30. April 2020

"Billie Eilish räumt in jeder Kategorie ab"

Interview geführt von

Nach zwei Jahren Pause haben Awolnation ihr viertes Album mitten im Lockdown veröffentlicht.

Wer im Corona-Lockdown als Musiker seine Alben nicht ans Jahresende verschiebt, ist klar in der Minderheit. Awolnation-Chef Aaron Bruno gehört dazu. Im Telefon-Interview erklärt er, warum "Angel Miners And The Lightning Riders" genau jetzt erscheinen musste, wie sein Alltag in Kalifornien aussieht und was ihm ein Kompliment von Billie Eilish bedeutet.

Aaron, wir erleben gerade einen ziemlich einzigartigen Moment unserer Zeit, die Corona-Pandemie zwingt uns in die Isolation, wir treffen keine Freunde mehr und schauen ständig Nachrichten. Wie findest du dich seit Wochen zurecht und wie beeinflusst diese Zeit dein musikalisches Schaffen?

Zunächst mal: Ich hoffe nicht, dass alle nur Nachrichten schauen. Denn es gibt bessere Möglichkeiten, sich zu informieren. Die Mainstream-Nachrichten in den USA sind auch ein Geschäftsmodell. Ich kann nur jeden dazu ermuntern, sich dem Zwang zu widersetzen, stundenlang vor dem TV abzuhängen. Nach 9/11 habe ich sicher zehn Tage am Stück Nachrichten geschaut und es hat mir definitiv nichts gebracht. Es gibt gute Webseiten, auf denen die lokalen Regeln oder die Aussagen der Regierung beschrieben werden.

Ansonsten gebe ich mir Mühe Verbindungen zu Freunden aufrecht zu erhalten. Ist es nicht verrückt, für wie selbstverständlich wir Umarmungen gehalten haben? Ich bin von Natur aus eher schüchtern und nicht der größte Umarmer. Aber ich fiebere schon darauf hin, meine Eltern wieder umarmen zu können, wenn das hier vorbei ist.

Wie sieht ein normaler Tag mit Social Distancing bei dir aus?

Gar nicht wahnsinnig anders, denn ich sehe auch sonst kaum Leute in meiner Wohngegend. Ich lebe hier zurückgezogen mit meiner Frau und meinem Hund und verlasse das Haus nur, wenn ich zur Probe muss, laufen gehe oder zum Einkaufen auf den Markt. Die Leute ... sie tun so, als müssten sie drei Jahre lang zu Hause bleiben, und nicht drei Wochen. Ich will nicht Teil des Problems sein und Klopapier horten oder sowas. Diese Hamsterkäufe sind jämmerlich. Anderes Beispiel: Es hat drei Wochen gedauert, bis wir irgendwo Mehl aufgetrieben haben. Was machen die Leute denn damit, backen die alle 1000 Kekse am Tag? Das ist egoistisches Verhalten und genau das Gegenteil von dem, was in dieser Zeit wichtig ist: Nämlich dass wir als Menschheit zusammen stehen. Man muss einfach versuchen, die Dinge positiv zu sehen.

Es ist auch super weird, gerade jetzt neue Musik zu veröffentlichen. Ich werde diesmal nicht auf Tour gehen und keine der üblichen Promo-Auftritte absolvieren. Da ich aber sowieso nie ein Fan dieser Veröffentlichungsroutine war, finde ich es gerade sehr inspirierend, einen neuen Weg für mich zu finden. Diese Zeit packt dein Ego bei den Hörnern, denn wir sitzen alle in einem Boot und gewisse Dinge kannst du eben einfach nicht machen. Es fühlt sich gut an, dass einem die Kontrolle ein wenig entzogen wird. Ich promote dieses Album jetzt mit den Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen. Wenn die Platte dafür geschaffen ist, viele Menschen zu erreichen, dann über eine Art Mund-zu-Mund-Proaganda. Erreicht sie nur wenige Menschen, die sich dank der Songs aber besser fühlen, wäre das ein ebenso schönes Geschenk. Diese erzwungene Verlangsamung des Alltags tut uns allen gut. Natürlich bin ich im Herzen auch bei jenen, die diese Krise in finanzielle Nöte bringt oder die kranke Angehörige haben. Man kann nur hoffen, dass es gut wird.

Ein neuer Weg der Album-Promotion sind auch deine Quarantäne-Interviews mit Freunden und Musikern auf Instagram. Wie fühlt es sich an, auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen?

Sehr gut, muss ich sagen. Ich habe jetzt so viele hinter mir, dass ich mich gut dabei fühle. Ich frage Dinge, die man bislang vielleicht nicht gefragt hat, womöglich weil auch mir immer wieder dieselben Fragen gestellt wurden. Als ich neulich mit Duff McKagan sprach, schrieb mir danach sein Manager, den ich noch von früher kenne, dass er über manche Themen vorher noch überhaupt nie öffentlich gesprochen hat. Das ist ein tolles Kompliment. Das mag damit zusammenhängen, dass ich die Spielregeln eines Interviews nicht kenne und einfach versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen. Vielleicht sind Musiker unter sich auch verletztlicher und bestrebt, einen Draht zueinander zu finden.

Vor zwei Jahren zerstörten die verheerenden, kalifornischen Woolsey-Brände auch dein Aufnahmestudio in Malibu, während du auf Tournee warst. War auch dein Haus betroffen?

Nein, ich kann mich sehr glücklich schätzen. Natürlich war dieses Erlebnis eine Tragödie, aber gleichzeitig so unwirklich, dass ich versucht habe, es nicht zu nah an mich heran zu lassen. Die Situation war ganz ähnlich wie die jetzt. Ich weiß nicht, wie es für dich ist, aber ich versuche schon, auch mal auf andere Gedanken abseits von Corona zu kommen. Manchmal trifft es einen dann unvermittelt und man denkt: Alter, das ist doch völlig verrückt gerade. Das Feuer habe ich damals als einen Neustart betrachtet. Ich habe ein neues Studio errichtet, das schicker und besser ist. Wie meine Songs hoffentlich auch.

Viele Musiker haben aufgrund der schwierigen Situation ihre neuen Alben verschoben. Stand das für dich auch zur Debatte?

Nein, und ich verstehe das auch überhaupt nicht. Es werden immer Sicherheitsgründe ins Feld geführt, dabei kann man Musik doch trotzdem veröffentlichen. Du veröffentlichst ein Album und die Leute können es sich anhören, das gefährdet niemanden. Klar, man kann danach nicht auf Tournee gehen, um es zu promoten. Für mich ist das aber kein ausreichender Grund, mein Album zu verschieben und Fans zu enttäuschen. Die Menschen brauchen Musik doch jetzt mehr denn je. Davon abgesehen: Wie soll das nach der Sperre im Herbst dann aussehen, wenn jeder sein Album verschiebt? Erscheinen dann eine halbe Million Platten gleichzeitig? Die Mentalität gefällt mir nicht.

US-Präsident Trump hat den Virus wochenlang kleingeredet und behauptet nun, dies sei nie passiert. In New York prüft man Begräbnismöglichkeiten in öffentlichen Parks und Trump setzt Tweets ab wie "Bleib stark, USA" und "Licht am Ende des Tunnels" Was stimmt nicht mit diesem Mann?

Ich äußere mich nicht zu Politik.

Verstehe. Manche Textstellen könnte man so lesen, etwa wenn du in "The Best" singst: "Me I wanna walk a little bit taller / Me I wanna feel a little bit stronger / Me I wanna think a little bit smarter". Das könnte man als Trump-Parodie begreifen.

Es geht eigentlich mehr darum, dass man versuchen sollte, die beste Version von sich zu sein. Es ist natürlich so gut wie unmöglich, den Moment zu erreichen, an dem du in einem bestimmten Feld der Beste bist. Ich werde wahrscheinlich nie in irgendetwas der Beste sein. Aber wenn man sich die Gesellschaft so anschaut, dann wollte bis vor kurzem noch jeder der Schnellste, der Größte und der Beste sein. Da das aber meistens nicht klappt, sollte man sich vielleicht darauf konzentrieren, dass man mehr an sich selbst arbeitet. Natürlich kann man im Refrain Sarkasmus herauslesen. Aber ich versuche schon, die beste Version von mir hinzukriegen, ein besserer Ehemann zu sein und hoffentlich auch ein besserer Songwriter.

"Die Regel ist, keine Regel zu haben"

Ich war überrascht, dass die neue Platte von den Melodien und vom Gefühl her wieder einen Bogen zu deinem Debütalbum schlägt. Das habe ich nicht erwartet, weil "Here Come The Runts" deutlich Singer/Songwriter-Schlagseite hatte und experimentell ausgefallen ist.

Die letzte Platte war definitiv ein persönlicher, verrückter Trip und, wie du sagst, etwas Singer/Songwriter beeinflusst. Ein Album, gespielt von einer Rockband. Für mich war das ein organischer Rock'n'Roll-Ansatz. Die neue Platte handelt eher von der Gemeinschaft, anstatt nur von mir allein. Bei "Here Come The Runts" hatte ich von elektronischer Musik auch echt den Kanal voll. Ich wollte eine Rock-Platte machen und die Band ein wenig heraus fordern, denn die Typen sind einfach so gut. Dieses Mal habe ich mich, auch wegen der Erfahrung des Studiobrands, einfach zuhause eingeschlossen und sämtliche Grübeleien zur Instrumentierung außen vor gelassen. Einfach machen. Die Regel ist, keine Regel zu haben. Und wenn ein Synthesizer-Part cool ist, dann ist es so und dann kommt er drauf.

Klingt danach, dass du auch deine Arbeitsmethode komplett umgestaltet hast.

Absolut, ich saß ich meinem kleinen Extra-Schlafzimmer, das ich als Studio umfunktioniert habe. Dort hatte ich zwar weniger Optionen als in meinem alten Studio, aber lustigerweise war diese Tatsache am Ende richtig befreiend, denn ich musste mir nicht den Kopf über überflüssige Dinge zerbrechen. Zudem mag ich die Herausforderung. Mein Ansatz war, ein Album zu machen, als gäbe es keine Fans, die auf Musik von mir warten. Fast wie ein Neuanfang.

Rivers Cuomo ist ein Gast auf der Scheibe. Wie kam es dazu?

Wir haben uns vor einigen Jahren auf Festivals kennen gelernt und sind seither befreundet. Er erzählte mir damals, er sei ein Fan meiner Platte und ich erwiderte, dass er für mein Songwriting ein großer Einfluss war und ich zu ihm aufgeschaut habe. Daraufhin meinte er nur: Das könnte der Grund sein, warum wir uns sympathisch sind. Seither wollten wir immer mal einen Song oder eine Produktion zusammen stemmen. Und als ich dann "Pacific Coast Highway" schrieb, dachte ich: Das ist der Weezer-Moment auf dem Album, den muss ich Rivers schicken. Ich hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde und du kennst auch die Promo-Aktivitäten anderer Bands nicht. Umso glücklicher war ich, dass es geklappt hat.

"Mayday!!! Fiesta Fever" klingt für mich wie ein idealer Album-Opener, die kraftvolle Fusion aus Elektro und Punkrock voll auf die Zwölf - perfekt. Du hast dich allerdings für das düstere "The Best" entschieden.

Es ist immer hart. "The Best" war die erste Single, und ich wollte ursprünglich "Slam" als Opener. Aber "The Best" hat etwas Erbauliches und Düsteres und setzt so eine recht gute Grundstimmung. Frag mich morgen nochmal und ich bin wieder anderer Meinung. "Mayday" wäre auch ein Top-Kandidat gewesen, klarer Fall.

In "Slam (Angel Miners)" gibt es den "Bounce"-Part, der mich sehr an "Knights Of Shame" von "Megalithic Symphony" erinnert. Siehst du auch Parallelen?

Definitiv.

War dir das auch schon beim Schreiben bewusst?

Nein, aber da ich "Knights Of Shame" geschrieben habe, vermute ich, dass etwas in mir ist, das mich ähnliche Parts schreiben lässt. "Slam" ist derzeit mein Lieblingssong.

Zum Schluss der Platte gehst du in "I'm A Wreck" so nah an Metal ran wie nie zuvor. Explicit Lyrics und Screamo-Attacken inklusive. Was hat dich so wütend gemacht?

Im Grunde war es eine Fantasie, so etwas mal zu jemandem sagen zu dürfen. Wir kennen alle dieses Gefühl. Ich bin sicher, du würdest das auch gerne mal jemandem sagen, wenn auch vielleicht nicht genau in diesen Worten. Es ist sozusagen das finale Battle zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse, das sich durch die gesamte Platte zieht. Und dann kommt es eben zu diesem epischen Finale. Es ist unklar, wer gewinnt. Wenn ich mir vorstelle, den Song und diesen Text zu hören, wollte ich einfach nur mitsingen. Da erwacht das Hardcore-Punk-Kid in mir noch mal zum Leben. Da liegen meine Wurzeln.

"Billie Eilish räumt in jeder Kategorie ab"

Billie Eilish nannte "Sail" einen der wichtigsten Songs ihrer Jugend. Was bedeutet dir dieses Lob?

Sie und ihr Bruder Finneas sind großartig, von daher ist das sehr schmeichelhaft. Ich kenne niemanden, der ihre Musik nicht mag. Sie ist eine Hoffnungsträgerin für Popmusik. Für mich war es umso schöner, da ich von dem Kompliment erfuhr, nachdem ich ihre Musik für mich entdeckt hatte. Normalerweise gehen bei mir die Warnlichter an, wenn mir Leute Platten empfehlen, die plötzlich immer bekannter werden. Aber Billie war eine Ausnahme. Tolle Platte, super produziert, unglaublicher Gesang, coole Ausstrahlung, beeindruckender Style - sie räumt einfach in jeder Kategorie ab.

Eine Mitarbeiterin des Labels schaltet sich ein und bittet, eine letzte Frage zu stellen.

Aaron, eine kleine Anekdote zum Schluss: Wir haben uns 2007 mit deiner alten Band Under The Influence Of Giants schon einmal getroffen, für ein Interview in Zürich. Ihr wart damals Support von The Sounds.

Warte ... ich glaube, ich erinnere mich sogar. Du hast uns nach unseren alten Bands ausgefragt, kann das sein?

Kann gut sein. Mein Kollege und ich waren große Fans. Wir haben euch nach Bars und Clubs in L.A. gelöchert, weil drei Kollegen und ich ein paar Monate später nach Kalifornien gereist sind.

Oh, ich wünschte, ihr hättet mich das ein paar Jahre später gefragt. Heute kenne ich mich doch viel besser aus in der Gegend. Mann, reden wir hier gerade über fast 15 Jahre? Unfassbar. Jedenfalls sehr cool das zu hören und danke für dein Interesse an meiner Musik nach all der Zeit.

Triffst du manche der alten Bandkollegen heutzutage noch oder lebt man sich nach einer Trennung eben auseinander?

Nein, wir sind noch befreundet, natürlich auf unterschiedliche Art. Mit Dave, dem Basser, hatte ich gerade wieder Kontakt, als "Star Wars" rauskam, denn wir sind Riesenfans und müssen da Theorien austauschen. Drew veröffentlichte vor kurzem neue Musik unter dem Namen Dueling Whitneys. Darüber haben wir gesprochen und ich habe ihm dazu gratuliert, denn Musik zu veröffentlichen ist immer ein bisschen scary, unabhängig vom Erfolg. Nimm eine Idee, schreib sie auf Papier, nehme sie auf und veröffentliche sie, dazu braucht es Mut. Es ist eine wirklich schöne Leistung.

Jamin, der Drummer, hat mich sogar vorhin angeschrieben, während wir uns unterhalten haben. Wir schicken uns gegenseitig Spotify-Links und andere neue Musik. Ich hoffe ich habe jetzt niemanden vergessen. Aber grundsätzlich habe ich zu 90 Prozent der Leute, mit denen ich mal in einer Band gespielt habe, heute noch Kontakt, und ich war in einigen Bands. Es ist immer etwas Besonderes, eine verschworene Gemeinschaft. Ein paar Typen habe ich aus den Augen verloren, aber das sind dann Leute aus Bands, in denen ich mit 16 gespielt habe. Also eine völlig andere Zeit.

Aaron, vielen Dank für das Gespräch.

Gerne, aber hey, noch mal wegen vorhin: Das sollte nicht unhöflich rüberkommen. Ich habe einfach eine Regel, das ich nicht über Politik in Interviews spreche. Der Fokus soll auf der Musik liegen.

Danke für die Klarstellung. Die Frage erschien mir passend und sollte dich nicht vor den Kopf stoßen.

Ich verstehe total, warum du die Frage gestellt hast. I get it. Und glaube mir, es gibt immer wieder Momente, in denen ich ziemlich viel zu bestimmten Themen sagen könnte, aber ich belasse es dann lieber bei der Musik. Es gibt bei Gott schon genug Meinungen da draußen.

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