laut.de-Kritik

Lebensretter im dunklen Labyrinth der Gegenwart.

Review von

Kanarienvögel sind Lebensretter. Eingesetzt von Bergleuten in den dunklen, Labyrinth-artigen Tiefen der Minenschächte opfern sie sich, um den Arbeitern durch ihr Ableben den Austritt von Grubengas anzukündigen. Denn der Mensch kann das Gas nicht riechen oder sehen, aber wenn die kleinen, bunten Piepmätze zu zwitschern aufhören oder gar umkippen, sehen die Minenarbeiter dies als Warnung, dass giftige Gase austreten und sie sich schleunigst vom Acker machen sollten.

Als "Canaries In A Coal Mine" bezeichnen sich die vier Mitglieder der Pop- und Folkband Bukahara aus Köln auf dem dritten Stück des gleichnamigen vierten Studioalbums. Im Refrain führen sie die Analogie aus: "Every prejudice is poison in the air down here. So when you see us fallin' from the perches it's time to evacuate" ("Hier unten ist jedes Vorurteil Gift. Wenn ihr uns von den Stangen fallen seht, ist es Zeit, zu evakuieren"). Der Vergleich mit den Kanarienvögeln, die vor Gift warnen sollen, scheint also gleichzeitig auch eine politische Botschaft zu sein. Bukahara vermitteln diese auf subtile und intelligente Weise, ohne den Hörer zu bevormunden.

Dass die Kölner Band bereits mit Vorurteilen zu kämpfen hatte, ist durchaus vorstellbar. Denn drei der Künstler haben jeweils tunesische, syrische und palästinensische sowie jüdisch-schweizerische Wurzeln. Für den Sound von Bukahara ist die Vielfalt ein großer Gewinn. Soufian Zoghlami (Leadgesang, Gitarre, Schlagzeug, Percussion), Ahmed Eid (Bass, Percussion), Daniel Avi Schneider (Geige, Mandoline) und Max von Einem (Posaune, Sousaphon, Percussion) steuern alle ihre ganz eigenen, individuellen Einflüsse trotz teils gegensätzlich erscheinenden kulturellen Sozialisationen zu dem großen Ganzen bei.

An den ersten beiden Tracks des Albums gibt es rein gar nichts zu meckern. Besonders interessant wird das Intro "Happy", wenn es nach knapp zwei Minuten zu einer unerwarteten Bridge gelangt. Zoghlamis Gesang wird dabei zunächst nur von Schneiders Geige untermalt, bis von Einem mit der Posaune einsteigt und die Bridge vielleicht sogar etwas zu früh in einem instrumentalen Breakdown mündet. "Afraid No More" klingt wunderschön "folkig" und verfügt über einen eingängigen und tanzbaren Chorus. Wer also erst nach dem dritten Track ins Album einsteigt, hat bereits eine Menge verpasst.

Bukahara verfassen ihre Texte mal auf Englisch, mal auf Deutsch und mal auf Arabisch. Nach vier englischsprachigen Titeln ist "Ktir" das erste von zwei arabischen Stücken. Worum es auf "Ktir" geht, ist mir aufgrund mangelnder Arabischkenntnisse gänzlich unklar, aber es hat einen schönen, orientalisch-anmutenden Rhythmus und einen hymnenartigen Gesangspart, der Konzertbesuchern der Band sicherlich noch viel Freude bereiten wird.

Zur Halbzeit entschleunigt "The Vulture And The Little Boy" das Album, was nach all den schnellen und tanzbaren Nummern keine schlechte Idee ist. Das Quartett zeigt, was für unterschiedlich klingende Endprodukte es mit den Instrumenten erzeugt. Nach dem langsamen und tragenden "The Vulture And The Little Boy" nimmt das Album danach wieder Fahrt auf. "Under The Sea" erinnert zu Beginn aufgrund der düsteren Moll-Begleitung durch das Blechblasinstrument und die ähnlich klingende Stimme des Sängers etwas an Woodkids zweitbekanntesten Song "Iron" aus dem Jahre 2013. Abgekupfert haben die Kölner aber ganz bestimmt nicht, denn danach entwickelt sich das Stück viel fröhlicher und optimistischer.

Auf zwei deutschsprachige Stücke namens "Wolken" und "Baum", die ähnlich unspektakulär klingen wie ihre Titel verheißen, aber dennoch ihren Platz auf dem Album verdienen, folgt "Mafarr". Das zweite arabische Stück wird sich bei den Fans voraussichtlich nicht ganz so großer Beliebtheit erfreuen wie das euphorisierende "Ktir", muss sich aber trotzdem nicht verstecken. Mit "Laterna Magica" endet das Album nach gut 40 Minuten auch schon wieder. Das Outro des Albums klingt mit der Solo-Gitarrenbegleitung zu Beginn, als wäre es für das Lagerfeuer geboren und wird danach um Posaunen- und Geigenuntermalung bereichert. Ein ruhiger, entspannter und nachdenklicher Abschluss eines insgesamt eher tanzbaren und aufregenden Gesamtkunstwerk.

Den ehemaligen Straßenmusikern ist mit "Canaries In A Gold Mine" ein durchdachtes und abwechslungsreiches viertes Soloalbum gelungen. Mal verspielt und mal ernst, mal langsam und mal schnell, mal auf Deutsch und mal auf Arabisch, mal folkig und mal orientalisch: die Vielfalt ist es, die diese Band und ihr neues Werk zu etwas Besonderem macht.

Bukahara sind vielleicht keine Lebensretter, aber wie bunte, zwitschernde Kanarienvögel bereiten sie mit dem Album Freude. Sie erinnern gleichzeitig daran, wie wichtig Toleranz und Offenheit gerade in unseren Zeiten sind und zu was für einer schönen Einheit vermeintliche Gegensätze verschmelzen können.

Trackliste

  1. 1. Happy
  2. 2. Afraid No More
  3. 3. Canaries In A Coal Mine
  4. 4. We Are Still Here!
  5. 5. Ktir
  6. 6. The Vulture And The Little Boy
  7. 7. Under The Sea
  8. 8. Wolken
  9. 9. Baum
  10. 10. Mafarr
  11. 11. Laterna Magica

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