laut.de-Kritik
Letzter mitreißender Aufschrei aus dem Museum der Rockgeschichte.
Review von Jochen DreherDer Hohentwiel im süddeutschen Singen bot ein perfektes Ambiente für ein einzigartiges Konzert: Yes, einstmals herausragende Band des Art- bzw. Progressive-Rock, kam live auf die zerfallene Burgruine. Um eine Wiederauferstehung handelte es sich bei dem Auftritt der britischen Kultband jedoch nicht. Immerhin durfte die Nach-Yes-Generation, der auch ich angehöre, eine Band in Bestbesetzung leibhaftig erleben, die am Höhepunkt ihres Schaffens im Jahre 1973 mit "Yessongs" eines der brillantesten Live-Alben der Rockgeschichte eingespielt hatte. Einige musikalische Lichtblicke erinnerten an die Genialität dieser Musiker aus einer vergangenen Zeit.
Nahezu das komplette Abendprogramm entstammte den Alben "Yessongs" und "Fragile". Die Eröffnungshymne "Siberian Kathru", der Klassiker "Heart of the Sunrise", dem irgendwie der Elan fehlte, der frühere Hit "Roundabout" als Zugabe und vor allem der Höhepunkt des Abends "And You & I", das von Hermann Hesse inspiriert ist, ließen vergangene Klangwelten wieder aufleben. Derart skurrile, symphonische, einzigartig durchkomponierte Musikstücke sind heutzutage nicht mehr an der Tagesordnung, verdeutlichen aber noch einmal die Klasse, die diese Vertreter des Artrock zu bieten haben. Keyboarder Rick Wakeman und Gitarrist Steve Howe lieferten sich eindrucksvolle Improvisations-Gefechte, wenn auch manche Solo-Einlagen die frühere Kraft vermissen ließen. Steve Howe schien vom Leben gezeichnet und darum bemüht zu sein, irgendwie an seine Form der siebziger Jahre anzuknüpfen.
Dennoch war das Mitt-Vierziger-Publikum, zumeist bestehend aus ergrauten Hippies, durch und durch von jenem musealen Ausflug in die Vergangenheit begeistert. Auch wenn Liebhaber der späteren Yes-Formation um Trevor Rabin mit Songs wie "Oner of a Lonely Heart" oder "Changes" nicht auf ihre Kosten kamen. Eines wurde jedenfalls bei diesem Abend auf der Burgruine Hohentwiel deutlich: Es ist nicht einfach für gealterte Veteranen des progressiven Rock, an frühere Zeiten anzuknüpfen. Gewisse Verfallserscheinungen lassen sich einfach nicht verleugnen. In großer Verehrung meiner wohl gepflegten "Yessongs"-Platten kommt mir die Erleuchtung: Gott sei Dank ist die Halbwertszeit von Vinyl wesentlich länger als diejenige von leibhaftigen Musikern. Wenn auch nicht so lang wie die von Burgen ...