laut.de-Kritik

Keine Anzeichen von Schwäche: Marco Wanda säuft immer noch.

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"Einer nach dem andern hört zum Rauchen und zum Saufen auf / Und alle gehen sie joggen im Park / Tragischerweise bin ich anders drauf / Mein Glaube ist der Wodka und der Wodka mein Grab." Mittlerweile weiß wohl jeder im deutschsprachigen Formatradioland, dass Frontenigma Marco Wanda den toxikologischen Hobbies dieser Welt nicht abgeneigt ist. Aber was zieht sich da noch in den Opener "Rocking in Wien"? Etwa der Blick auf die nächste Generation oder bisherige Wegbegleiter, die sich dem "Hauptsache zua"-Lebensstil nicht mehr ergeben möchten?

Diese Frage erörtern die Wiener auf ihrem fünften Album in zehn Jahren. Zum Jubiläum drehen sie wieder etwas am Metronom und bringen mehr Tempo und Groove mit. Nach "Ciao!" klingt die Band hier wieder aufgeweckter, ohne die Versatzstücke aus den letzten Alben jedoch ganz in die Donau zu kippen. Man gibt sich etwas orchestrierter und breitbildiger. Wer genau hinhört, entdeckt klangliche Gustostücke - sofern man halt nicht zu sehr beschäftigt ist mit Grölen und Trinken.

Trotzdem sind die Sound-Eckmarken bekanntermaßen vielfältig und nachvollziehbar. Den Eröffnungs-Synthie im Opener könnten sie der EAV gestohlen haben, der Refrain – und vieles andere – gehört noch augenscheinlicher klar dem Hölzel Hans. Gut, Wanda waren immer schon nur eine Rauchpause davon entfernt, zu klingen, als würde Falco die "Born In The USA" einspielen.

Aber die Mischung macht's, auch in Österreich. Fertig wie Ambros, erhaben wie Danzer, augenzwinkernd wie Fendrich. Mit Songs, die drei Minuten lang sind und mit klaren Strukturen. Das Experiment bleibt, wenn überhaupt, in der Ausstaffierung der Rockbandformation in Richtung Orchester, wie auf dem wuchtigen "Va bene", einem Highlight dieser Platte.

Wie gefühlt jedes zweite Album von hallenfüllenden Bands atmet auch bei Wanda der Geist der Achtziger durch jede Note, jede Gitarren-Line, jede Synthie-Wolke. Am besten funktioniert diese Verbindung vermischt mit rauchigem Wiener Schmäh zum Beispiel im funkigen Popjuwel "Eine ganz normale Nacht in Wien". Dasselbe Rezept befolgen auch die Singles "Jurassic Park" und "Die Sterne von Alterlaa". Beide landen zwischen tanzbar und gefälligem Kopfnicken, punktiert mit Marcos Tagebücher-Weisheiten, die auch nach zehn Jahren und fünf Alben immer noch den größten Charme ausüben.

Anders als Falco – koksend im Smoking am metaphorischen Opernball – erschaffen Wanda immer noch ein Bild eines anderen Wiens. Eines, wo der Nino Bürgermeister ist. Wo man mit der U-Bahn in diese Außenbezirke fährt und sich rauft, für eine Dame, ohne Erfolg. Auch noch mit 35. Und danach mit den Freunden im Beisl das Leben wieder ins rechte Licht rückt.

Aber der Zweifel am eigenen Dasein und der Zukunft wächst, da überzeugen auch die "Es kann immer so so so so weitergehen"-Chöre in "Rot ist die Farbe" nicht vom Gegenteil. "Orte an den wir waren" blättert das Fotoalbum nach vergangenen Erinnerungen durch. "Wir sind verloren" schunkelt rumpelnd in den Untergang. Zumindest gemeinsam. "Va bene" kämpft sich im Refrain nochmal auf, nicht ohne vorher klarzumachen, dass man eigentlich gern am Boden liegt: "Man wird ängstlicher / man wird hässlicher / man wird einfacher / man wird lebendiger / und verletzlicher" sprechen Wanda da wohl allen aus der Seele, die nun auch gemeinsam mit der Band älter werden.

Und wenn man dann beim treibenden und späten Highlight "Kein Bauplan" plötzlich die Arctic Monkeys vor 15 Jahren vor Augen hat, kehrt langsam Einsicht ein bei den Wienern. "Und mir kann's eigentlich wuascht sein / Weil es is eigentlich nicht mein Problem." Der Rausschmeißer trieft vor Schnitzelfett und Käsekrainer, die sich die "Eine Gang" am Ende des durchzechten Abends auf dem Nachhauseweg gegen den morgigen moralischen und körperlichen Kater reinzieht. Und schon wieder bekam Marco eine aufs Maul. Aber auch Niederlagen schweißen zusammen. So schraubt sich das Lied immer höher und höher.

Und mitten in Grind und Gloria kommt dann auf einmal die Zeile, die einen Ende September 2022 aufgrund des frühzeitigen Ablebens des Gründungsmitglieds und Keyboarders Christian Hummer wieder auf den kalten, leeren Spitalboden zurückholt: "Nichts was wir tun wird je zur Legende werden / Wir san scho froh wenn wir erst am Ende sterben." Bei allem Pomp, bei allem Schmäh und Exzess, wenn es um Amore geht, treffen Wanda auch nach zehn Jahren noch ins Herz.

Trackliste

  1. 1. Rocking in Wien
  2. 2. Rot ist die Farbe
  3. 3. Orte an denen wir waren
  4. 4. Wir sind verloren
  5. 5. Immer willst du tanzen
  6. 6. Va bene
  7. 7. Eine ganz normale Nacht in Wien
  8. 8. Pilot
  9. 9. Jurassic Park
  10. 10. Die Sterne von Alterlaa
  11. 11. Kein Bauplan
  12. 12. Eine Gang

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10 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

  • Vor einem Jahr

    Im Jahresrückblick und mit nem Konzertbesuch im Hinterkopf: Hits, Hits, Hits!

  • Vor einem Jahr

    Thematisch ganz interessant, wie das ja schon auf dem Debüt präsente Thema Tod sich mit der st gänzlich in den Vordergrund geschoben hat. Klar, wird nicht zuletzt aus traurigerweise gegebenem Anlass passiert sein, aber ich finde es auch als logische Folge des auf den Vorgängern (und natürlich auch wieder hier) zelebrierten Eskapismus schlüssig.

    Joa doch, gefällt mir auch sonst gut. Ein paar schwächere Titel höre ich nach dem tollen ersten Drittel dann aber schon. Sehe es deshalb nicht ganz auf einer Stufe mit Bussi, mit Amore eh nicht.

    Bleibt Ihnen und den anderen Hinterbliebenen viel Kraft für die Bewältigung zu wünschen und dem Verstorbenen Vielen Dank und Alles Gute zu sagen. Waren viele großartige Nummern dabei. Ist mir jetzt glatt mal einen verspäteten Kurzen wert, vielleicht sogar mit "Ich Will Schnaps" im Hintergrund. Prost, Merci und Ciao, Christian Hummer!