17. März 2017

"Ich will gar nicht jedermanns Sache sein"

Interview geführt von

Ende März veröffentlicht Veedel Kaztro, halb Mensch, halb Kater und Aushängeschild der Sektor West Büdchengang, den dritten Teil seiner "Büdchen Tape"-Reihe. Der Kölsche Kiosk bleibt darauf nach wie vor präsent, thematisch und technisch ist aber eine klare Weiterentwicklung erkennbar. Das sieht Veedel offenbar genauso.

Veedel Kaztro befindet sich ausnahmsweise nicht mit "Kölsch, Kippe, Lederjacke" in der geliebten Heimat, sondern zwecks Album-Promo in der Hauptstadt. Auf dem Sprung zum Mittagessen klingelt er durch und nimmt sich trotzdem ausgiebig Zeit, um ungebremst und freimütig über sein neues Album, Politik, Humor, Literatur und mehr zu sprechen.

Du hast gerade schon ein paar Promotage hinter dir, richtig?

Ja, genau. Gestern in Berlin, vorgestern in Hamburg, da war ich zum Beispiel bei DJ Mad. Morgen fliege ich nach Basel, da haben wir einen Auftritt auf der Release-Party von Funky Notes und Meister Lampe. Im Mai gehen wir dann mit Enoq auf Tour, das ist ein Rapper aus Berlin, den ich auch erst vor Kurzem kennengelernt habe. Ich glaube, das ist eine gute Kombi, weil wir vom Vibe und der Thematik her ziemlich ähnlich sind. Beim letzten Album war die Promo nicht so ausgiebig ... ist aber auf jeden Fall super, meine Mukke auch ein bisschen kommentieren zu können.

In Videointerviews von dir hat man eher das Gefühl, dass du nicht so gerne über dich und deine Musik sprichst.

Jaaa, das letzte ist ja schon relativ lange her. Aber da ist auch Routine reingekommen. Je öfter man das macht, desto einfacher wirds. Ich bin da ein bisschen schüchtern, würd' ich sagen. Aber trotzdem will ich ja, dass die Leute die Sachen hören, und geb' jetzt halt auch meinen Senf dazu.

Warst du trotz Promo auf dem Kölner Karneval oder ist das nicht dein Ding?

Doch, das ist schon mein Ding. Ich hab' ja auch einen Karnevalssong geschrieben, um das mal auszuprobieren. War auch ganz lustig. Der ist ähnlich wie meine Mukke sonst, von der Thematik her, so ein bisschen kritisch, aber halt auf Kölsch. Das war, wie gesagt, ein Experiment, so aus Spaß an der Freude. Gefeiert hab' ich auf jeden Fall auch, ich bin halt damit aufgewachsen. Wenn man hier in Berlin davon spricht, sind die Leute immer abgeturnt. Die denken, dass es nur ums Saufen geht und dass Verkleiden eh scheiße ist, aber du hast halt relativ viele Facetten. Das ist nicht nur Ballermann-Shit. Den gibt es zwar auch, aber so in den kleinen Eckkneipen ist das ganz charmant. Da bin ich auf jeden Fall Fan von.

Hast du darüber nachgedacht, mal woanders zu wohnen?

Wegzuziehen? Nee. Also, ich hatte mal überlegt, nach Leipzig zu gehen und Literarisches Schreiben zu studieren, weil mich das interessiert. Aber das hab' ich dann verworfen. Ich hab' immer relativ schnell Heimweh. Mein komplettes Leben ist hier, alle meine Freunde, ein Teil meiner Familie ... Ich hätte schon Interesse daran, mal für längere Zeit in einer anderen Stadt zu leben, ein paar Monate oder ein Jahr, aber ich bin hier halt fest verwurzelt. Erst mal werde ich auf jeden Fall hier wohnen bleiben. Vielleicht auch für immer.

Letztes Jahr hast du gar kein Soloprojekt veröffentlicht. Hängt das mit deinen Jobs und dem Studium zusammen?

Ja, das könnte auch ein Grund sein. Zeitmangel auf jeden Fall, aber ich war ja das ganze Jahr über nicht untätig. Ich habe produziert und geschrieben und es ist immer was passiert, nur eben nichts rausgekommen. Ich habe vor einem Jahr angefangen, Klavier zu spielen und mache das auch ziemlich viel, im Idealfall jeden Tag ein paar Stunden. 2015 hat sich ein Kumpel von mir umgebracht, da war ich auch erst mal abgeturnt und depri. Also, teilweise war es eine scheiß Zeit. Das hat auch dazu beigetragen, dass ich ein paar Sachen stehenlassen habe. Wenn man in einem Jahr nichts rausbringt, ist das für die Leute schon eine lange Zeit, habe ich den Eindruck. Aber ich glaube, das hat dem Album gut getan. Ich habe lange an den Texten gefeilt und alles ist genau so, wie ich es haben wollte. Ich glaube, wenn die Leute das hören, dann werden sie diese Pause auf jeden Fall schnell vergessen.

"Eigentlich will ich ein conscious Typ sein"

Kannst du egal wann, wo und in welchem Zustand schreiben?

Ich hab' letztens ein Buch übers Schreiben gelesen. Darin steht zum Beispiel, dass man diesen kreativen Zustand - das wird da als Genie oder so bezeichnet, das in jedem Menschen unterbewusst vorhanden ist - quasi kitzeln kann. Klingt jetzt ein bisschen abstrakt, aber ich hab' festgestellt, dass das tatsächlich ein bisschen funktioniert. Das ist meine Anekdote dazu. (Lacht) Ich brauch' auf jeden Fall Ruhe, aber ich mach' es auch ganz oft so, dass ich, keine Ahnung, zum Beispiel in der Bahn sitze und mir Notizen ins Handy mache. Irgendwann hat man dann genug, dass man die zusammenfügen kann. Das ist ganz geil, weil da irgendwie Dynamik drin ist, der Text ist an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Bildern vor Augen entstanden.

Was geht dir leichter von der Hand: Parts für Kollabos oder für eigene Songs?

Bei Gastbeiträgen habe ich den Anspruch, dass ich auf jeden Fall richtig abliefern will. Das ist für mich auch einfach Rap-Shit. Wenn man auf einem Track im direkten Vergleich zu einem steht, will man einfach krass sein. Ich streng' mich da auf jeden Fall immer sehr an, das ist schon eine ganz andere Herangehensweise und ein anderes Gefühl. Vielleicht trotzdem auch ein bisschen entspannter, weil das in einem anderen Kontext steht und man sich auf seinen Partner oder seine Partnerin einlässt. Nichts ist leichter oder schwerer als das andere, aber es ist nice, das abwechselnd zu machen.

Apropos Partner: Betrachtest du "Bei Dir" als klassischen Liebestrack?

Schon. Der ist auf jeden Fall meinem Mädchen gewidmet. Im Endeffekt ist es eine Danksagung, es geht ja auch um Drogen-Shit und Runterkommen. Da war sie sehr oft für mich da. Ich wüsste nicht, wie ich das ohne sie überstanden hätte. Ich hoffe, dass ich irgendwann auch davon loskomme, eigentlich hab' ich da gar kein Bock drauf. Also das ist nicht problematisch, aber ab und zu kommt es noch vor. Ich bin jetzt 27. Man wird ja auch älter. Ich glaube, irgendwann gibt sich das sowieso, dann wirds ruhiger. Ich will auch eigentlich ein conscious Typ sein. Ich achte auf meine Ernährung und versuche, mich fit zu halten. Da ist es ja ziemlich dämlich, halt inkonsequent, wenn man sich auf der einen Seite verbessern will, auf der anderen Seite so ein Scheiß. Aber auf jeden Fall ist das ein Liebestrack und eine Danksagung an mein Mädchen.

Zu welchem Track hast du ansonsten die persönlichste Beziehung?

Ich glaube, zu "Stadt Unter Wasser". Da geht es im Endeffekt auch um meinen Homie, der sich umgebracht hat, Johnny hieß der ... und um die Problematik, wie ich auch gerade schon erzählt habe: diese Feierscheiße, dass man so oft den Kopf woanders hatte und abgelenkt war, und dadurch vielleicht bestimmte Sachen nicht gesehen hat. Ich mache mir keine Vorwürfe oder so, aber es geht in dem Track auch um die Frage, wie das passieren konnte, und keiner kriegt das richtig mit. Das stellt ein bisschen die Gemeinschaft in Frage, wie stark man als Gruppe ist. Aber sonst hab' ich eigentlich zu allen Songs ein persönliches Verhältnis. Ich habe genau das gesagt, was ich sagen wollte, auch meine Gedanken zum Weltgeschehen in den vergangenen Monaten, auch Sachen, die mich ankotzen, wie in "LMS" oder "Angst".

In "LMS 2017" heißt es: "Wem kann man noch glauben, ich frag' mich des auch." Fehlt dir persönlich das Vertrauen in Politik und Medien?

(Überlegt) Ich find' es auf jeden Fall extrem fragwürdig, dass zum Beispiel unter Trump alle Medien unter Generalverdacht stehen, das ist richtiger Bullshit. Ich bin auch davon überzeugt, dass es mega viele manipulative Scheiß-Medien gibt, wo scheiß Bilder vermittelt werden. Ich hab' aber allgemein ein gutes Vertrauen und bin auch überzeugt von den Öffentlich-Rechtlichen. Kabarett zum Beispiel finde ich auf jeden Fall sehr nice, das ist mein Shit. Das sind ja im Endeffekt auch Medienvertreter. Wenn keine kritischen Stimmen mehr geäußert werden können, ist das das Schlimmste, was passieren kann. Es geht auch nicht, dass in den Köpfen der meisten Menschen die vorherrschende Meinung ist, dass ja eh nur gelogen wird und man keinem mehr vertrauen kann. Oder dass Leute an so jüdische Weltverschwörungen glauben: Das wird als Medienkritik verkauft, ist im Endeffekt aber nur Antisemitismus. Komische und gefährliche Zeiten sind das.

Und in Sachen Politik? Hast du dir schon Gedanken gemacht, wen du bei der Bundestagswahl wählst?

Ich wähle auf jeden Fall links, immer. In Politik ist mein Vertrauen ein ganz anderes, wesentlich geringer. Das geht wahrscheinlich vielen Leuten so, deswegen auch diese krasse Politikverdrossenheit. Da kann man tatsächlich davon sprechen, dass Sachen versprochen oder behauptet werden, die im Endeffekt ... da gehts halt viel um die eigene Einflussbewahrung und darum, viele Leute für dumm verkaufen zu wollen. Wenn De Maizière behauptet, Afghanistan wär' safe, und dann munter irgendwelche Leute abschiebt, über sowas könnt' ich mich krass aufregen. Da entscheiden irgendwelche Leute mit – für mich – krass bescheuerten Denkfehlern über das Leben von Menschen und unterzeichnen deren Todesurteil, um das mal ein bisschen reißerisch auszudrücken. Auch dass viel mehr Sicherheitsapparate aufgebaut werden, immer mehr Bullen, keine Ahnung ... Meiner Meinung nach ist das Wichtigste soziale Gerechtigkeit und Solidarität, auch international. Es geht halt gerade sehr viel Gegenteiliges, habe ich den Eindruck, die Leute suchen Feindbilder. Ich bin auf jeden Fall links, davon bin ich überzeugt.

Engagierst du dich in irgendeiner Form politisch?

Mein Leben ist halt ein bisschen unstetig. Wie soll ich sagen? Ich muss noch an mir selbst arbeiten, das Leben irgendwie handeln. Aber zum Beispiel mein großer Bruder und meine große Schwester waren beide aktiv, das fand ich immer sehr beeindruckend. Eigentlich fühle ich mich auch verpflichtet, sowas zu machen, aber ich muss, wie gesagt, erst mal meinen eigenen Shit auf die Reihe kriegen. Ich denke, das wird sich auf jeden Fall ergeben. Ich wäre gewillt, was zu machen. Es wäre halt auch die Frage, was, welcher Organisation man sich anschließt und so weiter. Was ich immer mache, ist viel reden ... (Lacht). Ich denke über Sachen nach und spreche die aus.

"Die Simpsons haben meinen Humor geprägt"

Auf deinem Album gibt es auch eine Zeile, ich weiß sie nicht mehr genau, aus der man schließen kann, dass du viel liest. Hast du ein Lieblingsgenre?

Mein Lieblingsautor ist gerade auf jeden Fall Max Frisch, vor allem "Stiller" und "Homo Faber", aber eigentlich alles von ihm. Davor habe ich Arthur Millers "Death of a Salesman" gelesen. Das sind so Sachen, die können einen nicht kalt lassen. Allgemein habe ich mal versucht, die ganzen Klassiker der Weltliteratur drin zu haben, aber das sind halt relativ viele. Aber das ist auf jeden Fall eine der besten Sachen, die es gibt: Wie Leute sowas erschaffen können, da bin ich richtig von beeindruckt. Das ist große Kunst. Was ich noch sehr empfehlen kann, ist das "Das Versprechen" von Friedrich Dürrenmatt. Eigentlich lese ich alles mögliche. Mein Bruder hat mir zum Beispiel zu Weihnachten ein Buch über Antisemitismus geschenkt, das echt interessant und gut geschrieben war. Ich lese also auch Sachbücher und allgemein einfach so viel wie möglich.

Wovon wurde dein Humor geprägt? Ab und an ist der ja schon ein bisschen speziell.

Auf jeden Fall von den Simpsons, die hab' ich zeit meines Lebens eigentlich immer geguckt. Ich hab' zwar seit ein paar Jahren keinen Fernsehen mehr, aber früher war es safe, jeden Abend, um 18 Uhr war das, glaub' ich, Simpsons zu gucken. Manche Folgen kann ich komplett auswendig mitsprechen. Das hat auf jeden Fall am allermeisten meinen Humor geprägt ... die Ironie und megaviele Verweise auf die Popkultur. Durch Musik hab' ich auch viel Humor gelernt und jetzt gerade, wie gesagt, mag ich Kabarett, also Max Uthoff, Claus von Wagner und Christian Ehring. Die sind halt, ich weiß nicht, galant, charismatisch und sehr intelligent.

Kommen wir noch einmal auf die Musik zurück. Glaubst du, du hast mit dem "Büdchen Tape III" die Chance, aus der Nische rauszukommen?

Das hoffe ich auf jeden Fall. Wie du vorhin gesagt hast: Mein Humor ist ein bisschen speziell und auch nicht jedermanns Sache. Was aber auch gut ist, ich will gar nicht jedermanns Sache sein. Ich glaube, dass jetzt einige Sachen dabei sind, die vielleicht weniger speziell sind, ein bisschen eingängiger. Ich fände es auf jeden Fall wünschenswert. Ich bin lange dabei und es ist das fünfte Vinyl-Album, das ich rausbringe. Ich würde es auf jeden Fall feiern und könnts mir auch vorstellen, weil ich jetzt schon öfter gehört hab', dass im Vergleich zu den letzten Sachen nochmal was passiert ist. Das ist nochmal ein anderes Level.

Ist das Album der bisherige Meilenstein deiner Karriere?

Ich muss sagen, ich kann das schon bejahen. Ich find' das sehr rund, wie gesagt, ich stehe komplett dahinter und es gibt auch nichts, womit ich unzufrieden bin. Aber ich würde auch nochmal auf das letzte Album verweisen, "Fenster Zur Straße", da hab' ich irgendwie so eine komplette Stimmung vermitteln können. Das hör' ich auch immer noch sehr gern, weil mich das halt an diese bestimmte Zeit und bestimmte Umstände erinnert. Liebeskummer und Trauer und so spielen da eine große Rolle. Das würde ich als, ich weiß nicht, ein Album bezeichnen, das meine Person sehr gut beschreibt. Und das jetzige ... auf 'ne ganz andere Art und Weise ist das eigentlich auch so.

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