6. September 2019

"Wer unsere Platten verreißt, erweist mir einen großen Dienst"

Interview geführt von

"Manchmal tut's so weh weh, ciao ciao baby!" ... Auch wenn uns Wanda auf dem Cover ihres neuen Albums von einem Schiff entgegenwinken, auf dem in fetten Lettern der Albumtitel "Ciao!" prangt: Mit einem Abschied haben wir es hier keineswegs zu tun, wie Marco Michael Wanda betont.

2014 lösten Wanda mit dem Debütalbum "Amore" einen Hype um österreichische Bands aus, den das Land so seit langem nicht mehr gesehen hatte. Wie auch Bilderbuch wurden Wanda schnell zu Liebkindern der deutschen Presse (und des deutschen Publikums). Kein Ende in Sicht: Gerade veröffentlichten Wanda ihr viertes Studioalbum "Ciao!", das die Band in gewohnter Form zeigt.

Als ich das Albumcover in Kombination mit dem Titel "Ciao!" sah war mein erster Gedanke: Wanda lösen sich doch nicht etwa auf, oder?

Marco Michael Wanda: Nein, es gibt keine Bandauflösung. Ich weiß auch gar nicht, warum wir es "Ciao!" genannt haben. Wahrscheinlich, weil wir immer auf der Suche nach einem kurzen Wort sind. "Amore" heißt so, weil das Wort "Amore" auf der Platte vorkam. Bei "Bussi" und "Niente" dasselbe. Bei "Ciao!" weiß ich es wirklich nicht.

"Ciao" heißt ja auf italienisch nicht nur "Tschüss" sondern auch "Hallo".

Genau. Ach, ich habe schon so viel Scheiß darüber geredet. "Ciao!" steht für eine Lebensphase, Abschied oder Begrüßung. Oder dass die Welt von einem Zeitalter ins nächste hinüber geht. In Wirklichkeit ist es einfach nur ein Wort.

Für euer letztes Album "Niente" habt ihr mit "0043" eine Single gewählt, die ganz anders klang als das, was man von euch kannte. "Ciao Baby" hingegen, die erste Single der neuen Platte, ist ja ein typischer, formvollendeter Wanda-Track.

Das kommt darauf an, von welcher Seite man es sieht. Für mich ist "0043" ein typisches Wanda-Lied, weil ich mich die ganze Zeit auf die Suche nach so einer Musik mache. So etwas kann man aber auch nicht jeden Tag schreiben. Deswegen sind solche Stücke auf den Alben eher rar gesät. Nach all den Jahren des Rumschreiens und des Exzesses nehme ich mich zunehmend lieber der leisen Töne an.

Ihr habt das Album mit Paul Gallister aufgenommen – eurem Stammproduzenten. Wie kam es eigentlich damals zu dieser Zusammenarbeit?

Wir haben uns 2012 gegründet – da gab es schon ein paar Demos. Ganz rough, mit der Akustikgitarre und auf dem Handy aufgenommen. Irgendjemand aus der Wiener Musikszene hat das Paul Gallister zugespielt, und er wollte mich treffen. Wir trafen uns in der Schönen Perle im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Er hat mich ausgefragt über das, was ich so mache und wie ich lebe. Ich war damals in einer ziemlich illuminierten Lebensphase. Ziellos dahin treibend, auf einem Meridian an offenen Fragen an mich und mein Leben. Ich habe ihm damals unter anderem sehr offen über meine Exzesse und meine Sucht, mich zu benebeln erzählt. Er kam ziemlich schnell zur Sache. Den Satz werde ich nie vergessen: Er hat mich angeschaut, seinen Kaffee zur Seite geschoben, sich vorgebeugt und gesagt: 'Ich habe mir das jetzt angehört. Willst du Drogen nehmen oder Geld verdienen?'. Das war der Beginn einer bis heute anhaltenden kreativen Freundschaft. Eine Arbeitsbeziehung, die aber auch eine Freundschaft ist.

Die ersten beiden Alben kamen ja schnell hintereinander, waren wie aus einem Guss. Bei den nächsten beiden Longplayern lagen jeweils zwei Jahre dazwischen.

Für mich ist das alles offen. Ich schreibe die ganze Zeit. Für mich sind Alben Liedersammlungen. Wir nehmen auf, was es eben zu erzählen gibt. Von 100, 200 die ich für ein Album schreibe, kommen nur 12 auf eine Platte.

Habt ihr für "Ciao!" auch auf ältere Stücke zurückgegriffen?

Was ich schreibe, gehört zu den wenigen Dingen, die ich besitze. Es umgibt mich die ganze Zeit, auch in Form von hunderten Abspielgeräten und Diktiergeräten in meiner Wohnung. Manchmal, wenn ich nicht weiter weiß, arbeite ich wie William S. Burroughs mit der Cut-Up-Technik. Ich greife mir ein Gerät raus, drücke auf Play, schaue, was ich höre – und wenn es mir gefällt, mache ich da weiter. Ich schöpfe also eigentlich die ganze Zeit aus einer eigenen Bibliothek, die sich ständig erweitert.

Ein fluider Prozess also.

Ja, so kann man es ausdrücken. Es hat keinen Anfang und kein Ende. Man schreibt die ganze Zeit, jeden Tag – und denkt die ganze Zeit daran.

"Ich wollte Lieder schreiben, die etwas bedeuten"

Mit "Amore" habt ihr einen Riesenhype in Österreich ausgelöst, der schnell nach Deutschland überschwappte. Was mich damals fasziniert hat: Dass die Industrie einfach nicht mehr an euch vorbeigekommen ist. Ö3 musste irgendwann sagen: 'Okay, wir machen uns lächerlich, wenn wir das jetzt nicht spielen würden'. Am Schluss haben alle getan, als hätten sie es immer schon gewusst. Wie hast du das erlebt?

Ich war sehr damit beschäftigt, das, was ich tue, so gut wie möglich hinzubekommen. Das hat sich mit dem Hype nicht geändert. Ich wollte Lieder schreiben, die etwas bedeuten und Leute zusammenführen, die sich nicht kennen – das ist der spirituelle Teil meiner Arbeit. Ich habe den Hype zur Kenntnis genommen, aber er hat mich nicht überrollt. Nicht der Hype. Aber ich war irgendwann einfach total erschöpft. Wir haben so viel gespielt wie keine andere Band in so kurzer Zeit. Wir hatten alleine 2014/2015 an die 200 Konzerte. Das hat mich mitgenommen. Und dass mein Geist nie zur Ruhe kam, das forderte irgendwann seinen Tribut in Form von ungefilterter Rauschsucht. Und Abenteuerlust, denn es hatte ja auch positive Momente.

Ich habe es zur Kenntnis genommen – und das klingt jetzt vielleicht vermessen, aber es hat mich nicht überrascht. Ich muss es ehrlich sagen: Der Hype hat mich nicht überrascht. Zumindest intellektuell nicht. Ich habe mir schon ausgemalt, dass diese Lieder wirklich gut sind. Über die Inszenierung kann man streiten. Also darüber, ob man uns einen Gefallen getan hat, wie man uns inszeniert hat – und wir uns selbst. Aber stripped down waren das unglaublich starke Lieder, die mich auch selbst objektiv mitgenommen haben. Musik, die ich auch selbst hören würde. Hätte ich als Rockfan die "Amore" in die Hand bekommen – und ich wäre nicht Marco Michael Wanda – dann hätte ich dieses Ding so lange gespielt, bis es kaputt ist.

Es gab ja auch zahlreiche Epigonen. Bands, die plötzlich auf Wienerisch sangen - oder das, was sie dafür hielten. Nach Wanda und nach Bilderbuch probierten es plötzlich viele Bands und Künstler.

Ich würde die anderen Bands in Österreich, die deutlich jünger sind, auch jünger als wir damals, gar nicht mit uns assoziieren wollen. Die machen schon unterschiedliche Musik. Durch Bands wie Bilderbuch und uns hat man halt einfach die Chance gesehen: Die Tür steht ein bisschen weiter offen, als sie noch zu Ninos Zeiten stand. Der Nino ist ohne Zweifel der Urknall für alles. Er ist der Typ, der Maurice [Bilderbuch-Sänger, Anm.] erklärt hat, wie man in Wien U-Bahn fährt. Die einflussreichste Ikone dieser Bewegung. Mir hat er beigebracht, wie man Lieder auf Deutsch schreibt. Auf diese Idee wäre ich gar nicht gekommen, wenn es den Nino nicht gäbe.

Wie fährt man denn U-Bahn in Wien?

Man steigt ein und aus und hofft auf das Beste.

Du sagst, du bist lange nicht zur Ruhe gekommen. Wann war denn der Moment, als du zum ersten Mal zur Ruhe gekommen bist in all dem Trubel?

Als ich aufgehört habe, so exzessiv zu leben und mich meinem Leben gestellt habe. Ich glaube, um nichts vom Hype mitzubekommen, habe ich mich im Umkehrschluss noch mehr benebelt, als ich das in den Jahren davor getan habe. Ich habe erst Jahre nach dem Hype angefangen zu lesen, was überhaupt über uns geschrieben wurde. Zum Teil erkenne ich mich darin wieder. Ich habe ja das Glück, dass eine Lebensphase von mir in einem Kaleidoskop voller Betrachtungen für immer konserviert ist. Ich gebe meinen Namen in Google ein und finde eine Liste von Gedanken, Aussagen und Lebenseinstellungen, die ich als jüngerer Mensch formuliert, empfunden und gedacht habe.

Ich kann dann entscheiden: Bin ich noch d'accord mit dem Menschen von früher? Wo schon, wo nicht, wo hatte er recht, wo nicht? In dieser Phase bin ich ruhiger geworden. Gerade letztes Jahr. Aber ich nehme dankbar zur Kenntnis, dass mir seit Jahren fremde Menschen ermöglichen, zu tun, was ich liebe. Ich empfinde Dankbarkeit und Demut für diesen Lebensentwurf, denn niemand hat es verdient, von der Gesellschaft so bevorzugt zu werden – und es ist eine einzige Bevorzugung, die mir widerfährt.

"Der Wiener hat sich ja immer schon mit dem Unterbewusstsein beschäftigt"

Dieses Exzessive, Dionysische, der Rock'n'Roll war ja immer Teil eures Images – aber solche Sachen werden ja auch leicht zum Klischee, zu festgefahrenen Rollen. Hattest du nicht das Gefühl, dass man Wanda auf diese Alkohol-Schiene festnagelt?

Grundsätzlich ist Rock'n'Roll für mich kein Lebensstil, sondern eine geistige Einstellung. Rock'n'Roll als gesellschaftliches Idiom hat seine Wurzeln in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Das ist in Wahrheit immer schon eine Lebenseinstellung gewesen, Menschen unterschiedlicher politischer Einstellungen zusammenzuführen. Und wir haben einfach nicht anders gelebt als vorher.

Nur schreibt normalerweise niemand darüber, wenn du in einem Lokal sitzt. Alle sitzen in ihrer Jugend in Lokalen und saufen sich das Hirn zu. Alle. Wir haben nichts anders getan als alle anderen. Nur stand das plötzlich aufgrund der Medien im Vordergrund. Ich war ein geselliger 26-Jähriger, ich war leidenschaftlich, ich war lebensfroh. Um eine Band zu vermitteln, muss man überzeichnen und die Medien haben sich dann eben dieses Thema ausgesucht: Das Exzessive, der Alkoholkonsum, das Rauchen. Das ist ja auch bequemer, als sich tiefer mit Dingen wie der textlichen Ebene von Songs zu beschäftigen. Von daher bin ich auch niemandem böse.

Man war eben auf der Suche nach Rockstars, das gabs in Österreich ja lange nicht.

Die Bands vor uns haben zum Teil mit dem Rücken zum Publikum gespielt. Wir waren die erste Gruppe seit vielen Jahren, die breitbeinig dastand und sagte: 'Hallo, da sind wir, machen wir was gemeinsam!'.

Gab es einen Moment, an dem es dich selbst überrascht hat?

Der absolute Wahnsinn war 2015. Ein Wiener Stadtfest am Michaelerplatz mit einer Bühne so groß wie ein Tisch. Angekündigt waren 400 bis 500 Besucher - am Ende waren es 12.000. Bis zum Stephansplatz war alles überlastet, niemand konnte vor und zurück. Da merkte ich: Jetzt passiert was, jetzt wird sich dein Leben für immer verändern.

In eurer Presseinfo liest man, "Ciao!" sei euer "Revolver".

Ich glaube, "Ciao!" ist das vierte Album von Wanda.

Ja, das ist empirisch belegbar.

Entschuldige, verzeih' mir diese banale Aussage!

Auf "Ciao" habt ihr zwei prominenten Personen einen Liedtitel gewidmet: Der Astrologin Gerda Rogers, die eher den österreichischen Fans bekannt sein dürfte, und TV-Talker Jürgen Domian. Während der Song "Gerda Rogers" eher einen zwiespältigen Blick in eine ungewisse Zukunft wirft, handelt es sich bei "Domian" um einen sehr abgebrühten Blick zurück.

Für mich sind beide Figuren moderne Schamanisten. Sie erinnern mich daran, dass der Mensch, bei all der Technik, die ihn umgibt, immer noch voller Ängste ist. Wir sind Gefäße, gefüllt mit wirrsten Lebenseinstellungen und Fragezeichen. Der Verdienst dieser beiden Figuren ist es, das ans Licht zu bringen. Eine Reihe von Menschen machen das, aber ich finde, diese beiden sind besonders nennenswert und leisten einen unglaublich wichtigen Beitrag zu diesem Gemeinschaftsprojekt Gesellschaft.

In einer Zeit, in der das Spalten ausnahmslos am höchsten im Kurs steht, treten zwei Figuren auf den Plan, die uns zeigen, was wir eigentlich gemeinsam haben. Das weiß der Wiener genau. Der Wiener hat sich ja immer schon mit dem Unterbewusstsein beschäftigt. Es geht in den Liedern auch nicht explizit um diese beiden Personen. Sie stellen eine Fußnote dar für etwas, das ich persönlich als wichtig empfinde: Die Erkenntnis, dass wir keine modernen Menschen sind, sondern zeitlose Wesen.

Liest du eigentlich Rezensionen über euch?

Mittlerweile kann ich das, und ich lache mir regelmäßig einen ab.

Ich frage deswegen, weil "Niente" auf laut.de mit 2/5 ja gar nicht gut weggekommen ist. Du bist da also nicht nachtragend.

Ich finde jede Deutung interessant, und wenn ich etwas lese, lasse ich mich auf jede Deutung ein. Aber ich kann ja aus freien Stücken entscheiden, ob ich etwas für richtig oder falsch halte. Letztendlich ist es eine große Ehre, dass sich überhaupt so viele Menschen damit beschäftigen, und auch diejenigen, die es verreißen, haben mir damit einen großen Dienst erwiesen.

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