laut.de-Kritik
Der Chicago Blues lebt.
Review von Giuliano BenassiDass sich da zwei getroffen hatten, machte 2013 das Album "Get Up!" deutlich: Auf der einen Seite Ben Harper, einer der bekanntesten und umtriebigsten Musiker weltweit, auf der anderen Charlie Musselwhite, der dank seiner Mundharmonika und Vergangenheit in der Chicagoer Blues-Szene der 1960er Jahre Kultstatus genießt.
Ein Grammy (für das beste Blues-Album) und eine Welttour später gingen sie erneut ins Studio. Never change a winning Team, also waren auch wieder Gitarrist Jason Mozersky und Bassist/Pianist Jesse Ingalls (mit denen Harper als Relentless7 musiziert) mit von der Partie. Alte Bekannte, wie auch Schlagzeuger Jimmy Paxson.
"Die erste Platte hat die Tür geöffnet, doch das war nur der Anfang" erklärt Harper, und wirkt dabei ebenso begeistert wie Musselwhite. Die Songs seien ihnen nur so zugeflogen, wie wilde Pferde, die es nicht erwarten kontten, loszurennen, so der Mundharmonika-Spieler.
Die Vorarbeit leistete aber wie so oft Harper, der die Texte komponierte und sich dabei von seinem Kumpel inspirieren ließ. Besonders der Titeltrack behandelt finstere Ereignisse in Musselwhites Vergangenheit. "Father left us here all alone / My poor mother is under a stone" singt er in der letzten Strophe - es ist der einzige Song, in dem er das Mikrophon übernimmt. Tatsächlich machte sich sein Vater früh aus Staub, während seine allein erziehende Mutter 2005 Opfer eines Raubüberfalls in ihrem eigenen Haus wurde. "Das ist persönlich. Und die Essenz des Blues. Viele sprechen vom Blues aus einer akademischen Perspektive, aus meiner Sicht geht es aber ums Gefühl. Dieses Gefühl ist rein. Dieser Song berührt mich jedes Mal", erklärt Musselwhite.
Ebenfalls persönlich fällt "The Bottle Wins Again" aus. Für Musselwhite, der seit 1987 nicht mehr trinkt, und auch für Harper. "Dieses Lied hat ein Alkoholiker geschrieben", meinte Musselwhites Ehefrau, als sie das Stück hörte. Harper dachte an seinen Vater, der ein Leben lang Alkoholprobleme hatte, und hörte nach den Aufnahmen selbst auf zu trinken.
Zwei Stücke, die das Album auch stilistisch zusammenfassen - "Bottle" mehr oder weniger akustisch, "Mercy" dagegen elektrisch. Chicago Blues goes 21st Century, sozusagen, allerdings entstanden in Santa Monica, Kalifornien.
Die Spielfreude der Beteiligten schwappt in allen Tracks über. "When I Go" und "Bad Habits" sorgen für einen furiosen Start, "Love And Trust" für einen ersten ruhigeren Moment. "Found The One" bietet jene Mischung aus Blues und Rock'n'Roll, aus Musselwhites erstem Studioalbum 1966.
Die zweite Hälfte des Albums beginnt melancholisch mit dem klavierbetonten "When Love Is Not Enough". "Trust You To Dig My Grave" kommt mit den zwei Hauptmusikern aus, Harper an der Akustikgitarre. "Movin' On" bietet wieder Chicago Blues erster Güte. Den Schluss macht eine einfühlsame Klavierballade. "On the kindness of strangers / I've come to depend / For a shoulder to lean or a hand to lend", singt Harper in der ersten Strophe.
Gut für ihn, dass er in Musselwhite einen Seelenverwandten gefunden hat. "Ich wurde dazu geboren, mit Charlie zu spielen". erklärt er. "Stücke schreiben, sie aufzunehmen und mit ihm auf der Bühne zu stehen - genau der richtige Rahmen für meine Musik".
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