laut.de-Kritik

Eine Folk-Oper aus der Unterwelt.

Review von

In der griechischen Mythologie vermag Orpheus mit ergreifendem Gesang und Kithara-Spiel Steine und Bäume zu bewegen. Als seine junge Frau Eurydike an einem Schlangenbiss stirbt, fühlt er sich um sein Glück betrogen und klagt es vor den Göttern der Unterwelt ein. Er singt so rührend, dass Persephone, die Gattin des Unterwelt-Gottes Hades, sie ihm zurückgibt.

Unter der Bedingung freilich, sich auf dem Weg in die Oberwelt nicht nach ihr umzublicken. Aus Furcht, sie doch wieder zu verlieren, blickt sich Orpheus dennoch nach ihr um, und die kaum Gewonnene muss ins Totenreich zurück.

Die Einführung in diesen mythologischen Stoff ist hilfreich, weil er die Grundlage bildet für diese - ja genau - Folk-Oper. Die US-amerikanische Singer/Songwriterin Anais Mitchell präsentiert besagte Geschichte textlich neu aufbereitet und im spannungsreichen Folk-Gewand, ausstaffiert mit den behutsam orchestralen Arrangements von Michael Chorney.

Diesem an sich schon fantastischen Ereignis setzt Mitchell mit illustren Gastmusikern die Krone auf. Während Mitchell selbst den Part der Eurydike übernimmt, begeistert Greg Brown mit tiefem Sprechgesang als Hades, Justin Vernon (Bon Iver) als klagender, entrückt tönender Orpheus, Ani DiFranco als Persephone und Ben Knox Miller (The Low Anthem) als Götterbote Hermes. Daneben glänzt The Haden Triplets als dreistimmiger Frauenchor.

Daraus resultiert ein Songzyklus von 20 eigenständigen, nie überambitionierten Kompositionen, die sich bei allem Facettenreichtum und den wechselnden Gesangspflichten wunderbar in den thematischen Kontext fügen. Die famose Kombination aus der Akustischen, Pedal Steel, Schlagzeug, Akkordeon und Mundharmonika mit Bläsern, Streichern, Piano oder Glockenspiel lässt dabei kaum atmosphärische Wünsche offen.

Zwischen Gothic-Folk in der Manier eines Tom Waits("Hey, Little Sister", "Why We Build The Wall", "He Kiss The Riot"), leidenschaftlichem Gospel ("Waydown Hadestown"), Country-Swing mit Blues-Anleihen ("When The Chips Are Down", "Our Lady Of The Underground") finden sich berauschend mehrstimmige Nummern ("Nothings Changes") oder der getragene, melancholische Kammerfolk des Orpheus und seiner Eurydike ("Wedding Song", "Epic (Part 1)" Flowers (Eurydicse's Song)", "If It's True").

Mit diesem außergewöhnlichen Projekt hat sich Anais Mitchell nach dem großartigen Soloalbum "Hymns For The Exiled" (2007) endgültig ein Denkmal gesetzt. Mit poetischem Songwriting, zauberhaften Melodien und einem grandiosen Gesangs- und Instrumentalensemble führt sie eindringlich vor, wie kunstvoll und betörend zeitgenössischer Folk klingen kann.

Trackliste

  1. 1. Wedding Song
  2. 2. Epic (Part 1)
  3. 3. Way Down Hadestown
  4. 4. Songbird Intro
  5. 5. Hey, Little Songbird
  6. 6. Gone, I'm Gone
  7. 7. When The Chips Are Down
  8. 8. Wait For Me
  9. 9. Why We Build The Wall
  10. 10. Our Lady Of The Underground
  11. 11. Flowers (Euridice's Song)
  12. 12. Nothing Changes
  13. 13. If It's True
  14. 14. Papers (Hades Finds Out)
  15. 15. How Long?
  16. 16. Epic (Part 2)
  17. 17. Lover's Desire
  18. 18. His Kiss The Riot
  19. 19. Doubt Comes in
  20. 20. I Raise My Cup To Him

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