laut.de-Kritik

Synthiepop und fiebrige Erotik als Grundprinzipien.

Review von

Nicht mehr als hingehauchte Vocals, seichte Percussion und ein wunderbares Xylophon-Sample braucht es, um einen der besten Songs des Jahres zu produzieren: "Chamakay", der nachträglich eigentlich in die redaktionsinterne Jahres-Bestenliste eingetragen gehört, eröffnet den Zweitling von Dev Hynes, "Cupid Deluxe". Ein selten guter Opener, der die Richtung für den Rest der Platte vorgibt.

Denn schon seit seinem Debüt unter dem Künstlernamen Blood Orange macht der Darling des Independent nicht mehr das, was man von ihm kannte, als er noch als Lightspeed Champion unterwegs war. Weg vom orchestralen Indie-Folk, hin zu schwül zartem R'n'B-Pop, der seine Stilmittel irgendwo zwischen dezent verspulter Elektronika, Chillwave, Funk und New Wave verortet. Besonders Letzteres bleibt ständiger Bezugspunkt: Kaum jemandem - abgesehen vielleicht von Twin Shadow - gelingt es derzeit so gut, den Synthiepop der 80er zum stilgebenden Grundprinzip seiner Kompositionen zu erheben.

Auch Hynes' Stimme ist eine andere als noch vor ein paar Jahren. Seit einer Hals-OP nach dem zweiten Lightspeed-Champion-Output klingt sie weicher, engelsgleicher. Damit passt sie wie angegossen in ihre neue musikalische Umgebung: Geschmeidige Drumbeats, fragile Popmelodien und Sehnsuchtsgesten treten an fast jeder Stelle der Platte in Erscheinung.

Das wundert kaum, schaut man sich die Idole des Wahl-New Yorkers an: Referenzen an Sade und Prince finden sich genauso zahlreich wie Momente der Überspitzung ebenjener Motive, die die musikalische Epoche des Synthpop auszeichneten. Käsige Keys und Wave-Gitarre auf "You're Not Good Enough", äußerst hübsche Bläser-Akkordläufe und Disco-Einschlag auf "Uncle ACE", pluckernde Drums und Mariah-Carey-esquer Gesang auf "It Is What It Is": Kitsch-Flair everywhere. Da fehlt auch das ein oder andere Saxophon-Solo nicht - Destroyer und M83 lassen grüßen.

Der Name ist eben Programm: "Cupid Deluxe" klingt nach fiebriger Erotik und gefühliger Zerbrechlichkeit, nach Sanftheit genauso wie nach theatralischem Kunstwillen. "I'm nothing if not subtle / Heartache at its best / Are you the one who breaks my / Heart out of my chest?", schmachtet das britische Multitalent. Und genau in diesem Spielraum bewegt sich Hynes: zwischen fein subtiler Empfindsamkeit und offen zur Schau gestellter Sentimentalität.

Dieses Tändeln zwischen den Polen bringt er zur Formvollendung. Ähnliches gilt für den Umgang mit Perspektiven und Geschlechtsidentitäten, wie Videos und Cover-Artwork widerspiegeln. Letzteres zeigt eine Person in Bikini, mit Maske, vor rosarotem Hintergrund. Trotz offen ausgestellter Leiblichkeit bleibt die Geschlechtszuschreibung letztlich offen: Der Körper lässt sich nicht sauber in das kulturelle Märchen der Binarität von Männlichkeit und Weiblichkeit einordnen – ein subtiles Spiel mit Uneindeutigkeiten.

Die Neigung zur Ambiguität kennzeichnet auch Texte und Vocals: "Uncle ACE" spielt auf den Insider-Begriff für die U-Bahn-Linie zwischen Manhattan und Queens an, in der viele der in NYC erschreckend zahlreichen obdachlosen LGBTQ-Teenager Unterschlupf suchen. Zeilen wie "I see you're waiting for a girl like me to come along" singt er im Doppelchor mit weiblicher Begleitung. Hier bleiben Sender wie Adressat unklar.

Solch eine Haltung hebt sich ab vom üblichen Popduett weiblicher und männlicher Stimmen, in dem die (Geschlechter-)Rollen klar verteilt sind. Auf dem Album kommen damit die Verdaulichkeit von scheinbar simplen Harmonien und Rhythmusstrukturen mit der Schwermut und Ernsthaftigkeit eines Poesie-verliebten Twentysomethings zusammen, der als Kind für sein Spiel mit Geschlechtercodes von den Peers schikaniert wurde.

Was zunächst ein wenig nach Easy Listening klingen mochte, ist komplexer als gedacht, ohne an Zugänglichkeit einzubüßen. Spielend verbindet Hynes die Anmut und Empfindsamkeit aus seiner Zeit als Lightspeed Champion mit geschliffenen Beats, zeitgeistiger Laptop-Produktion und der richtigen Dosis schwülstiger Manierismen. So reiht er sich nahtlos in die Riege aktueller Popkünstler ein, die die Lücke zwischen Indie und Mainstream endgültig zu schließen scheinen.

Trackliste

  1. 1. Chamakay
  2. 2. You're Not Good Enough
  3. 3. Uncle ACE
  4. 4. No Right Thing
  5. 5. It Is What It Is
  6. 6. Chosen
  7. 7. Clipped On
  8. 8. Always Let U Down
  9. 9. On The Line
  10. 10. High Street
  11. 11. Time Will Tell

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