laut.de-Kritik
Ein Konzeptalbum über den Weg zur Transition.
Review von Yannik GölzIch hänge jetzt schon viel zu lange an dem neuen Album von Breymer. Die erste Platte von Breymer, früher bekannt als Sarah Walk, kommt nicht nur mit neuem Sound, sondern auch mit einem neuen Namen und neuem Pronomen. Mehr noch: Es beschreibt den Weg zu einer neuen Identität.
"When I Get Through" ist ein waschechtes Konzeptalbum. Aber so richtig-richtig: Es erzählt die Geschichte, wie they von den ersten Gesprächen in ihrem Freundeskreis über eine Transition bis hin zur Top-Surgery geht. Die elf Tracks kommen einem emotionalen Seismografen gleich: Wie lebt es sich mit einer so fundamentalen Entscheidung? Man schwankt, leidet und fiebert dem Ereignis schlussendlich auch ungeduldig entgegen. Das Album leitet das Finale mit einem Track über die schlaflose Nacht davor ein und gipfelt im Moment der Narkose.
Ein superspannendes Konzept, das auch immer wieder sehr tief in Breymers Gefühlsleben eintauchen lässt. Das Intro "The Truth" zeigt eine starke Szene: Hier geht es darum, dem Partner das erste Mal zu offenbaren, was passieren wird. Sie sitzen in einer Bar. Breymer trinkt und trinkt, bis irgendwann klar wird, dass es nicht ums Antrinken, sondern Wegtrinken geht. Breymer wird gefragt, ob alles okay ist. "I don't know", antwortet they, es folgen Rückfragen - analytisch, wohlwollend, fair, aber eigentlich hätte they sich doch nur Komfort gewünscht.
Dann beginnt der Hauptteil des Albums. Das geht raus an all die Hanseln, die von Trans-Agenda oder so fantasieren: Dieses Album zeigt sehr deutlich, wie tiefschürfend und vielschichtig, durchaus kritisch die Selbstanalyse von Menschen in diesen Kontexten läuft. Emotional treiben Tracks wie "Darkness" oder "Who Am I?" wirklich quer durchs Emotionen-Spektrum, auch Implikationen auf Freundschaft und Partnerschaft werden berücksichtigt.
Persönlich sehe ich die Highlights trotzdem in den beiden abschließenden Tracks. Wenn in "The Night Before" Breymer und Partner zu Mitternacht in der Nachbarschaft speisen und they im Essen rumstochert, entsteht diese irgendwie superstarke Implikation, dass they am nächsten Tag aus dieser alles verändernden Narkose aufwachen wird - das kalt gewordene Essen vom Vortag aber trotzdem noch im Kühlschrank steht. "It won't be much longer now", echot they auf Radiohead angelehnten Indie-Build-Ups, während sie in die letzten Momente des Albums entschläft. Die Prämisse wurde auf dem Titeltrack zuvor schon schön illustriert: "You don't have to doubt if i'm uneasy / so imma sing it loud so you don't leave me / my own growth ain't greedy / you don't need to heal me / wait until you see me when i get through".
Das klingt jetzt alles super, und ist es auch. Trotzdem bin ich nicht restlos überzeugt. Das größte Manko bleibt, was andernorts am meisten gelobt wird: Dieses Album sei diese große, investigative Studie über Gender. Aber auch, wenn das Gender-Thema offensichtlich Rahmen und Leinwand all dieser Gedanken darstellt, schwebt es doch unerklärlich abseits im Unausgesprochenen.
"Part Of Me", wo über das Fehlen eines "Teils von mir", gesungen wird, ist möglicherweise der einzige Song, der so richtig explizit ausdrückt, was eigentlich passiert. In den besten Momenten schwebt Gender als einschüchternde Präsenz effektiv im Subtext. Aber viele Songs wälzen sich in einer eher frustrierenden Vagheit. Immer wieder gibt es Momente, in denen Emotionen einfach nur der Reihe nach benannt werden, viel Gerede darüber, etwas zu fühlen, aber nicht so genau, was eigentlich.
Dies spiegelt sich leider ein bisschen in der Produktion wider: "When I Get Through" ist enorm kompetenter Indie. Produzent Tyler Chester wurde nicht umsonst schon für einen Grammy nominiert – und in den besten Momenten bauen sich ein paar elektronische Drums wirklich zu nokturalem Trip-Hop auf, ein paar Mal rotiert ein Piano-Arp effektiv durch die Soundkulisse. Aber wenn man bedenkt, dass wir hier ein Konzeptalbum über ein Crescendo vor uns haben, das in einem über Jahre herbeiersehnten Moment kulminiert, hätte der Spannungsaufbau doch deutlich härter ausfallen können. Große Teile vermümmeln in dieser sehr geschmackvollen Tearjerkerei, die sich anfühlt, als hätte man den Schritt zur letzten Konsequenz nicht ganz gehen wollen.
Deswegen bleibt der Eindruck, dass "When I Get Through" tatsächlich kein Album ist, um diesen Prozess der Transition für Außenstehende wirklich begreifbar zu machen. Es fühlt sich eher wie eine Platte für Leute in derselben oder einer ähnlichen Situation, die sehen wollen, wie jemand diese Gefühle spiegelt. Denn die größte Stärke ist definitiv das sezierende, fast ausweidende Einfühlungsvermögen. Wenn man sich dafür interessiert, nahe an einen Protagonisten heranzukommen, dann ist das hier nämlich schon absolute Spitzenklasse.
1 Kommentar
Mein Transbro findet das Ding massiv peinlich