laut.de-Kritik

Klingt wie Musik, bringt aber nicht zum Tanzen.

Review von

Lang nichts mehr von Zedd gehört - selbst die halbgaren Singles mit Pop-Sternchen wie Katy Perry nahmen in den letzten Jahren spürbar ab. Erstens verzeihen wir Anton Zaslavski aber sowieso alles, schließlich ist er Fan des 1. FCK, zweitens lag das wohl an der Arbeit an "Telos", seinem neuen Album. Leider machten schon die Singles klar, dass der Lauterer sich aus unerfindlichen Gründen erneut gegen eine musikalische Weiterentwicklung entschied.

"Lucky" mit der mit einer völlig austauschbaren Stimme gesegneten Remi Wolfe will so unbedingt eine Spätsommerhitselbsthauptungspostbeziehungshymne sein, man fremdschämt sich fast schon. Handwerklich slappt der Bass, die Idee hinter dem abgehackten Stimmeinsatz von Wolfe erschließt sich auch, aber das Endergebnis wirkt so natürlich wie der Käse auf einer "handgefertigten" Industriepizza der Lidl-Eigenmarke. Hört sich zwar wie Musik an, bringt aber nicht zum Tanzen.

Es gibt eine zweite Single, "Out Of Time" mit Bea Miller, deren Relevanzkurve seit 2017 der Ergebniskurve des Betzenbergs entspricht. Leider beginnt der Track mit Landeanflugmusik in einem durchschnittlichen Ubisoft-Sandbox-Game, was Miller zu einem ungelenken, seufzenden Einstieg zwingt. Der Song erholt sich davon auch dank Keyboard-Geigen nicht mehr, das anschließende Aufbäumen kommt über ein schlagerhaftes Anziehen nicht hinaus. Kirmesmusik ist das, die Fahrbudenbesitzer der Republik haben die kesse Nummer bestimmt schon im Blick; denn das wummst so leicht verdaulich, da behalten die Gäste selbst den tagealten Stockfisch im Magen beim 360°-Oktopus-Dancer.

Das glockenhelle Stimmchen von Frau Miller stört wenig und hat auf dem zweiten Song des Albums "Tangerine Rays" einen weiteren Auftritt. Der fällt besser aus, da schlicht lebendiger und weniger klinisch im Sound. Die Dame präsentiert ihre Stimme ordentlich, der etwas unbalanciert gleichzeitig hektische und laid-back Vibe des Songs passt nicht recht zusammen, eine immerhin durchschnittliche Mainstream-Popnummer ist es aber. Dasselbe gilt für "Descensus" mit Dora Jar, während "No Gravity" mit Bava in seiner Wurschtigkeit die Zeitenläufte voraussichtlich nur wenig beeinflussen wird. Zedd versammelt nicht nur Gastsängerinnen, sondern auch eine illustre Schar an Co-Songschreibern, von denen die allermeisten nur an einzelnen Songs Anteil haben; lediglich der Birminghamer Ellis darf mehrfach ran.

Kohärent ist "Telos" trotzdem, nur scheinbar mit zu wenig Vertrauen in das eigene Gespür geschrieben. "Shanti" ist ein gutes Beispiel, das Ding will alles auf einmal sein, die vage Ethno-Indien-Soundidee wird nie erkundet und weiterbetrieben, sondern alles bleibt Stückwerk, jeder Tiefgang wird gegen das nächste neue Gimmick eingetauscht. Binnen weniger Sekunden kommen und gehen vage in afrikanischer Tradition verankerte Chöre, Akustikgitarren, mehr Chöre, diverse Pseudo-Ethno-Instrumente, Beats, Trommeln, Scat-Samples und gefühlt noch 300 Dinge.

The Olllam sind genauso scheiße und leider geil wie die Frisuren der meisten Bandmitglieder. Man muss es sich schön trinken, aber wenn man das erstmal gemacht hat, wirkt das Geflöte der Truppe genial. Auf "Sona" mischt sich der Irish Folk ganz natürlich mit Zedds Kirmestechno, und die Kelten erzwingen mit ihren Instrumenten die Fokussierung und Fläche, die der Ritalin-Werbebotschafter Zedd sonst so konsequent verweigert. Richtig interessant, solche Experimente und ihm Widerstand zollende Feature-Partner sollte sich der nun in L.A. wohnende DJ mehr zutrauen.

Drei Features gibt es, auf die wir besonders eingehen wollen, und seltsamerweise verstecken sich die mit den noch den Lebenden auf den beiden letzten Songs des Albums. Fangen wir mit dem Toten an, die haben ja die praktische Angewohnheit, dass sie sich so schlecht wehren können, das gilt auch für Jeff Buckley. Das ist mal ein Verheben mit Ansage, und natürlich ist "Dream Brother" nie im Leben besser als das Original, aber außer dem widerlich billigen Drop in der Songmitte muss man Zedd lassen, dass dieser Autounfall von außen schlimmer aussah. Zumindest die Idee, das treibende Element des Track herauszustellen, kann man erkennen.

Auf "Automatic Yes" lässt der alte Schludri John Mayer wie immer die Gitarre nicht zuhause, beschränkt sich aber auf ein wenig E-Geschmachte im Hintergrund. Der Song ist supersimpel, aber nicht uncharmant, und ein wenig hat man den Eindruck, hier den Unterschied zwischen der Riege an pseudo-edgy Popsängerinnen und dem Vollprofi Mayer zu erkennen. Den Refrain nicht mitzusingen als durchschnittlich blaueiiger Mann ist schwierig ("yes, yes, yes, I wanna"), und dann bilanziert ein Mainstream-Popsong halt als überdurchschnittlich, zumal die Gitarre im Hintergrund immer im rechten Moment jault. Nett - in einem guten Sinne.

Muse featuren nicht wirklich auf "1685", eigentlich ist es nur der Bellamy, aber wenn jemand allein Muse ist, dann schon er; was ich sagen will: das ist kein Band-Rocksong. Ab Sekunde eins merkt man, wie der Pathos aus den Kopfhörern quillt, das Ding hätte gut auf "The 2nd Law" gepasst. Die Lyrics sind ganz besonders strunzdoof in ihrer billigen Religionssymbolik. Da haben sich zwei Kitschbarden negativ gegenseitig verstärkt, #toxic. "Telos" bezeichnet den Endpunkt einer Entwicklung - dafür müsste Zedd sich erstmal entwickeln. Dass er das handwerklich könnte und es künstlerisch im Bereich des Möglichen wäre, das beweist er mit "Telos"; dass er es sich Stand jetzt nicht traut aber auch.

Trackliste

  1. 1. Out of Time (featuring Bea Miller)
  2. 2. Tangerine Rays (featuring Bea Miller)
  3. 3. Shanti
  4. 4. No Gravity (featuring Bava)
  5. 5. Sona (featuring The Olllam)
  6. 6. Lucky (featuring Remi Wolf)
  7. 7. Dream Brother (featuring Jeff Buckley)
  8. 8. Descensus (featuring Dora Jar)
  9. 9. Automatic Yes (featuring John Mayer)
  10. 10. 1685 (featuring Muse)

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