laut.de-Kritik
Das Böse steht erst in den Startlöchern.
Review von Manuel BergerDas im Alleingang aufgenommene und produzierte "Devil Is Fine" hievte Manuel Gagneux binnen kürzester Zeit vom Foren-Geek zum Internet-Phänomen und schließlich ins Vorprogramm der Prophets Of Rage. Beim Erfolg Zeal & Ardors spielte sicher auch das Überraschungsmoment, das eine funktionierende Mischung aus Gospel und Black Metal zwangsläufig mitbringt, eine große Rolle. Ob diese aber taugt, um eine Karriere darauf aufzubauen, klärte das Debüt mit knapp 25 Minuten Spielzeit und nur sechs "richtigen" Songs noch nicht. "Stranger Fruit" zeigt zum Glück: Für Zeal & Ardor gibt es ein Leben nach dem Hype.
Gleich zu Beginn zeigt Gagneux, dass er auch ohne den Kuriositätenbonus besteht. Für "Gravedigger's Chant" verzichtet er komplett auf Schwarzmetall. Eine beschwingte Klavierfigur, schwere Drums und sein beeindruckendes Blues-Organ dominieren den Track als wäre hier Little Richards apokalyptischer Bruder am Werk. Groove und Eingängigkeit erinnern entfernt an Hozier. Kompositorisch ist das hier vielleicht sogar noch etwas raffinierter – und böser. Doch das Böse steht eben erst in den Startlöchern.
Mit kurzen Ambient-Zwischenspielen ("The Fool", "The Hermit", "Solve") unterteilen Zeal & Ardor "Stranger Fruit" in mehrere Kapitel. Zumindest im ersten steigert er von Song zu Song konsequent seine Wut und damit auch die Härte. Spielte Gitarre in "Gravedigger's Chant" noch eine sehr untergeordnete Rolle, kracht sie in "Servants" mit voller Distortion-Wucht herein. Alle Dämme brechen schließlich bei "Don't You Dare": Gagneux stürzt sich in ein aggressives Mantra, dazwischen kreischt es markerschütternd. Den bis dahin noch immer vorhanden Groove wirft er in "Fire Of Motion" über Bord und gibt sich ganz der Raserei hin. "The Hermit", eine von schwebenden Synthesizern getragene Traumsequenz, wirkt hernach wie ein vertonter Sündenerlass.
Wenn Zeal & Ardor den Blues singt, hat das nur wenig mit Schwermut zu tun, mehr mit Aggression und Agitation. Nur kehrt er wie schon beim Debüt den Spieß um: Nicht die Unterdrücker hetzen hier, sondern die Unterdrückten wiegeln sich auf zum Widerstand. War die Utopie der amerikanischen Sklaven, die sich Satanismus statt Christentum zuwandten, beim Debüt noch mehr Rahmen als tatsächliches Statement, schreit der Schweizer diesmal lauter. Den Albumtitel wählte er in Anspielung auf das von Billie Holiday bekannt gemachte "Strange Fruit" – eine Reaktion auf tödlichen Südstaaten-Rassismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wenn er auf "Stranger Fruit" Leichen verbuddelt, zum Sklavenaufstand aufruft, droht und schwarzmagische Rituale anzettelt, lässt Gagneux offen, ob er gerade die Vergangenheit oder das Heute kommentiert. Die Interpretation obliegt dem Hörer. Statt zu predigen setzt er sein Publikum durch suggestive Lyrics als Mittäter direkt in die Szenerie.
Das Zeal & Ardor-Konzept bleibt voller neuer Ansätze. Einer der interessantesten ist "Built On Ashes": Ein Hauch von Emperor weht durch den Track, was dem nachgemischten, trotzdem epischen Black Metal-Noise geschuldet ist. Er bildet die Grundlage. Doch darüber spinnt Gagneux ein harmonisches, mehrstimmiges Gesangs-Arrangement. Dornenranke und unbefleckter Leib umschlingen sich, verletzen sich gegenseitig und versinken letztlich doch ineinander – eine todschöne Fusion.
Für die eigenwillige, zwischen alten Blues-Aufnahmen, norwegischem Finsterwald-Lo-Fi und modernen Spielereien schwankende Produktion zeichnete diesmal übrigens nicht mehr Gagneux allein verantwortlich. Die Aufnahmen beaufsichtigte Bilderbuch-Stammproduzent Zebo Adam. Und weil ihnen der Sound von Kvelertaks Debütalbum so gut gefiel, rekrutierte man den Converge-Gitarristen Kurt Ballou als Mischer. Im Kern bleibt das Trio dem auf "Devil Is Fine" vorgegebenen Klang treu, stockt qualitativ aber in allen Belangen auf. Besonders die Folk- und Blues-Bestandteile profitieren davon. "Gravedigger's Chant" ist eine sonische Macht. Höchstens Hi-Fi-Enthusiasten könnten sich an den betont rohen Metalgitarren gestört fühlen.
Das einzige Problem von "Stranger Fruit" ist – so seltsam das auch klingt – die Länge. Zwar sind die Titel selbst alle immer noch knackig kurz gehalten und als solche gut hörbar, aber 16 davon hintereinander eben doch anstrengend. Eine Art stilistischer Zehnkampf über 50 Minuten. Die vom Künstler mitgelieferten Pausen sollte man also durchaus ernst nehmen und gerne verlängern. Denn es wäre eine Schande, Highlights wie "Row Row", "You Ain't Coming Back" und den knarzenden Titeltrack wegen Ermattung nur mit halben Ohr zu hören.
Andererseits: Wenn Manuel Gagneux die englische Sprache für den Satz "Blut für den neuen Gott" unterbricht ("We Can't Be Found"), wacht man wohl wieder auf.
9 Kommentare mit 2 Antworten
Immer noch geil, aber die Spieldauer fand ich beim ersten Album schon besser. Lieber nur die Hälfte, aber dann knallt's richtig.
Allein schon das Intro ist göttlich... Pardon, unterirdisch.
Dachte mir auch beim Probehören, dass geht auf die ganze Länge nicht gut - geschnitten! Läuft rauf und runter das Ding.
Was für ein geiles Album.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Da unsere Urmutter in Afrika das Licht der Welt erblickte, sind im Grunde alle Menschen afrikanisch-stämmig.
ich kenne ja leute, die kommen aus Aldebaran
Ich kann in die allgemeine Feierei nicht so ganz einstimmen. Diese Blackmetal-Kreisch-Parts klingen für mich ziemlich aufgesetzt und irgendwie unpassend. Auf Albumlänge wird das ganze irgendwann anstrengend, weil die Songs alle recht ähnlich gestrickt sind (bluesiger Sklavenjam, nerdige Gospelchöre, dann etwas lauter werden und dann "yaaaargh").
Sehr gutes Album! Lauft rauf und runter bei mir!