27. März 2012

Stimme, Klavier und einen Koffer voller Cover

Interview geführt von

Jasmine van den Bogaerde ist gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Mit ihrer Interpretation von Bon Ivers "Skinny Love" eroberte die Britin 2011 zuerst die Webcommunity, anschließend das Majorlabel. Jetzt erscheint ihr Debütalbum in Deutschland.Manchmal hat man noch so Weckerlebnisse. Mit einem Mal wird man seiner Scheuklappen gewahr, dem eigenen Tunnelblick als Journalist nämlich. Weil die Popwelt sich immer schneller zu drehen scheint, sich die Projektionsfläche Popmusiker in Zeiten des nunmehr allseits verfügbaren Internetwissens unaufhaltsam auszudehnen scheint, dadurch die Selbstrepräsentation neben der eigentlichen Musik weiter an Relevanz gewinnt, sorgt eine Begegnung mit einem augenscheinlichen Gegenentwurf zunächst für mittelschweres Erstaunen. So auch im Aufzug des Hotels, in dem ich gleich das neue 15-jährige Wunderkind des Pianopops treffen werde.

Birdy ist ihr Pseudonym, Jasmine van den Bogaerde der bürgerliche Name. Mit ihrer am heimischen Klavier entstandenen Interpretation des Bon Iver-Folkhits "Skinny Love" sorgte die Britin aus New Forest, Hampshire 2011 für einen gewaltigen YouTube-Hype (bis heute 19 Mio. Klicks). Weshalb nun ein ganzes Album mit Coverversionen folgt. "Bitte sei rücksichtsvoll. Sie ist sehr schüchtern", bereitet mich die Labelmitarbeiterin auf dem Weg nach oben auf das Gespräch vor. Auf ausdrücklichen Wunsch der Künstlerin wird das Interview in Anwesenheit der Warner-Gesandten stattfinden. Unterdessen zieht sich der mit angereiste Papa nach freundlicher Begrüßung für die Dauer des Gesprächs ins Nebenzimmer zurück.

Dann sitzt Birdy vor mir, lächelt tatsächlich sehr schüchtern, spricht mit leiser Stimme. Es dauert einige lange Minuten, bis sie an diesem Vormittag im Februar auftaut. Augenblicklich allerdings ist klar: Allen überwältigenden Umständen zum Trotz, etwa dem hochkarätigen Produzentengespann im Hintergrund - Jim Abbiss (Arctic Monkeys), Rich Costey (Franz Ferdinand) und James Ford (Klaxons) - findet sich bei Jasmine van den Bogaerde keiner Spur Prätentiösität. Nichts an der Schülerin wirkt aufgesetzt, kein Image steht zwischen dem Teenager, seiner Musik und dem durchschlagenden Erfolg. Wenngleich sie für ihre vergleichsweise kurze Karriere bereits gut trainiert scheint im Frage-Antwort-Prozedere.

Inspired by: Großer Bruder

Bescheiden, ja geradezu artig bedankt Birdy sich für Gratulationen zum beeindruckenden Debütantinnenerfolg. In den Niederlanden, wo die Britin genauso familiäre Wurzeln hat wie auch in Belgien und Schottland, eroberte sie vor einigen Monaten die Albumcharts-Spitze. Mit einem Debüt, auf dem sich lediglich eine einzige selbstgeschrieben Ballade befindet. Der Rest sind Interpretationen zeitgeistiger Indiepoprock-Hits: bekannte Schlager von Phoenix, The XX, Fleet Foxes und The Postal Service.

Ihr großer Bruder habe im Elternhaus immer jene Stücke gehört, antwortet sie auf die Frage, wie die Songauswahl zustande kam. Als Tochter einer Musiklehrerin und eines Bandmusikers lag es für Birdy folglich nahe, sich ans heimische Piano zu setzen und eigene Coverversionen zu produzieren. Im Video festgehalten, landeten die Clips auf der YouTube-Plattform und verbreiteten sich bald viral. "Es ist wirklich merkwürdig, alles ist so schnell gegangen, irgendwie surreal. Die Seitenabrufe gingen plötzlich in die Höhe ...", sucht die 15-Jährige leicht verlegen nach Worten. Um anschließend in maximaler Bescheidenheit noch zu unterstreichen, dass ihr der neuerliche Ruhm keineswegs zu Kopf gestiegen ist. Vom Geld aus dem Plattendeal sei sie Shoppen gegangen, mit ihrer Schwester, ihrer Mutter und Freundinnen. Der Rest, darf spekuliert werden, wandert unter elterlicher Weitsicht vermutlich in einen Fond.

Für ein ganzes Album mit eigenen Songs sei die Zeit zu knapp gewesen, erklärt Jasmine weiter. Zwar schreibt sie am Klavier Stücke, seit sie acht Jahre jung ist, gewann darüber hinaus mit zwölf den Talentwettbewerb Open Mic UK – die Wucht des Erfolgs scheint sie dennoch überrascht zu haben. Auf Anraten des Labels begnügt man sich also vorerst mit Covers. Mit Sicherheit "more personal" werde ihr zweites Album, für das Birdy bereits vier fertige Stücke in petto hat. Auf Empfehlungen hört sie also, dirigieren lässt sie sich nicht. Auf die Frage, was sie denn von "gemachten" Castingshow-Acts hält, antwortet sie reflektiert und selbstbewusst: "Bei diesen Shows geht alles viel zu schnell. Ich spiele Piano und singe. Ich würde niemals Autotune oder vergleichbare Produktionsraffinessen benutzen. Das wäre dann nicht ich", lächelt sie. "Ich glaube, ein gradueller Werdeprozess ist besser."

Natürlichkeit statt Castingpop

Die Schicksale anderer Jungstars wie Miley Cyrus oder Justin Bieber, die das Metier Pop schon nach kurzer Zeit weniger durch musikalischen Output denn Gossip-Schlagzeilen ausstaffierten, bereiten ihr folglich auch keine Kopfschmerzen. "Ich denke, wenn man sich nicht in so etwas verwickeln lässt, und Freunde und Familie hat, die einen auf dem Boden halten, kann man sich darauf fokussieren, was wichtig ist: Singen, spielen und performen. Mindestens ein Elternteil begleitet mich auf Reisen eigentlich immer."

Ihre Künstlerpersona beschreibt Birdy als "natürlich". Sie verehrt ihre musiklehrende Mutter, hört klassische Musik genauso wie Adele und Lykke Li ... aber ein vorgefertigtes Image gibt es nicht. Gezielter Widerspruch zum Zeitgeist? Eher präsentiert sich Jasmine einfach als die, die sie ist: Eine 15-Jährige mit Zahnspange, die nicht als Projektionsfläche für artifizielle Popkonstrukte hergehalten werden, sondern mit einfühlsamen Interpretationen und eigenen Songs, einer zurückhaltenden Art auch auf der Bühne und einem oft verloren gegangenen Gut überzeugen möchte: musikalischem Talent.

"It comes naturally to me", bestätigt Birdy. In wieweit sie dieses Versprechen einlösen kann, wird allerdings erst das zweite Album mit selbstgeschriebenen Stücken wirklich zeigen. Dann schon (auch optisch) etwas erwachsener: die Zahnspange kommt nächsten Monat raus.

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LAUT.DE-PORTRÄT Birdy

Covern - keine große Kunst, möchte man sagen. Eine Teenagerdisziplin. Wenn einem der Pop-Kommerz auf die Nerven geht, macht man eben dreiakkordige Punksongs …

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