laut.de-Kritik
Dieses Debüt weckt den Melting Pop in dir.
Review von Jasmin LützIch muss zugeben, mein lieber Bruder hat schon vor Jahren versucht, mich musikalisch zu schulen. Das ist ihm auch recht gut gelungen. Zwischen Michael Jackson-, The Cure-, A-ha- und Alice Cooper-Postern hat sich die gute Gitarrenmusik diverser Indie-Helden durchgesetzt. Jahre später habe ich es ebenfalls ihm zu verdanken, dass ich diese tolle Platte hier schon vor zwei Monaten aufmerksam hörte und sofort kaufen musste. Und das auch noch in Berlin.
Hinter dem wirren Bandnamen Beirut steckt ein 20-jähriger Amerikaner. Zach Condon aus Albuquerque hat die meisten Sachen alleine zu Hause aufgenommen. Auf seinem Debüt "Gulag Orkestar" vereinen sich vielfältige internationale Einflüsse von russischer Polka, traditionellem Folk bis hin zu verspielter Elektronik ("Scenic World"). Das Ergebnis sind elf wundervolle Popstücke, von denen man einfach nicht genug bekommt! Polka und melancholische Blasmusik hörte er bei seinen Großeltern, Immigranten aus Russland. Schon als Kind beschäftigte er sich demnach intensiv mit dieser Sprache.
Verstehen tut man wenig, aber bei derart glorreicher Musik muss man das auch nicht. Zahlreiche Instrumente wie Geige, Cello, Klarinette, Quetschebüggel, Ukulele, Schellenkranz, Mandoline und Piano sind zu hören. Theatralische, trinkfreudige Gesangsparts und pompöse Bläser wie in "Brandenburg" wecken den Melting Pop in dir. "The Gulag Orkestar" lässt die Höchstzahl an Endorphinen frei. Mit so viel Glückshormonen muss man erst einmal zurecht kommen. Gulag heißt übrigens nicht Gulasch, wie so mancher Laie vermutet, sondern ist ein Synonym für die Unterdrückung individueller Entfaltung in der Sowjetunion und bezeichnet ein System aus Zwangsarbeitslagern, Gefängnissen und Verbannungsorten unter der Herrschaft Stalins.
"Prenzlauerberg" kennen wir eigentlich nur aus der Hauptstadt und daran hat man sich mittlerweile satt gesehen. Aber hier wirbelt der Ohrwurm-Triumph noch Tage später genüsslich im Hörgang. Der sanft-jodelnden Stimme ist man selbst im Traum nicht überdrüssig. Auch ohne Wodka-Überdosis lässt es sich wunderbar grinsend durch die Stadt laufen. Es geht sogar so weit, dass man kurz davor ist, zu St. Martin aufs Pferd zu springen und mit dem Samariter gen Osten zu fliehen. Herrlich. Hier sind die wahren Narren los. "Rhineland (Heartland)" sollte ab dem 11.11. alle Kneipen und Jecken-Spelunken beschallen. Da kann so manche kölner Band die Koffer packen.
Der Musterschüler beschloss eines Tages durch Europa zu reisen. Seine Songtitel verraten, dass er vor allem Deutschland und Staaten des ehemaligen Ostblocks genauer unter die Lupe nahm, aus Italien schrieb er herzige Postkarten. Auf feucht-fröhlichen Festen lernte er jede Menge Musiker kennen, und in Serbien in nur einer Nacht vor allem die Lieder des Boban Markovic Orckstars lieben. Zurück in New York entsteht nach und nach sein erstes Album. Verschiedene Musiker gaben dem Debüt mit Violinen und Percussions den letzten Schliff. Somit ist "Gulag Orkestar" ein bemerkenswerter Einblick in alte und neue Sound-Traditionen. Mit "After The Curtain" fällt der Vorhang, es erschallt tosender Applaus. Die zusätzliche Bonus-EP mit bisher unveröffentlichten Tracks bildet die krönende Zugabe. Damit kommt das "Paris des nahen Ostens" direkt zu dir nach Hause!
23 Kommentare
Also, wenn sonst keiner einen Thread zu dem Album aufmachen will, mach ich ihn eben auf ...
Gehört wird das Album offenbar ja. Ich bin durch The Secrets draufgekommen. Und der betreffende Titel "After The Curtains" - vielleicht gar nicht mal ganz so typisch für das Album - ist nach wie vor mein Lieblingsstück.
Gulag Orkestar (http://www.laut.de/lautstark/cd-reviews/b/…) ist ein traumhaft schönes Stück Musik und gleichzeitig ein überaus interessantes popkulturelles Phänomen wie ich finde.
Also ich bin mir sehr sicher, dass es schon einen Thread zu diesem Album gibt. Aber das Album hat es auf jeden Fall verdient, in mehreren Threads gepriesen zu werden, wenngleich "Mount Wroclai" für mich wirklich das absolute Highlight darstellt und der Rest etwas abfällt. Aber immerhin auf hohem Niveau!
Es war in anderen Threads schon des öfteren die Rede von dem Album. Aber die Betreff-Suche liefert jedenfalls nix ...
"Mount Wroclai" ist dieses melancholische Stück mit Akkordeon und Trompete im Walzertakt, wo das Glockenspiel-Spiel so schön in den Song eingearbeitet ist...
Und ich hab mir, dank Herrn Kukuruz Verweis in diesem Thread, das Album zum Film "Die wunderbare Welt der Amelie" geholt. Gefällt mir auch echt gut, fand den Film schon ziemlich schön.
Die Idee war allerdings ursprünglich von Herrn jon ...
Um weitere Tips bin ich allerdings nicht verlegen. Wem "Gulag Orkestar" gefällt, sollte eventuell auch mal "A Hawk and a Hacksaw" probieren. Das ist Heather Trost (Violine) und Jeremy Barnes (früher Drummer bei Neutral Milk Hotel) - der hatte einen wesentlichen Einfluss auf "Gulag Orkestar".
Und wen die französische oder deutsche Sprache nicht verschreckt, natürlich: Die [url=www.17hippies.de]17 Hippies[/url] (meine Standard-Schleichwerbung).
Tatsache. Es war Herr Jon. Verzeihung. Lade mir deine EMpfehlungen gleich mal runter. Wenn es die bei Napster geben sollte.