laut.de-Kritik

Wie man in den Fußstapfen des Vaters neue Wege geht.

Review von

Anfang der Nullerjahre sei eine schüchtern wirkende junge Frau in sein Büro gekommen, berichtet der Musikproduzent Ishay Amir. Er habe sich ihr Demotape angehört und nicht glauben können, dass die kräftige Stimme aus den Lautsprechern zu der Person gehörte, die da still vor ihm saß.

Schüchternheit war bei der 1975 in Jerusalem geborenen Yasmin Levy eigentlich fehl am Platz, hatte sie doch von elterlicher Seite die besten Referenzen vorzuweisen: Ihr Vater war Yitzhak Levy (1919-1977), Sänger, Musikwissenschaftler und Rundfunkdirektor, der sich sehr um die sephardische Musik verdient gemacht hatte, und auch die Mutter Kohava Levy (geboren 1946) war Sängerin.

Als sephardische Musik bezeichnet man die überlieferten Lieder der Jüdinnen und Juden, die im Jahre 1492 aus Spanien vertrieben wurden. 800 Jahre lang hatten sie mit der christlichen und muslimischen Bevölkerung zusammengelebt und sich gegenseitig beeinflusst. Die Vertriebenen ließen sich in zahlreichen Ländern wie dem heutigen Bulgarien, Griechenland und der Türkei nieder (Yitzhak Levy wurde in der türkischen Stadt Manisa geboren). Ihre Sprache Ladino, ein altertümliches Spanisch durchsetzt mit Ausdrücken aus dem Hebräischen und den Sprachen der Länder, in denen sie sich ansiedelten, lebte fast 500 Jahre lang weiter, ist heute aber kaum noch gebräuchlich. Yitzhak Levy sammelte Lieder auf Ladino und begründete im israelischen Radio eine Sendereihe in dieser Sprache.

Das erste Album der Tochter ("Romance & Yasmin", 2005) schöpfte noch ausschließlich aus der Sammlung des Vaters. Ab der zweiten Scheibe ("La Juderia", 2005) setzten Yasmin Levy und Ishay Amir, die auch privat ein Paar wurden, auf eine Mischung aus überlieferten Ladino-Weisen und von der Sängerin selbst geschriebenen Stücken. Den Höhepunkt ihres Schaffens stellt ihr drittes Album dar, das den Titel "Mano Suave" trägt und 2007 wie schon die Vorgänger bei Adama Music erschien.

Yasmin Levy vermischt die sephardische Musik mit Einflüssen aus dem andalusischen Flamenco, da ihr in der Musik ihrer Vorfahren die Leidenschaft fehlt. Während Ladino-Weisen traditionell a cappella oder mit sehr spärlicher instrumentaler Begleitung vorgetragen werden, sind auf "Mano Suave" ebenso wie auf allen anderen Alben der Sängerin aufwändigere Arrangements zu hören. Zum Einsatz kommen u. a. das arabische Lauteninstrument Oud und die oboenartige, in der Türkei verbreitete Zurna. Die vorherrschende Sprache des Albums ist das Spanische, sowohl das Judenspanische als auch die heute in Spanien gesprochene Varietät. Daneben sind Arabisch, Hebräisch und Katalanisch zu hören, wobei die beiden erstgenannten aus dem Mund der Gäste Natacha Atlas und Amir Shahsar erklingen.

Nach eigener Aussage kann Yasmin Levy nur dann kreativ werden, wenn sie ungücklich ist, obwohl sie sich als einen glücklichen Menschen betrachtet. Dementsprechend klingen die von ihr selbst geschriebenen Stücke auf "Mano Suave" verzweifelt und flehend: In "Una Noche Mas" bittet das lyrische Ich eine andere Person um nur eine einzige weitere gemeinsame Nacht, in "Perdono" wird es vom Heulen eines Wolfs dazu bewegt, der im Lied angesprochenen Person zu vergeben. Gitarre, Harfe und weitere Instrumente untermalen hier den eindringlichen Gesang.

Auch von den auf dem Album enthaltenen traditionellen sephardischen Liedern kommen einige eher getragen daher. Aus den meisterhaften Melismen von "Irme Kero" spricht die Sehnsucht nach Jerusalem, in "Komo la Roza" beweint eine Familie den frühen Tod ihrer Tochter ("Wie eine Rose im Garten, deren Blüten sich noch nicht geöffnet haben, ist ein Mädchen in der Stunde ihres Todes"). Das Gegengewicht bilden Scherzlieder wie "Si Veriash": Wer hat schon einmal eine Maus gesehen, die einen Knopf annäht? "Adio Kerida", eine Anklage an eine herzlose Frau, dürfte von den überlieferten sephardischen Stücken auf "Mano Suave" das berühmteste sein - viele Sänger*innen haben es in den vergangenen Jahrzehnten interpretiert, darunter Yehoram Gaon (der sich auf Yitzhak Levys Sammlung berief) bereits 1969.

Sephardische Musik bekannter machen, vor allem unter jüngeren Leuten, so beschreibt Yasmin Levy 2009 in einem Interview die Mission, die sie von Anfang an verfolgte. So richtig gelang ihr dies erst mit diesem dritten Album. Die beiden Vorgänger sind musikalisch weniger zugänglich, sowohl die Arrangements als auch der Gesangsstil präsentieren sich noch zu sperrig. Die beiden auf "Mano Suave" folgenden Alben "Sentir" (2009) und "Libertad" (2012) haben noch einen sephardischen Schwerpunkt.

Danach wandte sich die Sängerin anderen Musikrichtungen zu, nämlich mit "Tango" von 2014 genau dem, was der Titel vermuten lässt, und mit "Rak Od Layla Echad" von 2017 der hebräischen Popmusik. Sie war es müde, auf nur eine Rolle reduziert zu werden. In den letzten Jahren ist es ruhiger um sie geworden, ihre Homepage wurde schon seit 2012 nicht mehr aktualisiert.

Doch hat sie uns bisher viel gegeben, und wer sie noch nicht kennt, sollte als erstes zu dem hier vorgestellten Album greifen. Traditionelle und eigene Lieder, klagende, leidenschaftliche und verspielte Weisen bilden ein harmonisches Ganzes und bieten an westlichen Pop gewöhnten Ohren eine Gelegenheit, sich mit anderen Arten von Musik vertraut zu machen.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Irme Kero
  2. 2. Mano Suave
  3. 3. Adio Kerida
  4. 4. Una Noche Mas
  5. 5. Nani Nani
  6. 6. Komo la Roza
  7. 7. Si Veriash
  8. 8. Mal de l'Amor
  9. 9. Por la Mia
  10. 10. Una Ora
  11. 11. Perdono
  12. 12. Odecha

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1 Kommentar mit 2 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    ... und jetzt dachte ich, der Meilenstein wäre latent zustande gekommen aufgrund ihres Albums "Piano & Voice", das sie im Mai 2021 mit Gil Shohat veröffentlicht hat ...
    Ändert nix daran, daß "Mano suave" ein hörenswertes Album ist ...
    Gruß
    Skywise

    • Vor 2 Jahren

      Peinlich, aber wahr: Ich wusste gar nichts von dem neuen Album und weiß nicht einmal, wer Gil Shohat ist - wird sofort recherchiert.
      Der Artikel war schon seit Monaten geplant und ich habe ihn Ende April geschrieben.

    • Vor 2 Jahren

      .... So, wieder da. Habe mir nicht alles angehört, aber das meiste. Das Album vereint Traditionelles aus der sephardischen Schatzkiste, Traditionelles aus Lateinamerika und ältere eigene Lieder. Wir finden hier die dritte Version von "Una Noche Mas" (auf dem letzten Album hat sie es auf Hebräisch interpretiert) und es wird nicht besser. Ich finde, dass sich die Stimme in keine gute Richtung entwickelt hat, die Sängerin klingt wesentlich älter als Mitte 40. Das Klavierspiel ist auch nicht mein Geschmack.
      Wenn ihr eine gute Neuinterpretation von "Cucurrucucú Paloma" hören wollt, dann hört die von Sílvia Pérez Cruz und Raül Fernández (https://www.youtube.com/watch?v=_iYLbGtPOto)
      Dennoch muss ich mich für den Hinweis auf das neue Album bedanken, wäre mir durch die Lappen gegangen. Zu meiner Verteidigung möchte ich vorbringen, dass es wirklich wenig beworben wurde.