laut.de-Kritik

Eine Wundertüte voller Wundertüten.

Review von

Spätestens nach ihrer COLORS-Session hatten YellowStraps die versammelte Kritiker*innenzunft restlos um den Finger gewickelt. Als "Neo-Soul-Wunderkinder" feierte urplötzlich alle Welt das Brüderpaar, das zwar noch kein Album veröffentlicht, aber schon einen Ruf als Erneuerer eines etwas schlafmützigen Genres hatte: eine ganz ordentliche Last, die sich da auf die schmalen Schultern von Yvan und Alban Murenzi gelegt haben muss.

Seither zogen gut drei Jahre ins Land. Die Wege der Brüder haben sich getrennt, Gitarrist Alban ist nicht mehr mit im Boot. Yvan dagegen, Sänger und Texter von YellowStraps, führt nicht nur den Bandnamen weiter. Er spinnt mit seinem nun Soloprojekt ungebrochen den inhaltlichen Faden fort, der an die vorangegangenen EPs "Blame" und "Goldress" anknüpft. Auch "Tentacle" befasst sich wieder mit der Analyse einer zerbrochenen Beziehung, allerdings scheint der Verarbeitungsprozess inzwischen deutlich weiter fortgeschritten. "Liebe ist immer Chaos", so Yvan. "Aber ich habe meinen Frieden damit gemacht."

Die alles dominierende Ruhe, die dieses Album durchzieht, pflichtet dieser Selbstauskunft bei. Melancholie? Oh, ja. Nach Resignation oder Abgestumpftheit klingt "Tentacle" jedoch in keiner Sekunde, vielmehr offenbart gleich der eröffnende Titeltrack: Die Macht dieses Albums liegt gerade in seiner fragilen Verletzlichkeit, seine große Stärke darin, (vermeintlich) geringen Mitteln den größtmöglichen Effekt abzuringen. Eine Tugend, die auch die Videos, etwa zu "Headown", "Notice" oder "Flowin" prägt: simple Settings, trotzdem irre dichte Atmosphären, kleiner Aufwand, maximale Wirkung.

Doch der Sound funktioniert hervorragend auch ohne die Bilder, wie gleich der eröffnende Titeltrack vorexerziert: mit minimalistischen, verwehten Klängen, ein wenig Hall, und dazu diesem zarten, fast ein wenig zitternden Gesang in unerwartet hoher Tonlage, wie als Kontrast zum verwaschenen Hintergrund extra glasklar artikuliert. Kurzzeitig gesellt sich brummender Bass hinzu, gibt der Nummer ein paar Augenblicke lang ein Fundament. Im nächsten Moment ist das einzige, das vom Beat übrig bleibt, jedoch schon wieder ein im Hintergrund pulsierender Herzschlag.

Der Track "Tentacle" gleicht einer Wundertüte, das Album "Tentacle" einer Wundertüte voller Wundertüten. Jeder Griff hinein fördert neue Hybriden aus R'n'B und Electronica zutage. Die Mischung kann jedoch auch Spuren noch ganz anderer Zutaten enthalten.

"Notice" hat mit seinem Anflug von Kirchenorgelklängen beinahe einen sakralen Touch, während "Necklace" eher auf einen Synthiebeat setzt, dabei aber dennoch organischer klingt als manches "richtige Instrument". Wenn ein Track wie eine klassische Pianoballade beginnt, muss das bei YellowStraps noch lange nicht bedeuten, dass im nächsten Moment kein elektronischer Effekt durchs Soundbild flirrt.

"Merci" oder "Flowin", letzteres mit Schützenhilfe von Sam Wise aus dem House of Pharaohs, gehen anstandslos als Rap durch. "Tnght" gerät dermaßen glatt und poppig, dass sich eigentlich kein Mainstreamradio weigern dürfte, das in die Rotation zu nehmen. "Clouds" birgt ebenfalls hohen Pop-Anteil, allerdings versetzt mit ordentlich Soul.

Bei "Smoove Shit", leider nur fragmentarische Unter-zwei-Minuten lang, wähnt man sich dann vollends in eine Jam-Session mit D'Angelo katapultiert. Die scheint allerdings in einer Wohnung mit äußerst dünnen Wänden stattzufinden, durch die gedämpft der Disput der Nachbarn herüberschallt.

Die weirde Mischung müsste aller Vernunft nach einigermaßen konfus, zumindest aber unruhig wirken. Dass das Genre- und Klängepotpourri trotzdem nicht nur stringent und sinnig erscheint, sondern verrückterweise auch noch getragene Ruhe verströmt, liegt zweifellos am Gesang. Dabei ist Yvan Murenzi ebenfalls ein wandelndes Paradox: Er scheint, selbst wenn er (wie in "Headown") mit vergangenen Fehltritten hadert, vollkommen in sich zu ruhen. Er singt, mal auf Englisch, mal auf Französisch, stets so, als sei er jederzeit im Stande, in einen Rap-Flow verfallen. Hin und wieder tut er das sogar, meist jedoch belässt er es bei der Ahnung, dass er es könnte. Er beherrscht die ganz große Geste, bedient sich ihrer durchaus auch, und wirkt dabei trotzdem nicht wie eine Dramaqueen. Wie geht das nur?

Ach, wobei ... "take it as it is." Es geht. Vielleicht müssen wir mehr gar nicht wissen.

Trackliste

  1. 1. Tentacle
  2. 2. Notice
  3. 3. Meerci feat. Roméo Elvis & Swing
  4. 4. Champagne
  5. 5. Clouds feat. Trooko
  6. 6. Sorrysorrysorry
  7. 7. Smoove Shit
  8. 8. Necklace
  9. 9. Blue feat. Sofiane Pamart
  10. 10. Tnght
  11. 11. Writer's Block feat. Blu Samu
  12. 12. Headown
  13. 13. Flowin feat. Sam Wise

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