20. Januar 2022
"Ich glaube an das Album-Format"
Interview geführt von Connor EndtSechs Jahre lang mussten Fans auf ein neues Billy Talent-Album warten, doch jetzt ist "Crisis Of Faith" erschienen.
Lange Zeit war es still um die Alternative-Rocker aus Mississauga, Kanada. Dann erschien auf ihrem YouTube-Kanal eine ganze Reihe kryptischer Kurzfilme, die bruchstückhaft mit neuen Songs unterlegt waren. Per ZOOM erklärt der gut gelaunte Benjamin Kowalewicz, was es mit dieser neuen Output-Form auf sich hat. Außerdem versuchen wir die Frage zu klären, warum Billy Talent besonders in Deutschland so populär sind.
Benjamin, das letzte Billy Talent Album "Afraid Of Heights“ ist 2016 erschienen, was ist in der Zwischenzeit passiert?
Dude, es ist so viel passiert in den letzten Jahren. Es kommt mir komisch vor, wenn ich daran denke, dass so ein großer Abstand zwischen den Alben liegt. Unsere Band hat bisher so funktioniert, dass wir ein Album aufgenommen haben und danach auf Tour gegangen sind. Wir sind nach dem Release von "Afraid Of Heights" lange unterwegs gewesen. Danach ging es dann auch schon direkt wieder ins Studio, weil wir ein paar Ideen aufnehmen wollten. Gleichzeitig waren wir gelangweilt vom traditionellen Weg, Musik rauszubringen. Wir entschieden, dass es mal etwas anderes wäre, für unsere Fans und auch für uns, wenn wir einzelne Songs aufnehmen und die einzeln veröffentlichen. Am Ende wollten wir das alles dann nochmal als Sammlung, also als klassisches Album, herausbringen. Wir haben außerdem einen Kurzfilm produziert, der in mehreren Episoden die einzelnen Songs begleitet. Wir hatten ungefähr das halbe Album aufgenommen, als der erste Lockdown kam. Dann mussten wir über ein halbes Jahr warten, bis wir das andere Material aufnehmen konnten. Gerade sind wir hier in Kanada in einem weiteren Lockdown, nichts hat sich wirklich verändert. Sechs Jahre Pause hören sich nach einer langen Zeit an, aber es gab einfach eine Menge Faktoren, die wir nicht beeinflussen konnten.
Wie habt ihr die Songs aufgenommen? Hat sich durch die Pandemie etwas verändert?
Wir mussten unsere Sachen alle einzeln aufnehmen. Ian [Ian D'Sa, Gitarrist der Band] und Jordan [Jordan Hastings, Schlagzeuger der Band] haben die Instrumente aufgenommen, dann haben Ian und ich an den Lyrics gearbeitet und den Gesang aufgenommen. Der ganze Aufnahmeprozess war komplett anders als das, was wir sonst gewöhnt sind. Aber es hat funktioniert!
War es schwieriger für euch, auf diese Art aufzunehmen, anstatt alle Songs zusammen einzuspielen?
Total. Das Gute war, dass wir die Songs schon fertig hatten. Die Melodien und Arrangements waren schon zu 90 Prozent fertig. Aber weißt du, Musik sollte man zusammen spielen. Mein Herz hängt da einfach dran, mit im Studio zu sein und den ganzen Prozess mitzuerleben. Genau deswegen ist man ja Teil einer Band. So war es zwar nicht ideal, aber wir haben es hinbekommen. Das ist ja auch das, was wir alle in den letzten zwei Jahren gelernt haben: nichts ist wirklich ideal, aber wir müssen einfach damit klarkommen und versuchen, das beste aus der Situation zu machen.
Lass uns noch mal über die Idee sprechen, Songs einzeln zu veröffentlichen. Ist es nicht mehr zeitgemäß, ganze Alben zu veröffentlichen?
Das ist eine gute Frage, ich weiß es nicht. Wenn du etwas so lange wie wir gemacht hast, musst du bereit sein, flexibel und offen zu bleiben für neue Ideen. Die Art und Weise, wie Leute Musik konsumieren, hat sich in den letzten zwanzig Jahren um Lichtjahre verändert. Leute hören heute eher einzelne Songs als ganze Alben. Deshalb haben wir einzelne Songs herausgebracht, wobei jetzt am Ende ja doch ein vollständiges Album steht. Ich persönlich glaube immer noch an das Album. Ich glaube, meiner Generation geht es auch so. Es gibt immer noch Leute, die ganze Alben, von Anfang bis Ende, durchhören. Wir verstehen aber auch, dass es Leute gibt, die nur noch einzelne Songs wollen.
Es gibt eine Billy Talent-App, mit der man eure Songs nachspielen kann und Videos, wie ihr euch auf die Arbeit im Studio vorbereitet. Wie hat sich die Art und Weise verändert, wie ihr mit euren Fans kommuniziert?
Das hat sich komplett verändert. Alleine die Art und Weise, wie sich Fans über deine Band informieren können, ist heute ja ganz anders. Social Media spielt eine immer größere Rolle. Wegen dieser App ist jemand auf uns zugekommen und das ist doch cool, dass es ein Spiel mit einem musikalischen Aspekt ist. Wir werden jetzt deshalb aber nicht auf jeden Trend aufspringen. Wir wollen authentisch sein bei dem, was wir tun.
"Weezer hatten großen Einfluss auf uns"
Das neue Album startet mit dem sechsminütigen "Forgiveness I + II", darauf sind Synthesizer und Blechbläser zu hören, das fand ich relativ überraschend. Wieso habt ihr euren Sound so drastisch geändert?
We don't give a fuck anymore! (lacht) Wir machen nur das, was wir wollen, das haben wir schon immer so gemacht. Bei "Forgiveness" ist Ian mit diesem epischen Riff zu uns gekommen, das so klingt, als wenn man gerade auf einem Pferd durch die Wüste reitet. Dann kommt dieser Wechsel, der mich ein bisschen an Pink Floyd erinnert. Wir haben uns da keine Limits gesetzt. Das Saxophon-Solo war eigentlich ein Gitarren-Solo, aber Ian hat dann mit verschiedenen Plugins herumprobiert und das Saxophon hat am besten gepasst. Er ist dann zu mir gekommen und meinte: Ich muss dir was sagen. Ich glaube, wir brauchen ein Saxophon auf dem Song. Und ich liebe es! Ich bin immer offen, die Grenzen zu verschieben. Am Ende ist es also bei den Blechbläsern geblieben und wir hatten das Glück, dass wir die auch in echt aufnehmen konnten. Es ist cool, sich nicht zu beschränken und dem Song einfach das zu geben, was er braucht.
Du hast es selbst gesagt, ihr macht seit mittlerweile über 20 Jahren Musik. Müssen Billy Talent noch irgendjemand etwas beweisen?
Es ging nie darum, etwas zu beweisen. Wir haben einfach immer versucht, gute Menschen zu sein, die besten Songs zu schreiben und die besten Auftritte hinzulegen. Ich muss niemandem etwas beweisen, außer mir selbst. Wir versuchen, gute Botschaften in die Welt zu setzen und für Toleranz und Akzeptanz zu werben.
Ihr habt zum ersten Mal ein Feature auf dem Album – Rivers Cuomo, den Frontmann von Weezer. Wie kam das zustande? Und warum Weezer?
Der Song "End Of Me" hat ja einen ziemlichen Old School Punkrock-Vibe. Das ist die Musik, mit der wir groß geworden sind. Wir waren so 16 oder 17 Jahre alt, als Weezer sich gegründet haben. Sie hatten mindestens einen so großen Einfluss auf unsere Band wie Rage Against The Machine, Pearl Jam, Nirvana oder Soundgarden. Diese ganzen 90er-Alternativebands eben. Als ich unseren Song das erste Mal mit meinem Gesang gehört habe, dachte ich: Wir müssen Rivers fragen! Da war der Song schon seit Monaten fertig. Die anderen Bandmitglieder haben erst gelacht, aber dann meinte ich, dass es mir ernst damit ist. Also haben wir Rivers Cuomo geschrieben und er meinte, dass er den Song mag. Dann haben wir mehrere Monate lang gar nichts mehr gehört (lacht). Und dann kam auf einmal eine Mail von ihm und er hatte bereits seine ganzen Parts aufgenommen. Ich finde, wenn man den Song jetzt hört, kann man ihn sich gar nicht mehr ohne Rivers Gesang vorstellen. Gleichzeitig schließt sich mit dem Song für uns der Kreis: wir waren so lange Weezer-Fans und wir sind so glücklich, dass er jetzt auf einem unserer Songs vertreten ist.
"Jeder muss sich sicher fühlen"
Das letzte Interview mit euch haben wir 2014 gemacht. Das war damals mit Aaron [Schlagzeuger Aaron Solowoniuk, der krankheitsbedingt eine Auszeit nimmt], und es ging viel darum, ob Donald Trump der nächste US-Präsident wird. Was dann ja auch passiert ist. Wie habt ihr diese Zeit erlebt?
Die Zeit war beängstigend. Das wird sicher in die Geschichtsbücher eingehen als die seltsamste Zeit der letzten hundert Jahre. Am gruseligsten finde ich, wie tief dieses Land gespalten ist. So viele Leute zu sehen, die so einen großen Hass aufeinander verspüren. Trump hat ja nicht nur Kanada oder die USA betroffen, sondern praktisch die ganze Welt. Das war ein echt seltsamer Moment in der Geschichte, und ich hoffe, dass wir den nicht noch mal wiederholen müssen. Ich bin einfach froh, dass dieses Zeit vorbei ist.
Ja, so geht es sicher den meisten Menschen.
Was wir davon mitnehmen können ist doch: egal ob Pandemie, Klimakrise oder das ganze Chaos weltweit. Wir müssen aus unseren Fehlern lernen und große Schritten nach vorne machen, uns nach vorne bewegen statt rückwärts.
Was bedeutet "Crisis of Faith" für dich? Ist das Album eine Reaktion auf die Pandemie oder ein anderes konkretes Ereignis?
Es ist ein bisschen von allem. Für viele von uns ist das gerade die größte Herausforderung in ihrem Leben. Es lässt uns an unserem Glauben in uns selbst, in Freunde zweifeln. Wir wurden wortwörtlich alleine gelassen. Was ich aus der Pandemie gelernt habe: du musst in dich selbst vertrauen. Ich versuche, ein besserer Freund, Vater und auch ein besseres Bandmitglied zu sein. Wir müssen zuversichtlich und empathisch bleiben und dürfen nicht den Glauben daran verlieren, dass auch wieder bessere Tage kommen.
Ihr habt drei Millionen Alben verkauft, fast die Hälfte davon in Deutschland. Woher kommt dieser Erfolg in Deutschland, kannst du dir das erklären?
Ich kann das nicht wirklich erklären, ich glaube, da sind eine Menge unterschiedlicher Faktoren zusammengekommen. Ein Grund waren sicher die Leute von unserem Label, die wirklich an uns geglaubt haben. Vielleicht auch die Tatsache, dass wir angefangen haben, eher kleinere Clubs zu spielen. Zum Beispiel das Molotow in Hamburg. Wir haben dann langsam angefangen, jedes Mal größere Shows zu spielen. Und wir sind halt immer wieder gekommen. Glücklicherweise haben uns Bands wie die Beatsteaks mit auf Tour genommen in den Anfangstagen. Wir haben die Möglichkeit bekommen, bei den großen Festivals zu spielen, Southside und Rock am Ring zum Beispiel. Wir sind unendlich dankbar, dass wir so eine wunderbare Verbindung mit Deutschland haben. Auf der logischen Ebene kann ich das alles so erklären, aber es gibt auch Faktoren, die ich nicht erklären kann. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich sie erklären will, wir sind einfach sehr glücklich, dass alles so gekommen ist.
Das neue Album erscheint Ende Januar. Wie plant man in solchen Zeiten eine Tour?
Gerade nehmen wir jeden Tag so wie er kommt. Wir haben ein paar Shows, gerade beten wir jeden Tag und hoffen, dass die Shows sicher stattfinden können. Wir sind so aufgeregt, bald wieder live zu spielen. Das ist unser großes Ziel für dieses Jahr: endlich wieder auf der Bühne zu stehen.
Gerade kann ja auch noch überhaupt niemand vorhersagen, wie es weitergeht mit Corona.
Genau, das ist es. Uns ist es sehr wichtig, dass sich alle Leute sicher fühlen, die eine Show erst ermöglichen: die Techniker, die Bar-Leute, die Fans, die ganze Crew. Jeder muss sich sicher fühlen. Wenn wir diesen Punkt erreichen, können wir die Shows spielen.
1 Kommentar
Ich war damals (ich glaube 2004) bei dem Konzert im Molotow (Hamburg) von dem Kowalewicz hier spricht. Bis heute eines der besten Konzerte, wenn nicht sogar das beste Konzert, auf dem ich je war!
Bedauerlicherweise konnte (oder wollte) Billy Talent diesen "Underground-sound" vom ersten Album nicht beibehalten, was man gerade auf dem neuen Album sehr gut hört!
Wenn ich mir allerdings die Album-Review von laut hier durchlese, scheint ja von Musik-Kritiker-Seite diese "Abwechslung" oder "Weiterentwicklung" bei Bands enorm wichtig zu sein!