt in der Natur der Sache, dass bei dieser Fülle an Neu-Interpretationen nicht alles überzeugend gerät. Hinzu kommt erschwerend, dass es für jede Band eine enorme Herausforderung darstellt, einen Talk Talk-Song zu covern, gelten deren Originale doch meist als in Stein gemeißelte Ewigkeitswerke.
Dennoch findet Lone Wolf einen erhabenen Zugang zum waidwunden "Wealth" (ebenfalls von "Spirit Of Eden"), Joan As Police Woman bezaubert in "Myrrhman" und King Creosote verwandelt die Pop-Nummer "Give It Up" lässig in eine Folk-Nummer mit Akkordeon.
Allen Versionen ist entweder eine intelligente Interpretationsidee oder eine außergewöhnliche Stimme gegeben, bestenfalls beides, denn nur so ist das Fehlen der außergewöhnlichen Stimme Hollis' zu verkraften. Das Jazz-Trio um Matthias Vogt hat in diesem Punkt wenig Sorgen und lässt "April 5th" so luftig hochleben, dass er schon wie ein Standard-Klassiker daher kommt.
Initiator Alan Wilder, von 1982 bis 1995 Studiofuchs bei Depeche Mode, wagt sich mit Gastsängerin Shara Worden an "Dum Dum Girl" und türmt die für sein Projekt Recoil typischen Klangkaskaden auf, während er für das triphoppige "Inheritance" Linton Kwesi Johnson als Storyteller gewinnt.
Oftmals verharren die Coverversionen jedoch im devoten Danke-dass-ich-hier-dabei-sein-darf-Modus (Duncan Sheik, The Last Dinosaur, White Belt Yellow Tag, White Lies), plätschern belanglos vorbei, wenn sie sich nicht gleich zur Majestätsbeleidigung ("It's My Life", The Tenfivesixty) aufschwingen. Am Ende mischt sich die Freude darüber, dass man sich endlich wieder an Talk Talk erinnert, mit einer leisen Gewissheit, warum Mark Hollis nun schon seit 21 Jahren schweigt. Es war einfach alles gesagt.
6 Kommentare
Ging völlig an mir vorbei, aber danke für den Tipp. Auch wenn die Gästeliste mich nicht gerade anspringt.
Herr Schuh, sie haben vollkommen recht - eine Polly, einen Thom Yorke, evtl. gar einen Gavin Hayes von dredg hätte man nur allzu gern auf neu arrangierten Talk Talk - Stücken erlebt (wobei dredg schon beim Pink Floyd-Tribute keine gute Figur machten, zugegeben).
So bleibt es etwas blass, obwohl ich die zB Arbeiten Wilders bei seinem Recoil-Projekt sehr schätze. Dennoch glaube ich, dass diese Compi ein Ladenhüter bleibt und ich persönlich heute Abend lieber nochmal das Original 'Spirit of Eden' durchlaufen lass...
schön im Text zu erfahren dass ich "Hardcore" bin
stimmt aber, es wäre schön gewesen und dem "Gedenken" an diese großartige Band angemessen, ein paar bekanntere Namen auf dem Album vertreten zu haben
@soulburn-- was ist denn an den cover von Astronomy Domine auszusetzen?
@soulburn-- was ist denn an den cover von Astronomy Domine auszusetzen?
werde mir das teil mal geben. allein schon wegen zelienople (!!!) und peter broderick. generell: wer talk talk mag, der wird zelienople.. äh, lieben. und so. wunderschöner, geisterhafter ambient drone. mit vocals. https://www.youtube.com/watch?v=RPswDkAchkQ
schöne und sicherlich auch richtige Kritik . im Vorfeld wurden noch einige "größere" Namen, wie Chris Walla, Elbow oder Antony gehandelt, aber dennoch gibt es viele Sachen zu endecken und mehr als die Hälfte sind sicherlich keine Unbekannten . dass die Originale nahezu unantastbar sind ist sicherlich auch den Künstlern klar, dennoch finde ich besonders mutige Neuinterpretationen, wie Recoils Arbeiten oder z.B. die Version von "Chameleon Day" wunderbar . also ich als Talk Talk Fan bin froh, dass es zu keiner Zusammenstellung von No Doubt- und Sandra-Versionen gekommen ist, dass man sich überhaupt eher dem Spätwerkt widmete und dass ich ein wundervolles - natürlich limitiertes - Buch zu Hause stehen habe, dass es in dieser Form von kaum einer anderen Band gibt.