laut.de-Kritik

In diesem Soundtrack ohne Film flirtet Natasha mit dem Pop.

Review von

Ich habe "The Lost Boys" noch nie gesehen! "Die Goonies", "Die Reise Ins Labyrinth", "Karate Kid", "Der Flug Des Navigators" und wie all die Klassiker der 1980er heißen, habe ich allesamt verschlungen, aber niemals "The Lost Boys". Ich habe keine Ahnung warum. Bis eben wusste ich auch nicht, dass von Regisseur Joel Schumacher eine Fortsetzung namens "The Lost Girls" geplant war. Natasha Khan aka Bat For Lashes wusste all dies sehr wohl.

Nach ihrem Hochzeitsdrama-Album "The Bride" zog Natasha nach Los Angeles, um ihre Film-Karriere voran zu bringen, und wollte eigentlich an einem Drehbuch für eben diese Fortsetzungs-Geschichte arbeiten. Es entwickelte sich eine übernatürliche Story, in dessen Mittelpunkt Nikki Pink steht, die sich in einen Normalsterblichen verliebt und von einer von Vampirinnen gespickte Motorradgang gejagt wird.

Eher nebenbei entstanden aus Spaß und Laune von den Filmen der Musik der Dekade (Cyndi Lauper, The Cure, The Blue Nile, David Bowie, Bananarama, Prince, John Williams) beeinflusste Songs. Stücke, die nun letztendlich "Lost Girls", einen Soundtrack ohne Film, bilden.

Ein weiteres Konzeptalbum also. Doch wo sich das Konzept auf dem Vorgänger nur auf die Texte bezog und sich nicht im Zusammenspiel mit der Musik wiederspiegelte, bilden beide auf "Lost Girls" nun eine Einheit. Eine weitaus weniger dramatische, in die Farben von den Sonnenuntergängen L.A.s getauchte.

Das Melodramatische der letzten beiden Longplayer fährt sie zurück. Die Tracks haben noch immer die tief in der Musik von Bat For Lashes verwurzelten Melancholie, weisen nun aber wieder die unbekümmerte Aura der ersten beiden Alben "Fur And Gold" und "Two Suns" aus.

Etwas Bahnbrechendes darf man hier nicht erwarten, aber aufgrund der Entstehungsgeschichte etwas, hinter dem die Künstlerin voll und ganz steht. Es sind eben wieder die 1980er, deren Revival uns so viel länger begleitet, als das Jahrzehnt dauerte. Langsam stellt sich die Frage, ob wir heute mit in einer Zeit voll 80s-Nostalgie ("Stranger Things", "Es", "GLOW") leben, oder ob diese vergangene Dekade ein ziemlich treffender Ausblick auf unsere heutige Zeit war. Diese in ihren ganz eigenen Sound einzubauen, gelingt Khan jedenfalls herrlich unverkrampft.

In "The Hunger" verbindet sie diesen mit ihrem so eigenen Gesang, Kirchenorgeln, treibenden Percussions und einer "Disintegration"-Gitarre. Kurz scheint der Song komplett vom The Cure-Meisterwerk entrissen, doch in seinem Umfeld wirkt er nie wie eine plumpe Kopie. Denn in seiner Dynamik erinnert er wiederum viel mehr an Kate Bushs "Hounds Of Love", um dann im Basslauf wieder den Weg über Peter Gabriels "So", im speziellen "Red Rain" zu gehen. Aus diesen einzelnen brillanten Versatzstücken erschafft sie eine eigenen harmonische Welt.

Das wie eine Luftspiegelung flackernde "Jasmine" verbindet anmutig Electro-Funk mit Synth-Pop. "Little girl cracks your heart in two / Sucks the juice till she turns you loose", flüstert Khan, während ihre Protagonistin sich am Blut ihres Opfers erfreut.

Wenn sie sich dann nahezu komplett zurückzieht zeigt sich der Filmmusik-Charakter des Album. Im mit einem Beat, der an Princes "Batdance" gemahnt unterlegten Funk-Disco-Stück "Feel For You" bleibt von ihr nicht mehr als ein "Oh, I love ya / I feel for you / Ah-ah-ah-ah, oh". Ein Song, der nahezu danach schreit, ihn auf ein einem BMX-Rad zu hören.

In "Vampires" verstummt sie komplett, gibt einem aus der Zeit gefallenem Saxofon ihren Platz. Nun wieder ganz Gothic, Rüschenhemd, und "Der Kleine Vampir" klingt das Lied, als hätten Siouxsie Sioux und Robert Smith Mitte der 1980er einen leicht angekitschten Hochzeitssong für Andrew Eldritch geschrieben.

Mit "Lost Girls" zeigt sich Bat For Lashes weitaus lebendiger, verspielter und weniger verkopft als zuletzt. Sie bleibt ihrer Dream Pop-Seele treu, fährt den Art Rock-Faktor deutlich zurück und flirtet so deutlich wie nie mit dem Pop. Wie auf jedem Album zeigt sie eine neue Seite von sich. In ihrer ständigen Weiterentwicklung greift sie sich Retro-Elemente, bindet diese in ihre so eigene Ästhetik, ohne dass sie den Blick auf die Künstlerin verklären.

Trackliste

  1. 1. Kids In The Dark
  2. 2. The Hunger
  3. 3. Feel For You
  4. 4. Desert Man
  5. 5. Jasmine
  6. 6. Vampires
  7. 7. So Good
  8. 8. Safe Tonight
  9. 9. Peach Sky
  10. 10. Mountains

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2 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Letztes Mal dachte ich, Du liegst voll daneben und nach intensiverem Hören hatte ich mich deinem Urteil zumindest doch angenähert. Die Ansätze waren gut und führten in wenigen Fällen auch zu genau den Songs, die ich mir unter dem Konzept von ihr erhoffte, blieben jedoch überwiegend textlich zu wenig konkret, dazu musikalisch für eine wie Natasha echt ungewohnt plump, ohne die subtile Detailverliebtheit und ohne die vielen Schnörkel und Haken, welche die Vorgänger vor der eindeutigen Zuordnung zu einem Genre bewahren. Dennoch gehe ich wohl auch heute noch sehr viel milder mit "The Bride" ins Gericht als Du, oder? Hat sich bei mir bei etwa 3,5/5 eingependelt. Weil's mich halt doch in vielen Songs berührt und mindestens partweise abholen kann.

    But oh, how the tables have turned... Mag an den Vorbildern und Versatzstücken liegen, für die ich zu jung bin und die bei mir auch durch "Nacharbeiten" nie bis über die zweite Garde hinaus kamen oder an der eindeutigen und vollständigen Einbettung des gesamten Soundkosmos in die medial so viel beschworene 80er-Dekade - aber bisher lässt's mich auf emotionaler Seite so kalt wie keins ihrer vorherigen Alben. Obwohl ich Dir recht gebe hinsichtlich gelungenem Konzept. Das ist auf "Lost Girls" musikalisch sogar so stringent und dicht wie nie zuvor präsent, aber es ist halt in Sachen Stil und Sound über alle Genres hinweg nie meine Dekade gewesen, wirklich ganz egal, wer sich in selbiger mit Musik versuchte oder sich Jahre später in Form eines Tributes ihrer musikalisch annahm.

    Immerhin lässt sich jedoch erneut eine musikalisch und produktionstechnisch (so sie sich denn dahingehend involviert) gelungene Entwicklung konstatieren, wie Du es ja auch in deiner Rezi tust. Diese Frau lebt ihre künstlerische Vision in so vielen verschiedenen Facetten und Medien bisher ohne spürbare Kompromisse aus und das ringt mir bis heute höchsten Respekt ab. Die Musik auf "Lost Girls" jedoch weiß mich nicht abzuholen.

    Bisher 2/5, mit Potential zu maximal 3 Sternen, schätze ich.

    • Vor 5 Jahren

      Jetzt will ich es bei dir wieder gut machen und dann das. :D Vielleicht braucht jeder von uns mal ein BFL-Album, das man nicht gut findet. Momentan sieht es aber so aus, als würden sie die Klasse ihrer ersten drei Alben erstmal nicht wieder erreichen. Trotzdem gefällt mit "Lost Girls" um einiges besser als "The Bride", auch wenn ich es heute wohl etwas wohlwollender sehe als damals und dir Kritik sicher anders schreiben würde.

  • Vor 5 Jahren

    Für mich ein Highlight 2019. Musikalisch war sie sicher schon anspruchsvoller, aber es funktioniert.
    Außerdem wird sie mit jeden Jahr schöner. ♥