laut.de-Biographie
Cap'n Jazz
Nein, 1989 sind die Gebrüder Kinsella bei weitem nicht die einzigen Kids in den USA, die eine Band starten wollen. Inspiriert von Bands wie Fugazi starten sie ein Projekt namens Toe Jam (mit Pearl Jam weder verwandt noch verschwägert), das vermutlich nicht weiter das Interesse ihrer Klassenkamerad*innen auf sich gezogen hätte, würden sie in einem Ort leben, an dem sonst auch nur irgendetwas anderes passiert.
Aber das sehr weiße Vorstadtfleckchen namens Buffalo Grove so weit von Chicago entfernt, dass die Leute zwischen Skaten und Football alles annehmen müssen, was eben gerade passiert. Die Kinsellas finden einen etwas schrägen Vogel namens Victor Villareal, der für die Gitarre erschreckend gut ist. Handwerklich bekommt er erst später mit Davey von Bohlen einen ähnlich talentierten Mitspieler. Bis dahin setzt sich die Band halt irgendwie zusammen: Der Schulquarterback, so sehr er mit seiner Jock-Aura auch der Punk-Cred der Gruppe schadet, hat ein Schlagzeug und darf mitmachen. Irgendwelche anderen Freunde nennen sich Roadie, während sie Demos mit generischen Punk-Songtiteln an irgendwelche Indie-Label in der Region schicken.
Es ist der klassische Schulband-Struggle: Vielleicht fällt hier und da sogar mal ein Gig ab , aber Tim Kinsella merkt schnell, dass das nicht die Musik ist, die ihn so richtig glücklich macht. Die Band besinnt sich auf ihren künstlerischen Kern. Und dann werden Demos gemacht für ein Album, das die Wege nicht nur der Band, sondern von mehreren Genres verändern wird.
Was ist dieser Lightning in the bottle-Moment, der so viel Änderung verheißt? Es ist heute schwer nachzuvollziehen. Aber mit der Namensänderung zu Cap'n Jazz platzt der Knoten und es entsteht nach einer kurzen Demo-EP ein Debüt-Album, das den DIY-Ethos der Rockmusik noch einmal grundlegend unterstreichen soll.
Es hört auf den entspannten Titel "Burritos, Inspiration Point, Fork Balloon Sports, Cards in the Spokes, Automatic Biographies, Kites, Kung Fu, Trophies, Banana Peels We've Slipped On and Egg Shells We've Tippy Toed Over", für unsere Zwecke eingedampft auf den beliebten Kosenamen "Shmap'n Shmazz". Die Musik wird auf eine komische Vorstadt-Art sinnlos-psychedelischer. Es hat kein großes Programm, nicht mal wirkliches Pathos. Alles, was dieses Tape hat, ist surreale, ungebündelte Angstiness. Und sie zieht.
Na gut, sie zieht nur so weit. Auch, wenn sich langsam eine rabiate Fangemeinde um die seltsame Band schart, sind sie eben doch ein Haufen Teenager mit Tourbus und Drogen. Und spätestens, als bei der ersten Tour Villareal eine Überdosis erleidet, die er zwar gut übersteht, aber den Schrecken doch tief sitzen lässt, wird klar: Vielleicht überwiegt hier doch der Stress den Nutzen. Cap'n Jazz ist Geschichte.
Wie gewonnen, so zerronnen, möchte man denken, aber die Szene, die die Jungs gerade erst entdeckt hat, möchte so schnell nicht abschließen. Die gesammelten Werke kommen 1998 noch einmal als Compilation unter dem Titel "Analphabetapolothology" heraus. Und auch, wenn Cap'n Jazz nicht mehr ist, schlagen spätestens hier Wurzeln aus. Punk und Emo, im Begriff, bastardisiert zu werden, auf dass auch deren Bastardisierungen bastardisiert werden können, werden irgendwann Bands hervorbringen, die nostalgisch für Bands sind, die für die Nostalgie von Cap'n Jazz nostalgisch sind. Und ihre Nostalgie? Die war blind, so wie blinde Wut blind ist.
Interessant wäre nun nur noch abzuklären, dass die einzelnen Mitglieder es nicht darauf beruhen lassen. Im Gegenteil: Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass die Alumni der Band mehr oder weniger Math Rock sind: Nachfolgeprojekte beinhalten Make Believe, The Promise Ring, American Football, Owls, Ghosts and Vodka und Owen. Besonders hervorzuheben, weil vermutlich direkter Nachfolger, wäre Joan Of Arc, das neue Projekt von Leadsänger Tim Kinsella, die eine kontroverse, aber doch fruchtbare Karriere im Math- und Indierock hinlegen werden. Man kann also sagen: Auch, wenn der Cap'n Jazz-Moment wirklich nicht lange angehalten hat, hat er doch seine Schneise hinterlassen.
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