laut.de-Kritik
Das gewisse Fury-Feeling bleibt stets präsent.
Review von Artur Schulz"Alone" erfreut mit 14 lebendig und atmosphärisch eingespielten Tracks. Rasch vorwärtstreibende Beats finden sich eher selten, der überwiegende Teil besteht aus einfühlsam interpretierten Midtempo-Erzählungen. Die erste Single-Auskopplung "When A Girl Goes Cold" lädt mit feinem Songwriting als gelungener Appetizer zu den nachfolgenden Titeln ein. "Last Day Of Summer" besticht als warme, sanft federnde Reminiszenz an melancholisch-sehnsüchtige Augenblicke, kompositorisch und instrumental glänzend umgesetzt.
Bereits in diesen ersten beiden Titeln zeigen sich die hervorstechenden Merkmale der Band-Arbeit: Auf den Punkt gebrachtes Handwerk, mit Gefühl und Seele umgesetzt. Wingenfelder und Band lassen ihren Songs die nötige Zeit, sich zu entwickeln, und bieten darin eingebettet abwechslungsreiche und virtuose Parts. Das Gesamtbild hinterlässt dabei aber immer einen harmonischen, organischen Eindruck.
"Ich wollte ein klassisches Popalbum machen, das aber auch modern klingt, mit Songs, die zeitlos klingen," erläutert Fury In The Slaughterhouse-Frontmann Kai Wingenfelder zu seinem ersten Solo-Album "Alone". Oft genug steht dieser Adult-Ansatz leider lediglich für belanglose Schnarchlappen-Mucke - jedoch nicht im Fall des mittlerweile 47-jährigen, rührigen Musikers Wingenfelder. Er ließ sich Zeit mit seinem Projekt, ließ es reifen und spannte schließlich für die in seinem Schleswiger Haus eingespielte CD illustre Namen ein. Ein großer Unterschied zu den Fury-Alben besteht in der überwiegenden Zahl von handverlesenen Fremd-Kompositionen, u. a. ist der vielseitige Michel Van Dyke mit zwei Titeln vertreten. In der Band sind ebenfalls bekannte und hochkarätige Namen zu entdecken: Stephan 'Stoppel' Eggert (TempEau, Selig) bearbeitet die Drums, Jörn Heilbut (Jeremy Days) steht an der Gitarre, Roland Stremberg ist zuständig für Piano und Keyboards, Stephan Gade (The Land) zupft den Bass.
Die Songs schillern mit einer Menge abwechslungsreich eingestreuter Details in der Arrangement-Arbeit und machen das Hör-Erlebnis zu einer spannenden Angelegenheit. Kräftig angerockt pumpt "Blood In My Vains" Lebenslust aus den Boxen. "You're Right On Time" geht als Musterbeispiel für einfühlsames, geradezu klassisches Songwriting durch und besticht nachhaltig mit seiner herzblütigen und elegant-geradlinigen Grundhaltung. Dezente Streicher vervollkommnen die Klasse des Tracks. In anrührende Lyrics gefasst leuchtet hier die ganz große Liebeserklärung. Im sanft-romantischen "Little Miss Wonderful" erzählt Wingenfelder, wie er seine Frau Claude kennen lernte: "Nach unserem ersten Treffen setzte ich mich hin und schrieb ihr den Song. Und damit bekam ich sie rum!" Da ist sie wieder bestätigt, die alte Rock'n'Roll-Mär: Die Jungs mit Gitarren haben es einfacher bei den Frauen.
Trotz eigens zusammengestellter Band und den vielen Gast-Kompositionen bleibt für den Hörer ein gewisses Fury-Feeling stets präsent. Allerdings ist dies nicht den mitwirkenden Musikern und Tracks zuzuschreiben oder gar anzukreiden: Wingenfelders Stimme hat über die Jahrzehnte großen Wiedererkennungswert erlangt, den der Fan natürlich stark mit der bisherigen Band-Arbeit assoziiert. Doch Kais persönlicher Ansatz, Neues auszuprobieren und sich vom bekannten Fury-Sound abzuheben, ist voll und ganz aufgegangen - die gediegene Song-Kollektion unterhält prächtig.
"Alone" bedeutet nicht das Ende von Fury In The Slaughterhouse. Für 2007 ist eine kleine Jubiläumstour geplant (die Formation besteht schließlich seit rund 20 Jahren), und Wingenfelders Engagement für die Thailänder Beluga School Of Life, die Tsunami- und Aids-Opfer unterstützt, steht weiterhin auf dem Programm. Bereits 2005 initiierte der Musiker die Benefiz-CD "Home", aus dessen Verkaufserlösen bislang fünf Waisen- und Schulhäuser errichtet wurden.
Das Pop- und Rock-Rad neu erfinden ist nicht die Sache von Wingenfelder und Band. Doch mit etlichen Karriere-Jahren im Gepäck bekannte Sounds und Strukturen so umzusetzen, dass sie frisch und spannend klingen, ist ebenfalls nicht jedem gegeben - im Falle des vorliegenden Albums ein geglücktes Unterfangen mit positivem Ergebnis. Und das gewiss nicht ausschließlich für 'erwachsene' Hörer, sondern für Musikfreunde jeden Alters, die Spaß haben an gut eingespielter, versierter handwerklicher Musik-Arbeit, stilistisch breit gestreutem Poprock-Songwriting, und natürlich einem starken Sänger am Mikrofon.
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