3. Juli 2019

"Ich bin Captain Kirk"

Interview geführt von

Brant Bjork zählt zur Ursuppe der zeitgenössischen Stoner Rock-Bewegung. Mit Kyuss prägt er Anfang der 1990er Jahre in der kalifornischen Wüste im verschlafenen Kaff Palm Desert als Schlagzeuger einen Sound, der genauso staubig klingt, wie die Wüste trocken ist. Natürlich ebenfalls daran beteiligt: Josh Homme, John Garcia und Nick Oliveri. Nach drei legendären und genreweisenden Alben mit Kyuss kehrt er den Wüstenkönigen den Rücken zu und ist danach als Solokünstler unterwegs. Im April dieses Jahres hat er sein aktuelles "Jacoozzi" veröffentlicht.

Der Kalifonier ist ein musikalisch hochaktiver Tausendsassa. Nach seinem Fortgang von Kyuss steigt er für ein kurzes Gastspiel bei den Hardcore-Punks von De-Con ein. Kurz darauf wird er auf Bitten von Scott Hill bei dessen in Stoner-Kreisen ebenfalls legendären Fu Manchu Mitglied und bedient dort fünf Jahre lang die Trommelbude. Seit 2001 ist er hauptsächlich als Solokünstler unterwegs. Dazwischen spielt er, unter anderem, für je ein Album bei Mondo Generator und Melissa Auf der Maur mit.

2010 kommt es zu einer 75% Reunion von Kyuss unter dem Namen Kyuss Lives!. Der mit den Queens Of The Stone Age beschäftige Josh Homme ist nicht mit an Bord. 2012 reicht dieser eine Klage gegen Kyuss Lives! wegen Markenverletzung ein, wonach sich das Reunion-Projekt in Vista Chino umbenennt. Unter diesem Namen veröffentlichen sie 2013 ihr bislang einziges Album "Peace".

Brant selbst bringt in regelmäßigen Zeitabständen Platten mit seinem nach ihm betitelten Soloprojekt heraus und frönt dabei seiner Leidenschaft für 60er und 70er Sounds. Sein letztes reguläres Album ist das 2018 veröffentlichte "Mankind Woman". Das jetzt erschienene "Jacoozzi" ist eine Ansammlung von Jam-Sessions, die er bereits 2010 aufgenommen hat. Aktuell befindet er sich auf ausgedehnter Europatour.

Wir haben die Gelegenheit genutzt und uns mit dem entspannten und stirnbandtragenden Sympathikus vor dem Auftritt im Doornroosje in Nijmegen zum Telefoninterview verabredet und sprachen mit ihm über seine aktuellen Platten, seiner Herangehensweise ans Improvisieren und musikalische Zukunftspläne. Ganz nebenbei kündigte Brant dabei auch eine neue Platte für 2020 an.

Du hast gestern Abend mit deiner Band auf dem ausverkauften Freak Valley Festival in Netphen unweit von Köln gespielt. Es war das erste Mal für euch, dass ihr auf diesem liebevoll gestalteten Stoner-Happening gespielt habt. Wie hast du die Vibes dort vor Ort und auf der Bühne empfunden?

Oh, es war großartig. Für mich waren die Vibes dort sehr, sehr positiv. Jeder hatte eine gute Zeit und wir hatten echt eine Menge Spaß. Für uns war es eine wunderbare Erfahrung. Ich habe es sehr genossen.

Ich war leider selbst nicht da, aber ich habe den Rockpalast-Livestream gesehen und ich fand die Show sehr groovy.

Yeah, es groovte definitiv (lacht).

Hast du Electric Moon gesehen, die nach euch gespielt haben?

Leider nicht, ich war ausgepowert vom Reisen und vom Performen. Ich wollte nach dem Gig einfach nur duschen und relaxen.

Heute Abend spielt ihr im niederländischen Nijmegen. Seid ihr gut angekommen?

Ja. Jetzt sind wir hier in Holland und es wird ein großer Spaß werden später (lacht).

Lass uns ein bisschen über deine Musik sprechen. Das letzte reguläre Studioalbum "Mankind Woman" ist heavier geworden als die meisten anderen Platten von dir im aktuellen Jahrzehnt. Gleichzeitig leben wir heute in politisch schwer aufgeheizten Zeiten. Inwiefern verstehst du Musiker als kulturelle Stimmen, die sich dem entgegen stellen müssen?

Weißt du, ich war immer schon politisch aufgeladen - wie viele andere Künstler auch. Ungeachtet dessen, ob sie sich dieser Tatsache bewusst sind oder nicht. Ich engagiere mich zwar nicht politisch, aber es gibt natürlich eine gewisse Frustration wenn dir bewusst wird, dass du selbst nicht viel ändern kannst. Besonders in korrupten Systemen. Aber das Gute daran ist, dass das immer ein kreativer Input ist (lacht).

Dein Gitarrist Bubba Dupree scheint so etwas wie eine Konstante in deinem Line-Up geworden zu sein. Wie würdest du die Zusammenarbeit mit ihm beschreiben?

Wir benutzen die Star Trek-Metapher, um unser Arbeitsverhältnis zu beschreiben. Das heißt, dass Bubba Spock ist und ich bin Captain Kirk (beide lachen). Er geht sehr logisch an die Sache heran und er ist sehr talentiert was die technischen Belange beim Komponieren, Aufnehmen und Performen angeht. Ich hingegen bin da eher rastloser, nehme mir nicht so viel Zeit und stürme beim Komponieren und Aufnehmen eigentlich eher schnell durch. Ich bin da ganz der Expressionist. Wir ergänzen uns in dieser Hinsicht also gut. Er erdet mich und ich mache ihm Feuer unter dem Arsch. Es ist wie sehr gut funktionierendes Yin-Yang.

Und wie läuft die Sache mit Sean Wheeler?

Sean ist unser spiritueller Anleiter. Ja, er ist unser Spiritualist. Er ist eine Legende aus der Wüste. Er kommt aus der ursprünglichen Punkrock-Szene dort und ist ein echtes Wüstenkind. Sean war dort immer der Frontmann von irgendwelchen Bands. In meiner frühen Jugend sah ich eine seiner Bands, es muss so um 1986 gewesen sein. Die Band hieß Zezo Zece Zadfrack and the Dune Buggy Attack Battalion und sie waren ihrer Zeit damals weit voraus. Sie spielten Covers von den Stooges und Hawkwind, aber natürlich auch eigene Stücke. Sie waren diese Langhaarigen Psychedelic-Biker-Typen und ich war wirklich begeistert davon. Sean ist ein echter Performer.

Wie kam Sean zu dir in die Band?

Über die Jahre freundeten wir uns an. 2007 kam er zu mir ins Studio und sang auf einer meiner Platten [Somera Sól; Anm. d. Intvw.]. Es fühlte sich zwar ein wenig seltsam an, aber ich sagte: Hey, warum kommst du nicht einfach in die Band und singst (lacht)? Es ergibt aber irgendwie total Sinn.

"Die Wüste ist ein Ort extremer Schönheit und extremer Hässlichkeit."

Die Pionierzeit der Desert Rock-Szene ist ja mittlerweile schon fast wieder als historisch zu betrachten. Ist die kalifornische Wüste als spiritueller Ort mit ihrer Stille und ihrer Natürlichkeit für dich heute noch immer ein wichtiger Inspirationsquell?

Well, die Wüste repräsentiert für mich immer meinen Ursprungsort und mein Zuhause. Es ist die prägende Umgebung, in die ich als Musiker und Künstler hineingeboren wurde. Aber es herrscht auch immer eine prägende Dichotomie in der Wüste. Sie trägt eine gewisse Dualität in sich. Es ist ein extremer Ort mit einer extremen Schönheit und einer ebenso extremen Hässlichkeit. Das Wetter dort kann sehr angenehm sein, aber auch extrem heiß. Ja, die Wüste ist extrem.

Also genau wie der Stoner-Sound in gewisser Weise.

Ja (lacht). Ich denke, das kann man genau so sagen. Exakt.

Du bist musikalisch fest im Sound der 60er und 70er verwurzelt. Was fasziniert dich so an der Musik dieser Jahrzehnte?

Well, ich liebe Musik. Aber ... (lacht) ich fühle mich ganz spezifisch zur Rockmusik hingezogen. Rockmusik ist mein Studienobjekt. 1965 wurde diese Art von Musik meiner Meinung nach geboren und ich denke, Rockmusik hat sich nach 1975 nicht mehr weiterentwickelt. Deswegen studiere ich die Musik dieser 10 Jahre. Die Bands und die Künstler jener Zeit, kombiniert mit den damaligen historischen Umständen, den neuen Technologien und den bahnbrechenden Möglichkeiten die sich dadurch eröffneten, waren einfach magisch. Die Musik, die damals erschaffen wurde, repräsentiert das einfach. Es wäre sehr schwer für mich, sich damit nicht intensiv auseinanderzusetzen.

Was sind denn dann momentan deine Lieblingsplatten?

Momentan höre ich recht oft "Sticky Fingers" von den Rolling Stones und von den Byrds "Younger Than Yesterday". Tatsächlich höre ich diese beiden Platten gerade täglich.

Wenn wir in die heutige Zeit blicken, bist du vertraut mit der zeitgenössischen Stoner Rock-Szene, die dich zum Teil als "Godfather" ihrer Musik feiert?

Ja (lacht), ich habe selbst gesehen und bemerkt, dass sich diese Szene mit den Jahren wirklich entwickelt hat. Das finde ich allerdings echt aufregend. Es ist immer interessant, zu sehen wie eine Bewegung Füße bekommt und anfängt, sich zu bewegen. Die Anerkennung und dass diese Leute mich wahrnehmen ist die eine Sache. Es waren aber auf der anderen Seite auch noch andere daran beteiligt, ihren Teil zur Bewegung beizutragen. Natürlich schmeichelt es mir, wenn die heutigen Stoner-Heads mich so sehen. Aber es braucht alle Beteiligten, um eine Sache ins Rollen zu bringen.

Vor zwei Monaten hast du mit "Jacoozzi" deinen aktuellsten Silberling veröffentlicht. Die Platte besteht im Wesentlichen aus im Studio gejammten Instrumentals, die du bereits 2010 aufgenommen hast. Warum hast du das Album erst jetzt veröffentlicht?

Well, als ich die Aufnahmen machte, hatte ich keinen offiziellen Plan für das Release der Platte. Ich wurde von einigen Seiten angefragt wegen eines Releases, aber ich habe aus Gründen die ich damals für richtig hielt abgesagt. Es hat einfach nicht gepasst. Einer der Hauptgründe weswegen die Platte jetzt veröffentlich wurde ist Garbriele [Fioli, Labelchef; Anm. d. Intvw.] von Heavy Psych Sounds. Er führt sein Label sehr leidenschaftlich und ist sehr engagiert darin, viele verschiedene Arten von Rockmusik zu supporten. Mein Gefühl sagt mir, dass die Veröffentlichung jetzt genau zur richtigen Zeit stattfand. Bei Heavy Psych Sounds hat "Jacoozzi" nun den Platz gefunden, an dem die Platte die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

"Die Gitarre ist für mich ein Werkzeug, um mich als Künstler weiterzuentwickeln."

Du bist sowohl Drummer, als auch Gitarrist. Im Prinzip sind das, was den musikalischen Ausdruck angeht, zwei verschiedene Persönlichkeiten die du da in dir trägst. Momentan spielst du ja Gitarre. Hast du Pläne für ein Projekt, in dem du wieder Schlagzeug spielst?

Im Herzen werde ich immer ein Drummer sein. Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Aber an meinem jetzigen Platz als Solo-Künstler habe ich mich irgendwie darauf eingeschossen, Mitglied einer Band zu sein. Trotzdem trage ich natürlich die formelle und konzeptionelle Verantwortung innerhalb dieser Gruppe. Das jetzt ist meine Band, in der ich singe und Gitarre spiele und für mich scheint es die momentan passende Welt zu sein. Ich genieße das wirklich sehr. Die Gitarre ist eine Herausforderung und dieses Instrument ist ein Ort der Entwicklung für mich. Ich verstehe sie als ein Werkzeug, mich als Künstler weiter zu entwickeln.

Ja, ich denke, man kann mit einer Gitarre möglicherweise eine tiefere Emotionalität transportieren, als mit vielen anderen Instrumenten.

Vielleicht, vielleicht. Du kannst dich natürlich mit allen Instrumenten tief ausdrücken, auch mit dem Schlagzeug. Aber wenn du die Gitarre mit deiner Stimme kombinierst, dann ergibt das etwas Spezielles. Das ist sehr wirkungsvoll für mich.

Ich habe Gerüchte gelesen, dass Josh Homme neue Desert Sessions Projekte angehen will. Seid ihr nach den rechtlichen Streitigkeiten im Jahr 2012 um den Namen "Kyuss" mittlerweile wieder in Kontakt?

Nein. Die Sache ist zwar bereits einige Jahre her, aber Josh und ich pflegen keinerlei Beziehung mehr zueinander. Wir sprechen nicht miteinander. Mit Nick [Oliveri; Anm. d. Intvw.] bin ich aber immer noch eng und mit John Garcia habe ich auch nach wie vor Kontakt.

Gibt es Pläne, mit Vista Chino in nächster Zukunft neue Musik zu schreiben?

Aktuell gibt es keine Pläne dafür. Aber man kann nie wissen, man kann nie wissen.

Wie sieht es mit deiner eigenen Band aus? Gibt es da bereits Pläne, neues Material anzugehen?

Ja klar, wir arbeiten gerade wieder an einer neuen Platte. Sobald wir von der Tour zurück sind, werden wir ins Studio gehen und mit den Aufnahmen beginnen. Der Plan ist, die Platte dann im Frühling 2020 zu veröffentlichen. Wir werden dann wahrscheinlich im März oder April im Rahmen einer weiteren europaweiten Headliner-Tour auch wieder für einige Konzerte nach Deutschland kommen.

Das sind ja erfreuliche Neuigkeiten. Kannst du mir ein paar Details über die geplante Scheibe verraten?

Oh, wir wollen ein direktes und geradliniges Rockalbum machen und das Material deswegen schnell zusammen haben. Wir wollen bei der neuen Platte gar nicht zu viel darüber nachdenken oder uns da zu sehr reinknien. Bubba und ich haben viel Zeit in "Mankind Woman" investiert und echt hart daran gearbeitet. Es war die Mühen in jedem Fall wert. Wir haben damit erreicht, was wir angestrebt haben. Aber auf der neuen Platte wollen wir irgendwie das Gegenteil davon machen, es soll mehr ein Live-Gefühl mit der kompletten Band transportieren. Deswegen wollen wir da auch schneller durchgehen, um es rockiger zu halten.

Das macht mich sehr neugierig auf das Album. Diese direkte, schnelle und schnörkellose Herangehensweise scheint ja sowieso eher deinem Naturell zu entsprechen.

Yeah, manchmal gibt es die Zeit und den Platz, die Dinge in aller Ruhe zu entwickeln und hart an ihnen zu arbeiten. Ich respektiere diese Herangehensweise zwar auch. Aber ja, ich mag diese spontane Methode, bei der du die Dinge direkt aus der Hüfte schießt.

Wirst du also eher wieder jam-orientiert arbeiten wie auf "Jacoozzi"?

Es kann gut sein, dass wir einige Impro-Performance-Elemente einbauen. Ich kann das jetzt noch nicht genau sagen, aber es ist gut möglich.

Wie sieht denn deine ganz persönliche Herangehensweise ans Improvisieren und Musizieren aus?

Normal beginnt alles mit einer Emotion, einem Gefühl. Mit irgendetwas Dringlichem, das ich kommunizieren muss. Das ist letztlich das, was ich wirklich mache. Ich bin ein Kommunikator. Ich werde zwar als Drummer und auch als Gitarrist wahrgenommen, aber ich selbst verstehe mich letzten Endes als ein Kommunikator. Ich möchte mit anderen Menschen in Austausch treten und will sie innerlich bewegen und ihnen mit meinem Rhythmus etwas auf die gleiche Art und Weise mitteilen, wie ich es mit den Texte und den Melodien mache. Deswegen ist Musik, die nichts übermittelt für mich unattraktiv. Ich will, dass es da eine intentionale (betont) menschliche Verbindung gibt. Ich will, dass mir Musik etwas mitteilt.

Das ist ein schönes Schlusswort von dir. Ich bin mit meinen Fragen durch und wir haben mittlerweile fast doppelt so lange geredet, als dein Tour-Manager mir Zeit gegeben hatte.

Haha, das ist ja echt witzig (lacht).

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für den Gig heute Abend.

Danke dir und mach's gut.

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