laut.de-Kritik
Der New Yorker Pianist spielt Bach auf eigene Weise.
Review von Giuliano BenassiWie kaum ein anderer wandelt der New Yorker Pianist spielerisch von einem Genre zum anderen. Schön zu erleben bei seiner Tour im Herbst 2017 mit Chris Thile, bei der sie sich Material des jeweils anderen widmeten und auch fremde Stücke interpretierten, darunter Bob Dylans "Don't Think Twice, It's Allright" und Elliott Smiths "Independence Day". Ein Genuss, wie sie beide scheinbar wild improvisierten und doch auf überraschende Weise immer wieder zusammenfanden.
Auch wenn er sich selbst dem Jazz zuordnet, sind Brad Mehldaus Interessen breit gefächert. Wie Thile vor ihm nimmt er sich nun Johann Sebastian Bach vor. Während sich der Mandolin-Virtuose jedoch damit "begnügte", die Werke BWV 1001 bis 1003 zu transkribieren und mit atemberaubender Geschwindigkeit zu spielen, geht Mehldau einen Schritt weiter, indem er Bach-Werke mit eigenen Stücken ergänzt.
Das mag überheblich klingen, ist es in einer gewissen Weise auch. Was hat der mathematisch komponierende Barockmeister schon mit der Frivolität des Jazz zu tun? Das eine mit dem anderen zu vermischen, scheint nicht nur verwegen, sondern fast blasphemisch.
Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit, stellt der Pianist und Komponist Timo Andres im Booklet fest: Auch Bach improvisierte, wenn er als Organist in der Kirche spielte. "Zu Lebzeiten wurde er vor allem wegen der Virtuosität und Komplexität seiner Improvisationen bewundert", so Andres. Mehldau nehme nun diesen Aspekt von Bachs Schaffen wieder auf.
Es gebe weitere Gemeinsamkeiten. Vor allem die Gleichberechtigung von rechter und linker Hand. Meistens spielt die linke Hand die Melodie, während die rechte rhythmischen Akzente setzt und begleitet. Nicht so bei Bach, was die britische Zeitung The Guardian gar dazu veranlasste, ihn als Vorvater von Jazz-Virtuosen wie Charlie Parker oder John Coltrane, aber auch von Nina Simone (als Pianistin, nicht als Sängerin) oder eben Mehldau zu sehen.
Natürlich spielt sich ein Klavier anders als eine Kirchenorgel. Zudem war das "Klavier", das Bach meinte, nicht das erst später verbreitete Hammerklavier (oder -flügel), an dem Mehldau sitzt, sondern ein Zupfinstrument mit Tasten, also ein Cembalo oder Clavichord.
Allein dadurch ist Mehldaus Interpretation keine Nachahmung. Aus den je zwölf Präludien und Fugen, die Bach 1722 und 1740/42 "zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend, als auch derer in diesem studio schon habil seyenden besonderem Zeitvertreib auffgesetzet und verfertiget" wählt Mehldau vier Präludien und eine Fuge aus, die er (einigermaßen) notentreu wiedergibt. In den eigenen, von Bach inspirierten Stücken (so die Bedeutung des CD Titels), lässt er sich natürlich eher treiben.
So erinnert der "Segen" zu Beginn tatsächlich an den deutschen Komponisten, doch dauert es nicht lange, bis eine Note die nächste jagt und er erst zum Schluss wieder zur Tonlage der ersten Takte zurück findet. Improvisationen, die auch im weiteren Verlauf nicht wirklich an Bach erinnern, und doch zum Zuhören bewegen.
Vor allem bringt Mehldau eines rüber: Begeisterung. Die lange Wendeltreppe auf dem Cover ist dabei sinnbildlich für das Album: Zum Schluss kommt das Licht in Form des schon fast meditativ wirkenden "Prayer For The Healing". Von weit oben kann der Pianist nun auf uns runterschauen und sich wahrscheinlich wundern, dass ihm nur wenige gefolgt sind.
Experimente wie diese sind schließlich nicht jedermanns Sache. Wer weiß, was Bach davon halten würde. Auch wenn sie ihn nicht explizit erwähnten, trafen Monty Python in einem Sketch den Nagel auf den Kopf. "They're decomposing composers / There's nothing much anyone can do / You can still hear Beethoven / But Beethoven cannot hear you". Letztlich ist Bachs Meinung egal. "His music lives on", erkannte die schlaue Komikertruppe weiter. Schön, dass das "Wohltemperierte Klavier" fast 300 Jahre nach seiner Entstehung nach wie vor so lebendig klingt.
2 Kommentare
"Das mag überheblich klingen, ist es in einer gewissen Weise auch. Was hat der mathematisch komponierende Barockmeister schon mit der Frivolität des Jazz zu tun? Das eine mit dem anderen zu vermischen, scheint nicht nur verwegen, sondern fast blasphemisch."
Ein "verwegener" Absatz, lächerliche 60 Jahre nach Jacques Loussiers erstem "Play Bach"...
"Meistens spielt die linke Hand die Melodie, während die rechte rhythmischen Akzente setzt und begleitet."
Schätze ihr meint das anders rum, oder?