15. Februar 2023
"Es gab diese Katerstimmung, und dann kam Zoom"
Interview geführt von Jasmin LützDie englische Künstlerin Tor Maries hat als Billy Nomates ihr zweites Album herausgebracht. "Cacti" ist ein sehr persönliches Werk.
Während der Pandemie wurde sie plötzlich von sehr viel mehr Menschen gehört. Viele Fans finden sich in ihren Songs wieder, empfinden die gleichen Gefühle oder haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch die politische und gesellschaftliche Lage ist in England weiterhin angespannt und schwer zu ertragen. Tor Maries erzählt uns von ihren Erfahrungen und ihre Sichtweise, aber spricht auch im Namen vieler Musiker und Musikerinnen in ihrem Freundeskreis. Leider haben wir uns nur virtuell getroffen, aber um so mehr freuen wir uns Billy Nomates bald auch live in Deutschland auf der Bühne zu erleben.
Hallo Tor, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?
Danke, es geht mir gut. Ich habe gerade noch ein wenig die Wohnung geputzt.
Ha, kenne ich. Das muss leider auch sein. Erst einmal möchte ich dir zu deinem neuen Album "Cacti" gratulieren.
Vielen Dank.
Dein erstes Album "Billy Nomates" hast du während der Pandemie herausgebracht. "Cacti" ist letzten Monat erschienen und es gibt kaum noch Einschränkungen. Man darf wieder auf Veranstaltungen und kann auf Tour gehen. Wie fühlt sich das an?
Ich habe die Songs schon vorher geschrieben und dann ist das Album während der Pandemie herausgekommen. Das war trotzdem, wie für uns alle, eine schwere Zeit. Es ist gerade sowieso eine komische Zeit für englische Musiker. Es gab Corona und jetzt haben wir diese Regierung. Ich weiß nicht, ob du das verfolgst, aber es ist geradezu unmöglich, zu arbeiten. Ich habe viele Freunde, die Musiker sind und in Bands spielen. Es ist für sie nicht mehr möglich, einfach nach Europa zu reisen. Das ist traurig, was hier gerade passiert. Dennoch habe ich nicht aufgehört Songs zu schreiben. Ich schreibe weiterhin Texte. Ich sehe mich sowieso mehr als schreibende Künstlerin und weniger als Performerin. Die Texte zu "Cacti" habe ich letztes Jahr geschrieben, und ja, das hat mich wirklich gerettet. Ich hatte kürzlich noch ein Gespräch mit einem Freund, der auch Musiker ist, und es sind wirklich keine guten Zeiten. Ich hoffe, dass wir irgendwie wieder an den Punkt kommen, dass es einfacher wird. Für Bands, Künstler aus Europa ist es ja auch nicht mehr so einfach, ins UK zu reisen. Ich liebe es in Europa zu spielen. Sehr viel lieber als irgendwo auf der Welt. Der Austausch ist immer offen und ich fühle mich dort sehr willkommen und aufgehoben. Man wird als Künstler wertgeschätzt. Aber ich will da jetzt gar nicht so emotional werden ...
Es ist wirklich traurig, aber es gibt dann doch noch positive Nachrichten. Du kommst jetzt bald für ein paar Konzerte nach Deutschland.
Ja genau. Im November war ich hier in England unterwegs und ich komme im Frühjahr nach Deutschland.
Warst du vorher schon mal hier?
Ich habe schon mal auf einem Festival gespielt, aber ich kann mich nicht erinnern, wie das hieß. Das war letztes Jahr in Hamburg.
Reeperbahn Festival?
Genau. Aber ich war noch nie in Berlin, und ich habe so viele Freunde dort, die immer gesagt haben: Du muss hierhin kommen. Ich freue mich auf Deutschland. Ich habe dort einige Fans, auch noch aus alten Zeiten. Diesmal bringe ich meine Songs mit und versuche mein Bestes.
Ich drücke den Daumen, dass alles so läuft, wie du dir das wünschst. Deine Songs schreibst du vorwiegend zu Hause in Bristol. Du bist auch noch in Bristol, oder?
Ja, ich bin jetzt wieder hier.
Während der Pandemie sah man dich häufiger in der Natur. Das war auf der Isle of Wight, richtig?
Genau, mein Vater hat ein Haus dort, und das war eine verrückte Zeit. Ich hatte einen Job, bevor mein erstes Album rauskam, und diese Arbeit habe ich dann verloren. Das Album musste ich erst mal zurückstellen. Ich musste mich erst mal zurechtfinden. Es gab die Platte, und ich hatte keinen Job mehr. Was passiert jetzt und wie soll es weitergehen? Ich konnte meine Miete plötzlich nicht mehr zahlen und bin weg von Bristol zu meinem Vater. Viele Songs entstehen bei mir zu Hause, und meine Musik soll zeigen, wie schwierig alles ist, aber dass man auch nicht aufgeben soll. Irgendwie geht es auch weiter.
Inhaltlich geht es schon viel um schlechten Erfahrungen und Erlebnisse. Man kann schon sagen, dass ist ein sehr persönliches Album?
Auf jeden Fall. Es geht viel um Selbstreflexion.
Viele Zuhörer werden sich in deinen Texten wiedererkennen. Es gibt immer wieder auch humorvolle Zeilen, und ich denke, deine Songs bringen auch eine gewisse Hoffnung mit. Wie war oder wie ist die Reaktion auf dein Album? Ich nehme an, du bekommst haufenweise Post oder E-Mails von deinen Fans und natürlich auch Kritikern.
Ich versuche meine Aufmerksamkeit nicht mehr auf alle Reaktionen zu richten. Nach meinem ersten Album habe ich sehr viel Wert darauf gelegt, was die Leute sagen, und das ist wirklich gefährlich. Wenn sie es gut finden, dann ist das großartig. Wenn sie es geringschätzen, ist das auch gut. Es ändert nichts daran, wie du es und warum du es gemacht hast. Und deshalb versuche ich eigentlich gar nichts darüber zu lesen. Ich weiß genau, warum ich "Cacti" geschrieben habe. Mir sind viele Dinge im Leben passiert und so, wie du es gesagt hast, passiert es vielen Menschen auf der Welt. Eine gute und eine schlechte Kritik sind für mich dasselbe. Und wenn ich an beides nicht mehr glaube, dann bin ich in Gefahr (lacht).
Wahrscheinlich bekommst du sowieso direkte Reaktionen von deinen Freunden und deiner Familie. Wenn du einen Song fertig hast, spielst du ihn vor Veröffentlichung einem Freund, einer Freundin vor?
Manchmal ja. Die Menschen, denen ich wirklich vertraue, kann ich an einer Hand abzählen. Und wenn es ein Demo gibt, dann schicke ich es auch schon mal an einen Menschen meines Vertrauens. Ich bin dann immer ganz aufgeregt und warte gespannt auf die Reaktion. Es gibt dann auch Situationen, wo ich nach ein paar Stunden nachfrage, und dann heißt es: Oh, sorry, ich habe noch gar nicht reingehört. Und ich reagiere dann ganz überrascht: Was? Das sind also meine Freunde (lacht).
Bevorzugst du beim Schreiben deiner Songs die Stille? Während der Pandemie warst du ja auf der Isle of Wight, und da gibt es bestimmt viele ruhige Ecken. Oder passiert dann doch mehr in der Stadt und in deiner Küche zu Hause?
Ehrlich gesagt, während der Pandemie habe ich sehr viel auf Wände gestarrt. Das war eher ein Prozess und ich musste meine Gedanken sortieren. So ging es aber vielen Musikern, mit denen ich gesprochen habe. Generell mag ich es, an verschiedenen Orten zu schreiben. Im Studio funktioniert das, aber auch zu Hause. In meiner Küche kann ich bis tief in die Nacht an Songs arbeiten. Es ist eine sehr persönliche Umgebung. Im Sommer nach der Tour werde ich mir einen anderen Raum suchen, um neue Songs zu schreiben. Für mich bedeutet eine andere Umgebung neue Gewohnheiten und andere Reflexionen. Ich mag es, an verschiedenen Plätzen zu sein.
"Es gab diese Katerstimmung, und dann kam Zoom"
Träumst du nachts eigentlich immer noch von Lockdowns? In dem letzten Song "Blackout Signal" auf deinem Album gibt es die Zeile: "I can't wait for the black out signal, i dream of shutdowns now" ... Ich glaube, in vielen Köpfen existiert die Pandemie nicht mehr, was ja auch ok ist. Mich beschäftigt sie immer noch, und deshalb finde ich es auch immer noch interessant darüber zu reden, wie da jeder so durchgekommen ist. Und es gab ja auch Unterschiede in den einzelnen Ländern. Wir durften noch auf die Straße gehen, in Italien oder England war das eine Zeitlang gar nicht möglich oder zumindest nur kurz zum Einkaufen.
Am Anfang bereitete die Situation allen Kopfschmerzen und ich denke, jeder fand es beängstigend. Irgendwann wurde es dann aber fast schon zur Routine. Es gab diese Katerstimmung, die die Pandemie verursachte, und dann kam plötzlich Zoom. Ich habe davor noch nie was davon gehört. Wir haben das auch nie genutzt. Es war normal, nach Deutschland zu fliegen und vor Ort das Interview zu führen. Jetzt hat uns die Pandemie gezeigt, dass das nicht mehr nötig ist. Auf einer Seite war das bequem. Auch zu sehen, dass der Kapitalismus nicht mehr auf Hochtouren lief. Aber dann sieht man, wie schnell es wieder wechselt. Ich frage mich, was geschieht, wenn so was noch mal passiert? Wenn wir die Welt betrachten, wie sie heute ist, dann ist das schon möglich. In "Blackout Signal" geht es darum, was als nächstes kommt. Es ist nur ein Gedanke. Die Leute empfinden den Song vielleicht eher als hoffnungslos und düster, aber ich mache mir einfach nur Gedanken darüber, wie es dann sein wird. Ob es ähnlich abläuft oder ganz anders.
Die Pandemie hat uns auch positive Dinge gezeigt. Da gab es schon eine Solidarität, und auch Zoom hatte oder hat seine Vorteile. In England ging es schon früher los mit Veranstaltungen und Konzerten. Du warst mit Sleaford Mods unterwegs. Wie war das?
Das war schon komisch. Wir wussten nicht genau, ob das richtig ist. Aber wir haben es gemacht. Es war seltsam, aber heute ist es noch seltsamer, auf der Bühne zu stehen. Man denkt, es sei schon 20 Jahre her, es fühlt sich an, als wäre nie was gewesen. Und das ist schlimm. Dein Gehirn muss Dinge verarbeiten, aber du steigst einfach wieder auf den Zug des Lebens. Wir müssen aber weiterhin darüber reden. Ich werde das auch weiterhin tun. Als Künstlerin muss das sowieso irgendwann alles raus, was dich beschäftigt.
Im Grunde genommen spüren wir alle ja auch noch die Nachwehen. Ich weiß nicht, wie das in England gerade ist, aber hier bemerken Veranstalter und Künstler, dass der Vorverkauf bei vielen Konzerten nicht mehr so gut läuft. Das betrifft natürlich wieder vorwiegend die nichtkommerziellen Künstler. Viele Veranstaltungen werden abgesagt. Die Menschen gehen weniger aus. Entweder haben sie noch Berührungsängste oder es fehlt das Geld, weil ja alles auch teurer geworden ist.
Das ist das Ding und auch hier ein großes Thema. Meine Freunde, die sind in ihren Dreißigern, gehen auch nicht mehr so viel aus. Wir reden darüber und es ist immer noch diese Katerstimmung, aber vor allem fehlt auch einfach das Geld. Man versucht sein Bestes, aber es ist schwierig. Es ist das Zeitalter der Introvertierten. Und diese Menschen haben es mit einer modernen Welt zu tun und müssen in dieser zurechtkommen. Es ist was es ist.
"Wenn du keine Band mit auf Tour nehmen kannst, wie sollst du dann eine Familie haben?"
Deine Musik wird jetzt von einem größeren Publikum gehört, und das ist auch gut so. Wie genau kam es zu der Zusammenarbeit damals mit Sleaford Mods?
Eigentlich lief das über Andrew. Ich habe damals Songs gemacht, und er ja auch, und wir fingen an, unsere Musik gegenseitig zu liken. So lerne ich eigentlich die meisten Musiker kennen. Und dann lief alles so wie bei einem Dominoeffekt.
Gibt es noch andere Bands, Musiker, mit denen du gerne was machen willst?
Bestimmt. Das müssen jetzt auch gar keine berühmten Musiker sein. Mir macht es Spaß mit anderen Künstlern zu arbeiten. Aber einen gibt es noch, mit dem ich gerne mal was machen möchte Steve Albini, ja. Das wäre großartig.
Gab es da schon mal einen Kontakt?
Er hat schon mal schöne Dinge über Billy Nomates gesagt und scheint ein wirklich netter Mensch zu sein. Das ist für mich das Wichtigste. Die Person, mit der ich zusammen arbeite, muss ein netter Mensch sein.
Was hörst du denn generell für Musik?
Wenn ich selbst Songs schreibe, dann höre ich keine andere Musik. Ich schalte währenddessen auch kein Radio ein. Es gibt aber diesen unterbewussten Einfluss. Das passiert ganz normal in Verbindung mit jemanden oder wenn man in ein anderes Haus kommt, und da läuft Musik im Hintergrund. Das ist dann eher so ein vorübergehendes Ding, eine flüchtige Sache. Ich bin mehr visuell aktiv, im Aufnehmen von Dingen. Wenn ich etwas sehe, dann ist es eine Art Wiederaufleben. Es gibt verschiedene Formen des Einflusses für mich.
Gehst du auch gerne auf Konzerte?
Letztes Jahr im November war das, glaube ich. Da muss ich aber auch wieder nachdenken, wer das war. Ah, die letzte Band, die ich gesehen habe, waren Divide and Dissolve. Eine Metalband aus Australien. Die waren cool.
Wenn du jetzt in Deutschland auf Tour gehst, dann bist du sicherlich nicht allein unterwegs?
Ich habe jetzt einen Tourmanager dabei und einen Fahrer. Ich hoffe auch, dass noch ein Freund des Hauses dabei ist. Wir versuchen, es klein zu halten, wir müssen es klein halten. Ich hätte gerne eine Band dabei. Ich war auch immer gerne mit mehreren Musikern unterwegs, aber jetzt versuche ich, solo mein Bestes zu geben.
Es gibt viele Künstler, die früher in einer Band gespielt haben und jetzt lieber solo unterwegs sind. Ich beobachte das auch mit Beziehungen. Es gibt viele Freunde, die verheiratet sind, Kinder haben oder zu zweit leben, aber es gibt auch sehr viele Singles, die aus unterschiedlichsten Gründen allein leben. Ist das ein neuer Trend?
Ich denke, es verändert sich sehr viel im Moment. Nicht nur im kulturellen Bereich. Es gibt viele Menschen, die selbständig arbeiten. Viele davon entscheiden sich, allein zu wohnen und nicht zu heiraten. Viele wollen auch gar keine Kinder haben. Es hat sicherlich wirtschaftliche Gründe. Es gibt eine wirtschaftliche Krise hier in Großbritannien. Wenn du keine Band mit auf Tour nehmen kannst, wie sollst du dann eine Familie haben? Wie soll das funktionieren? Ein Haus bauen für die Familie? Wir können das nicht leisten.
Die Klimakrise spielt sicherlich auch eine Rolle. Und in Großbritannien weiß man ja auch gar nicht, wie es da überhaupt weitergeht.
Ja, das weiß keiner. Ich habe aufgehört, die Nachrichten zu hören, weil das wirklich ungesund ist. Es ist einfach nur schrecklich. Um deine mentale Gesundheit zu schützen, musst du aufhören, dir das alles anzuhören. Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich kann nur hoffen, dass genügend Leute umdenken, zurückkehren ... aber das ist schwierig. In England gibt es nicht diese Empathie anderen Menschen gegenüber. Wir sind nicht in der Lage, zu heilen oder Fehler zu korrigieren. Es läuft einfach nicht gut. Musiker und viele andere müssen jeden Tag kämpfen. Ich weiß, dass die Regierung nicht will, dass ich in irgendeiner Weise mit meiner Musik erfolgreich bin. Es gibt absolut keinen Support. Und das macht es für mich und alle anderen Musiker noch schwieriger. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Es ist eine seltsame kleine Insel.
Was war denn der schlimmste Job, den du jemals gemacht hast und hoffentlich auch nie wieder machen musst.
Ja, bitte Daumen drücken. Da gab es einige Arbeiten. Ich habe in einem Call Center gearbeitet. Ich glaube, es war noch nicht mal eine Woche, aber ich bin einfach nicht mehr hingegangen.
Und wahrscheinlich noch ganz schlecht bezahlt.
Richtig schlecht bezahlt, ja.
Kommen wir zur letzten Frage. Eigentlich stelle ich die immer am Anfang, egal. Was war deine erste Liebe?
Ich glaube, das war Laufen. Ja, als ich alt genug war, um allein durch den Wald zu laufen. Später auch mit dem Fahrrad. Das klingt vielleicht langweilig, aber allein im Wald spazieren gehen, ist meine große Leidenschaft. Das hat mir immer schon Spaß gemacht und tut es auch noch. Ich glaube, das wird sehr unterschätzt. Aber wenn du in der Stadt wohnst, ist das ein essenzielles Bedürfnis.
Das ist eine sehr schöne Antwort. Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für dich!
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Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
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Alles, was ich so von ihr mitbekomme und lese macht sie sehr sympathisch. Cacti ist ihr auch sehr gut gelungen!