laut.de-Kritik

Dystopische Messe zwischen Gospel, Industrial und Post-Punk.

Review von

Gottesdienst im "Blade Runner"-Universum: Auf ihrem dritten Studioalbum halten Algiers wieder dystopische Messen zwischen Gospel, Industrial und Post-Punk ab, die sich ebenso nahtlos in die düstere Cyberpunk-Welt einfügen wie feuerspuckende Schornsteine, Neon-Werbung und Replikanten.

Die bedrohlichen Szenarien, die das Quartett um Chefprediger Franklin James Fisher auf "There Is No Year" entfacht, spielen sich jedoch nicht in einer entfernten Zukunftsvision ab, sondern in einer erschreckenden Gegenwart ohne fliegende Autos.

Mit ihrem Gospel-Industrial-Sound, bei dem verrohte Synthesizer die Orgel ersetzen und die Songs auf "There Is No Year" pechschwarz anstreichen, ziehen Algiers im US-Wahljahr eine Bilanz, die vernichtend ausfällt. In der alleinstehenden Spoken-Word-Single "Can The Sub_Bass Speak" räumte Fisher im vergangenen Jahr noch mit ethnischen Stereotypen auf: "This ain't Hip-Hop / This ain't Punk Rock / You ain't Punk Rock / You ain't Hip-Hop / What is this?", zitierte Fisher zu hibbeligen Free-Jazz-Klängen.

Dieses Stück war ein wichtiger Befreiungsschlag für den Multiinstrumentalisten aus Atlanta, für dessen Musik es wahrlich keine Kommode mit genügend Schubladen gibt. So bleibt Algiers' Genre-Fusion auch auf "There Is No Year" nur schwer fassbar. Eine Verbeugung vor der sanften Düsternis von Depeche Mode, mit denen Algiers 2017 auf Tour gingen, lässt sich aber nicht von der Hand weisen.

Inhaltlich kommentieren Algiers das Weltgeschehen aus einem größeren Blickwinkel heraus als auf dem Vorgänger "The Underside Of Power". Die Texte auf "There Is No Year" basieren auf Fishers Gedicht "Misophobia", das sich mit einer Gesellschaft am Rande des Kollapses auseinandersetzt. Der Opener und Titeltrack läutet diese Apokalypse mit knarzenden Synthie-Klängen ein, zu denen Matt Tongs Percussions Beifall klatschen. Fisher steht in der Kanzel und verkündet die Uhrzeit: fünf vor zwölf.

Der Song türmt sich weiter bedrohlich auf, bis er in einem ekstatischen Gospel-Refrain gipfelt. Algiers beginnen das neue Album mit einem Paukenschlag. Konträr dazu steht das darauffolgende "Dispossession" mit seinem vom Piano getragenen Soul. Fisher erzählt hörbar schmerzerfüllt von den französischen Massakern in Algerien während der Kolonialzeit, während ein Frauenchor skandiert: "You can't run away."

Aussichtslosigkeit zieht sich als roter Faden durch das Album. Nach drei Jahren Trump-Präsidentschaft sehen Algiers die USA in Trümmern. Die Farce gehe jedoch vergnügt weiter bis in den Abgrund, wie die Band in "Hours Of The Furnaces" feststellt: "We all dance into the fire / Lalala." Unterstützt von den borstigen Synthesizern erscheinen Szenen aus John Carpenters "Die Klapperschlange" vor dem geistigen Auge, bis eine kreischende Gitarre den Hexentanz beendet.

Um den Flammen zu entfliehen, tauchen Algiers ab diesem Zeitpunkt in dunkle Apnoe-Tiefen hinab. "Losing Is Ours" wirkt mit seinem anschmiegsamen Soul und Tongs' verwunschenen E-Percussions wie die Taubheit nach einer Explosion. In der zweiten Albumhälfte drosselt die Band das Tempo deutlich und verbreitet mit dicht gewebten Synthie-Teppichen Endzeitstimmung.

"Wait For The Sound" bewegt sich stark in die Ambient-Richtung, wenn es mit pochendem Beat und Tiefton-Ekstasen auf die Apokalypse wartet. Dass der große Knall einfach nicht kommen mag, erscheint am Ende noch beunruhigender als die Prophezeiung selbst.

Es gibt aber doch noch Lichtstrahlen, die in die unwirtliche Tiefe dringen. Auf "We Can't Be Found" keimt im sakralen Refrain Hoffnung auf. Fisher kämpft sich den letzten Funken Hoffnung ab und erklärt inbrünstig: "No, we won't show mercy / No, we can't be found."

Algiers befreien sich letztendlich von jeglicher Lethargie und unterstreichen mit "Void" kraftvoll ihren Post-Punk-Anspruch. Schonungslos drischt die Band ihre Lähmungen ab und gibt die Marschrichtung für dieses Wahljahr vor: "Got to find a way out of it."

Es keimt also noch Hoffnung auf, die Algiers mit "There Is No Year" hochhalten. Ihr neues Album entpuppt sich als alarmierender Seismograf des aktuellen Weltgeschehens, der die Fassungslosigkeit ebenso verzeichnet wie die Wut und den unbedingten Willen zur Veränderung. Dazu lässt die Band einen Sog aus Genre-Kombinationen entstehen, der noch lange nachklingen wird.

Trackliste

  1. 1. There Is No Year
  2. 2. Dispossession
  3. 3. Hour Of The Furnaces
  4. 4. Losing Is Ours
  5. 5. Unoccupied
  6. 6. Chaka
  7. 7. Wait For The Sound
  8. 8. Repeating Night
  9. 9. We Can't Be Found
  10. 10. Nothing Bloomed
  11. 11. Void

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