Porträt

laut.de-Biographie

Billy Bragg

"Mit 21 stehst du auf der Spitze des Müllhaufens, mit 16 warst du der Klassenbeste. Alles, was du in der Schule gelernt hast, war, ein guter Arbeiter zu werden. Das System hat versagt, werde aber nicht selbst zum Versager" singt Billy Bragg 1983 in "To Have And To Have Not". Klare Worte, die sich gegen die neoliberale Politik der britischen Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher richten.

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Gerade die Eiserne Lady sei der Grund gewesen, weshalb er sich für eine Karriere als Musiker entschieden habe, erläutert Bragg in einem Interview. 1957 in Barking, Essex geboren, wächst er in einem Arbeiterhaushalt auf. Nach einem Clash-Konzert 1977 gründet er die Punk-Combo Riff Raff, die es trotz der Veröffentlichung mehrerer Singles und EPs nicht schafft, Fuß zu fassen. 1980 löst sie sich auf und Bragg tritt der britischen Armee bei. "Ich wollte lernen, Panzer zu fahren. Die 175 Pfund, die ich bezahlt habe, um wieder rauszukommen, waren das am besten ausgegebene Geld meines Lebens", erzählt er über seine überraschende Entscheidung. Nach drei Monaten steht er wieder auf der Straße.

Mit Gitarre, Verstärker und wutentbrannten Texten spielt Bragg bei jeder sich anbietenden Gelegenheit und erntet bald den Spitznamen "One Man Clash". Ein ehemaliger Pink Floyd-Manager wird auf ihn aufmerksam und verhilft ihn zu einem Plattenvertrag. Bereits mit dem Debütalbum " Life's A Riot With Spy Vs Spy" (1983) profiliert er sich als politischer Barde und setzt sich an die Spitze der Anti-Thatcher-Bewegung. Das Album erreicht Nummer 30 in den englischen Charts.

In den folgenden Jahren ist Braggs Name eng mit dem der Labour-Partei verbunden. Mitte der 80er Jahre gründet er die Bewegung "Red Wedge", dessen Ziel es ist, junge Wähler zu begeistern. Mit dabei sind zahlreiche bekannte Musiker, unter ihnen Paul Weller, Lloyd Cole und Jimmy Somerville. Bragg tritt häufig bei Gewerkschaftsveranstaltungen und Streiks auf, eine Tätigkeit, die seinen Beliebtheitsgrad erhöht: 1988 toppt er die englischen Charts mit einer Coverversion von "She's Leaving Home" der Beatles.

Nach dem Erdrutschsieg der Tories 1987 und der anschließenden Bewegung der Labours zur Mitte des politischen Spektrums löst sich die Verbindung Braggs zur Partei allmählich auf. Soziale Kritik bleibt weiterhin ein fester Bestandteil seiner Texte, jedoch befasst er sich auch zunehmend mit persönlichen Anliegen wie Kindheitserinnerungen, Beziehungen und Liebe.

Nach einer Zusammenarbeit mit Johnny Marr, die 1991 auf dem Album "Don't Try This At Home" zu hören ist, zieht er sich für einige Jahre aus dem Musikgeschäft zurück, um sich seiner Familie zu widmen. Als er sich 1996 mit "William Bloke" wieder meldet, ist aus dem 'Barden aus Barking' ein einflussreicher Singer/Songwriter geworden. Als solcher erhält er den Auftrag von Nora Guthrie, Texte ihres verstorbenen Vaters Woody ("This Land Is Your Land") zu vertonen. In Zusammenarbeit mit Wilco entstehen so die Alben "Mermaid Avenue" 1 und 2 (1998 und 2000).

Im neuen Jahrtausend bleibt er politisch aktiv. Zum 50. Thronjubiläum der Queen veröffentlicht er 2002 ein Stück mit dem tile "Take Down The Union Jack". "Großbritannien ist nicht cool, es ist nicht großartig, es ist kein richtiges Land, es hat nicht mal einen Schutzheiligen. Es ist nur ein wirtschaftlicher Zusammenschluss, dessen Verfallsdatum abgelaufen ist", singt er darin. 2004 nimmt er mit Less Than Jake einen Song für die Compilation "Rock Against Bush" auf.

Es ist nur eines von vielen Projekten, wobei die Veröffentlichtungen unter eigenem Namen seltener werden. Im ersten Jahrzenht kommen neben der gelungenen Retrospektive "Must I Paint You A Picture? The Essential Billy Bragg" lediglich "England, Half English" (2002) und "Mr. Love & Justice" (2008) heraus.

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Auch in Corona-Zeiten bleibt der Protestsänger regierungskritisch.
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Wie sehr ihn das "Mermaid Avenue"-Projekt nach wie vor beschäftigt, zeigt sich daran, dass 2012 zu Woody Guthries 100. Geburtstag neben einer dritten CD auch eine großartige Krönungsausgabe "Mermaid Avenue - The Complete Sessions" erscheint.

Dabei hat er zu diesem Zeitpunkt unter der Führung Joe Henrys bereits ein neues Album mit dem Titel "Tooth & Nail" aufgenommen, das aber erst 2013 erscheint. "Die meisten assoziieren meinen Namen mit politischen Hymnen, die im Kampf entstanden sind. Ich muss immer wieder daran erinnern, dass ich gleichzeitig der Sherpa der gebrochenen Herzen bin. Ich schreibe auch Lieder, die sich mit Beziehungen befassen. Insbesondere mit der Schwierigkeit, die Beziehungen zu denen aufrecht zu halten, die wir am meisten lieben", erklärt er.

Eine Zusammenarbeit, die 2016 weitere Früchte trägt: Mit zwei Gitarren und einem Tontechniker begeben sich Bragg und Henry auf eine Zugreise durch die USA, um gleisaffine Stücke aufzunehmen. Das grandiose Ergebnis trägt den Titel "Shine A Light" und führt sie durch die USA und Großbritannien auf gemeinsame Tour.

2017 veröffentlicht Bragg sein erstes Buch, eine Abhandlung über den Skiffle mit dem Titel "Roots, Radicals And Rockers: How Skiffle Changed The World". Dass er nach wie vor eine politische Seele besitzt, beweist er mit der Online-Veröffentlichung verschiedener Stücke zu den Themen Rassismus, Brexit oder neoliberale Politik, die er im selben Jahr auf einer EP mit dem aussagekräftigen Titel "Bridges Not Walls" sammelt.

Die erste Corona-Welle zwingt ihn in seine eigenen vier Wände wie alle anderen. Im April 2020 veröffentlicht Bragg einen Song mit dem Titel "Can't Be Here Today". "Ich weiß nicht, wann ich die Chance haben werde, dich zu umarmen, also möchte ich sagen / 'Ich vermisse dich, aber ich kann heute nicht da sein / Ich liebe dich und deshalb werde ich wegbleiben'", so der Refrain. Klingt er hier noch nach Woody Guthrie, ist das Album "The Million Things That Never Happened" Ende 2021 eher polierter Indie-Pop-Rock. Ungewohnt melancholisch setzt er sich darauf mit dem Älterwerden und den Schwierigkeiten der Corona-Lockdowns auseinander.

Da hilft nur eines: Zurück auf die Bühne zu kehren. Was er ab Oktober 2021 in Großbritannien und Irland auch tut. Anfang 2022 stehen erst Australien und Neuseeland auf dem Plan, im Frühsommer dann auch Deutschland.

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