29. Juni 2004

"Das ist unsere Schock-Taktik!"

Interview geführt von

Als ich die Lobby des Martim Hotels in Berlin betrete, sind Ash weit und breit nicht zu sehen. Die seien gerade erst aufgestanden und bräuchten noch einen Moment, erklärt mir die Promoterin. Langsam trudelt dann auch die Band ein. Zuerst kommt Charlotte aus dem Aufzug. Sie sieht, obwohl sie noch nicht recht ausgeschlafen ist, so wunderbar strahlend aus, wie man es von den besten Promo-Fotos kennt. Umwerfend, leider ist sie auch ein wenig distanziert-cool, was später ein richtiges Gespräch mit ihr schwierig macht. Dann kommen Rick mit Müllsack statt Koffer und ein verstrahlter Mark aus dem Aufzug. Am längsten lässt Frontmann Tim Wheeler auf sich warten, er ist dafür im Gespräch aber auch am wachsten. In seinem feinen Bübchengesicht wuchert jetzt ein halb ausgewachsener Bart. Die Haare haben eine Unlänge und keine Frisur. Ob das als rotziges Pendant zum neuen, angeblich so harten Album von Ash gedacht ist?

Ihr spielt heute Abend mit den Pixies. Was haben sie euch früher bedeutet, als sie richtig groß waren?

Tim: Ich habe angefangen, ihre Musik zu mögen, als sich gerade aufgelöst hatten. Also habe ich sie nie gesehen. Aber sie sind dann eine meiner Lieblingsbands geworden. Es gab eine Zeit, da habe ich sie nonstop gehört. Die machen so interessante Gitarrenmusik. Die machen die Sachen einfach total anders. Twisted Lyrics und großartige Gitarrenparts.

Rick: Das ist so eine richtig mysterische Aura um sie herum. Sie haben nicht viele Interviews gegeben. Sie waren fast schon eine gesichtslose Band. Es gab eigentlich nur ihre Musik.

Wie fühlt es sich an, dass ihr heute mit ihnen spielen dürft?

Tim: Wir haben vor ein paar Wochen in Paris mit ihnen gespielt. Das war brilliant! Es ist schon allein großartig, sie zu sehen, die Band anzuschauen. Es ist cool, vor ihrem Publikum zu spielen, aber für uns ist das vor allem ein Fan-Ding.

Zu eurem Album: Viele Leute haben sich, als "Clones" rauskam, gefragt: Ist das ein Witz? Meinen die das ironisch. Mal ehrlich: schwingt da nicht ein wenig Ironie in den härteren Songs mit?

Tim: Nicht wirklich! Die Band muss darüber lachen Es ist halt anders. Es ist das Härteste, was wir je gemacht haben. Deshalb haben wir genau diesen Song zuerst rausgebracht. Damit die Leute ein wenig ausflippen und irritiert sind.

Rick: Das ist unsere Schock-Taktik.

Tim: Naja, ich kann schon verstehen, warum die Leute geschockt waren.

Rick: Das war ja auch die Idee dahinter: Die Leute schocken, sie zu überraschen.

Eure beiden ersten Singles waren ziemlich hart. Unter anderem deshalb haben die Leute angefangen, "Meltdown" auf diese Härte zu reduzieren.

Tim: Ich denke, "Orpheus" hat einfach einen super Refrain. Das macht den Song zu einer guten Single. Ich bin da wirklich stolz drauf.

Ihr fühlt euch also nicht auf diese Songs reduziert? Immerhin gibt es einen Lovesong auf eurem Album!? Viele Journalisten behaupten ja das Gegenteil und schreiben, Ash seien eigentlich gar nicht mehr Ash, mit dieser "Härte".

Tim: Unsere nächste Single wird "Starcrossed" sein, das ja eine Ballade ist. Das sollte wieder eine Balance herstellen. Hoffentlich überzeugen wir damit all die, die bisher dachten, unser Album sei zu heavy.

Also fühlt ihr euch nicht missverstanden?

Tim Wir können die Presse ja gar nicht lesen, wir wissen ja überhaupt nicht, was die so über uns sagen.

Hat sich in euch oder in der Band etwas verändert, das euch dazu angetrieben hat, euren Musikstil zu ändern?

Tim: Wir waren live schon immer ein bisschen härter und wollten das auf diesem Album festhalten. Wir waren lange auf Tour in den Staaten, bevor wir das Album aufnahmen. Und unsere Rock-Einflüsse kamen zurück, weißt du, Metal war die erste Musik, die wir richtig gehört haben. Aber dann kamen Nirvana, was unsere Sicht auf Musik total veränderte.

Wie läuft's denn für euch überhaupt in Amerika?

Tim: Ziemlich gut. Wir sind da sieben Monate lang als Support getourt. Zurück zu den Basics. Wir waren mit Coldplay, Moby und David Bowie unterwegs, mit Dashboard Confessional, Saves The Day und Our Lady Peace.

Erst Bowie, jetzt die Pixies. Ihr spielt ja mit all den Großen. Habt ihr Bowie auch mal getroffen?

Tim: Ja! Ein paar mal. Er ist sehr nett, freundlich. Und interessiert sich sehr für aktuelle Musik.

Wenn ihr sieben Monate auf Tour seid, geht ihr euch da nicht irgendwann auf die Nerven?

Tim: Nein, wir hatten da kein Problem mit. Nur einer unserer Roadies, der kam mit dem anderen nicht klar. Aber in der Band war das ständige Zusammensein völlig in Ordnung.

Euer Album schlägt ja eine komplett andere Richtung im Rock-Genre ein, als die der ganzen "The"-Bands. Wollt ihr euch damit irgendwie abgrenzen, denen etwas entgegen setzen?

Tim: Och, wir mögen diese Bands. Das ist jetzt nicht als Diss oder so gedacht. Wir sind einfach schon immer unseren eigenen Weg gegangen. Wir waren nie Teil von irgendetwas. Wenn die Leute denken, wir seien Teil einer Szene, schlagen wir eine andere Richtung ein.

Gibt es bestimmte Bands, die euch auf diesem Album besonders stark geprägt haben?

Tim: Die Queens Of The Stone Age haben uns dieses Mal ziemlich beeinflusst.

Rick: Es kommen auch viele ältere Einflüsse auf diesem Album durch. Zeug wie Nirvana, dieser amerikanische Rock-Sound. Wir wollten dieses Mal ein konsequenteres Album machen.

Ihr habt auch den Producer der Queens für "Meltdown" gewählt.

Mark: Er hat sich uns ausgesucht. Er hat uns eigentlich keine Wahl gelassen. Er sagte, er wird das Album machen und das war's.

Wirklich?

Marc: Ja, er war wirklich enthusiastisch. Das war das erste Mal seit zehn Jahren, dass wir mit jemand neuem gearbeitet haben.

Tim: Er hörte die Demos und war begeistert. Wenn es möglich gewesen wäre, er wäre schon am nächsten Tag mit uns ins Studio gegangen.

Wie ist er denn an die Demos gekommen?

Tim: Unser Label hat sie ihm geschickt.

Stimmt es, dass dieses Mal jedes Bandmitglied Songs zum Album beigesteuert hat?

Tim: Ich habe die meisten Songs geschrieben, aber jeder hat was dazu beigetragen. Ricks Drumspiel hat sich wirklich verbessert, Charlotte singt mehr auf der Platte. Auf diese Art war der Input von jedem wirklich wichtig.

Charlotte, ich habe gelesen, dass du ein Soloalbum aufnimmst. Wieso?

Charlotte: In den letzten fünf Jahren habe ich einige Songs geschrieben. Ich wollte das immer mal machen, hatte aber nie die Zeit dazu. Nachdem wir sieben Monate durch die Staaten getourt waren, haben wir ein wenig frei gehabt. Also hab ich es gemacht, bevor wir zu den Aufnahmen von "Meltdown" nach LA gefahren sind. Es wird im August in England erscheinen.

Meint ihr, dass die Crowd, vor der ihr spielt, sich sehr verändert hat in den Jahren, die ihr nun schon auf Tour geht?

Tim: Ja! Am Anfang war das ein sehr junges Publikum, Die waren so alt wie wir und sind nun mit uns älter geworden. Gleichzeitig sprechen wir aber auch immer noch ein jüngeres Publikum an. Außerdem haben wir ein paar von den älteren überzeugt. Die waren am Anfang ein wenig zynisch, weil wir so jung waren. Aber jetzt, wo wir schon so lange im Geschäft sind, schauen sie doch mal, was bei uns so passiert.

Eine andere Sache, die die Presse jetzt betont, ist, dass ihr doch bitte langsam mal erwachsen werden solltet. Fühlt ihr euch nicht erwachsen?

Tim: Wir sind durch höllisch viel Scheiße gegangen. Seit Jahren, so kommt's mir vor. Wenn du in einer Rockband bist, bist du sowieso in einem komischen Pubertätszustand.

Also macht ihr immer noch viel Party?

Tim: Öhm, ein wenig, ja!

Rick: Yep.

Die Band muss lachen. Dementsprechend fällt auch die Antwort auf meine letzte Frage aus:

Was würdet ihr euch wünschen, hättet ihr einen großen Wunsch frei?

Tim wünscht sich, am Abend mit den Pixies zu spielen, Marc ist, wie beim größten Teil des Interviews abwesend und wünscht sich wahrscheinlich nur wieder in sein Bett, Charlotte möchte den Weltfrieden, na ja, fast, sie wünscht sich, dass Kerry die Wahl in Amerika gewinnt. Und Rick … der möchte ganz bescheiden eine neue Leber haben. War doch ein bisschen viel Alkohol … vorgestern!

Das Interview führte Vicky Butscher

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