laut.de-Kritik

Hier klingt alles sehr wichtig und übelst dringend.

Review von

Zucchero liebt Stadion-Flair. Der Rock-Blues-Electropop-Weltmusiker verantwortet bereits einige so großartige wie zeitlose Hooklines. Mit steigendem Alter scheint er immer süchtiger nach großem Pomp.

Vor Operetten-Elementen schreckte er schon auf den letzten Alben nicht zurück; "D.O.C." wirkt nun wie ein aufgebrezeltes EDM-, Spät-Eurodance- und Dubstep-Gebratzel. Den i-Tupfer setzen 80er-Zitate aus Huey Lewis und Billy Idols besten Hitsingle-Zeiten und Vocals nahe an Peter Gabriel auf seinen frühen Soloalben.

Überhaupt: Dort, wo sich dieses gestampfte 14. (oder je nach Zählung 16.) Studioalbum von Signore Fornaciari aus der Beliebigkeit erhebt, dort hört es sich wie Peter Gabriel an. "D.I.Y.", "San Jacinto", "I Have The Touch", "I Go Swimming" - die Stimmlage ähnelt, die Akkordfolgen und melancholischen Stimmungen wirken vertraut. Der hymnische Einsatz von Synthesizer-Beats datiert in jene Zeit zurück, bevor Zucchero selbst sein erstes Album aufnahm. Der Ethnopop-Flair, das unentwegte Ergriffensein und das bewusst brüchige Kippen der Stimme erinnern durchweg an den frühen Solo-Gabriel; nur dass die Texte hier auf Italienisch sind. Hybride aus akustischen Instrumenten und elektronischen Loops zur Imitation von Klassik, die so funktionieren, sind "Freedom" und "Vittime El Cool", auf Englisch auch als "Someday (Bonus Track)" und als "Freedom (Bonus Track)" vertreten.

Ob Drumbeat-Handclap-Passagen im Folktronic-Stil ("Vittime El Cool") oder Zitate aus Zuccheros eigenem Ideenfundus der 90er Jahre im Kleide heutiger Electronic Dance Music ("Spirito Nel Buio") - dieses Album richtet sich kaum an Ohren, die sich mit Feinheiten und gutem Instrumentespiel aufhalten wollen, wohl aber auch kaum an Fans echter elektronischer Musik. Für letztere dümpelt das meiste zu abgenutzt dahin, zwischen billigem Ibiza-"Tropical" House und aufgesetzten Effekten aus verfehltem Grime ("Soul Mama").

Schaltet Zucchero mal auf Ballade um, betont er nach wenigen Zeilen die Texte ebenfalls so, als ginge es um Leben und Tod, wie in "Cose Che Già Sai feat. Frida Sudemo". Seine Background-Sängerin erwähnt er als Feature-Gast, doch darf sie sich keine Silbe lang frei singen. Sie verschwindet hinter seiner eigenen, zugegebenen, charismatischen Stimme. Es geht darum, etwas Verlorenes nicht mehr zurückzubekommen und Fehler nicht mehr korrigieren zu können.

Der wandelbare Gesang des Italieners, der mit "Senza Una Donna", "She's My Baby" und "Il Volo (My Love)" auch in Deutschland das Pop-Radio regierte und Stadien füllte, ist sein stärkstes Argument. An neuen Songs für die Ewigkeit bietet er allenfalls "Cose Che Gi Sài feat. Frida Suremo" (auch als "Don't Let It Be Gone (Bonus Track)") und die Stadion-Pop-Schnulze "Sarebbe Questo Il Mondo", mit ein wenig Keyboard-Untermalung und einem knackig klirrenden Becken. In "Badaboom (Bel Paese)" gehen die Hoppsassa-Holzhammer-Beats und elektronischen Loops von irgend etwas zwischen Schifferklavier und Dudelsack je nach Standpunkt auch in Ordnung oder eignen sich zumindest längerfristig für Kirchweih-Partys. Dank einer imitierten Fiddle stellt Zucchero noch dezenten Country-Bezug her.

Eine Menge an diesem Album, oft die entscheidenden Details, entstehen durch Programmierung. Gleichwohl greift Zucchero schon auch selbst in die Hammond-Orgel, und er nahm einen Gitarristen, einen Pianisten, einen Dobro-Spieler, zwei Schlagzeuger, drei Keyboarder, eine fünfköpfige Bläsergruppe und einen 16 Leute umfassenden Gospel-Chor an Bord.

Die Kontraste zwischen heftigen Keyboard-Stakkatos einerseits und andererseits akustischer Songwriter-Gitarre ("Tempo Al Tempo") und der Weihnachts-Schnee-Klavierballade "Nella Tempesta" könnten größer nicht sein. Zuccheros Album punktet sehr wohl mit Abwechslung, nicht aber mit Dramaturgie oder einer kohärenten Geschichte. Oder einem prägnanten Feeling, das den Hörer nachhaltig in eine Stimmung versetzen würde. Es geht auf und ab, alles klingt sehr wichtig und übelst dringend.

Doch es handelt sich um eine schlichte CD der Marke "Song-Sammlung", charakterloser als viele Best-Ofs und Sampler. Den soliden, professionellen, mittelguten Songs mit kaum rätselhaften, unübersetzbaren Texten geht jeglicher Adressatenbezug ab. Sein italienisches Publikum hat Zucchero dennoch zehnmal hintereinander treu auf Platz Eins der Album-Charts getragen. Ein bisschen merkt man der neuen CD an, dass dieser Künstler machen kann, was er will - er kommt sowieso super an.

Trackliste

  1. 1. Spirito Nel Buio
  2. 2. Soul Mama
  3. 3. Cose Che Già Sai (feat. Frida Sundemo)
  4. 4. Testa O Croce
  5. 5. Freedom
  6. 6. Vittime Del Cool
  7. 7. Sarebbe Questo Il Mondo
  8. 8. La Canzone Che Se Ne Va
  9. 9. Badaboom (Bel Paese)
  10. 10. Tempo Al Tempo
  11. 11. Nella Tempesta
  12. 12. My Freedom (Bonus Track)
  13. 13. Someday (Bonus Track)
  14. 14. Don't Let it Be Gone (Bonus Track)

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Zucchero

Wer von italienischer Rockmusik redet, meint eigentlich Zucchero. Am 25. September 1955 in Roncocesi in der Provinz Regio Emilia geboren, wird Adelmo …

Noch keine Kommentare