15. April 2011
"Plötzlich saß ich in der Balladen-Schublade"
Interview geführt von Ulf KubankeMit "Mir So Nah" gibt es von Cassandra Steen bereits den dritten Longplayer in sieben Jahren. Spätestens nach dem zweiten Album wurde allerdings auch Kritik laut an Gesang und Arrangement der Songs.Ist sie wirklich Deutschlands Soul-Lady Nr. 1? Ist das überhaupt Soul? Und warum produziert schon wieder Moses P? Bei allen kritischen Fragen stand die 30-jährige Chanteuse ihren Mann und ging keinem Gefecht aus dem Weg.
Moin, Cassandra! Ich freue mich.
Steen: Hi Ulf, danke. Ich mich auch.
Bist du in einer Hippiephase oder ist es eher 'Du bist Deutschland'-mäßig gemeint, dass "Gebt alles" vor allem textlich wie ein Epigone von Ich+Ichs "Danke" klingt?
(lacht) Na, das geht ja gleich richtig los hier. Nein, ehrlich gesagt habe ich nicht die geringste Ahnung, welches Lied du meinst.
Nicht dein Ernst. Du arbeitest mit Adel Tawil auf "Gebt Alles", hast mit Ich+Ich "Die Stadt" gemacht und kennst nicht deren "Danke" von der letzten Platte?
Na, der Adel und ich mögen uns und arbeiten gerne miteinander. Deshalb muss ich aber doch noch lange nicht jeden Ich+Ich-Song kennen. Ich arbeite das ja nicht vorher durch, wenn wir uns zum Arbeiten treffen. Und das Lied selbst: Ich meine das schon so, dass es ja vielleicht schön wäre, wenn einfach jeder anpackt und sein Bestes gibt. Dann ist es für alle leichter. Egal ob in leichteren oder schweren Zeiten.
Also doch schlussendlich eine Anleitung zur Gemeinnützigkeit? So kommt es nämlich auch an.
(lacht) Ey, jetzt stell das mal nicht in diese bestimmte Ecke. Ich will mich da doch gar nicht mit erhobenem Zeigefinger aufspielen. Aber es kann doch auch nicht schaden, wenn jeder einfach mal bewusst in sich reinhorcht und – je nachdem, was er findet – die eigene Kraft und Begeisterung gibt. Das ist eben nicht in erster Linie gemeinnützig, sondern zunächst ein ganz individuelles Ding, das jedermann mit sich selbst innerlich auskämpft. Und solche Leute schätze ich eben sehr. Das soll ja nicht das wichtigste Lied der Welt sein.
Worin siehst du die Entwicklung der neuen Platte im Vergleich zum Vorgänger? Oder gibt es keine?
Ja klar gibt es die. Ich habe ganz bewusst beachtet, nicht dieselben Fehler wie auf dem letzten Album zu machen. Das hier sollte wirklich die beste CD werden, bislang.
Moment, Cassandra. Dass die jeweils aktuelle Platte stets die beste sei, erzählt doch jeder. Aber wenn du soweit gehst, bekenne auch Farbe: Worin lagen die alten Fehler auf der letzten CD? Warum ist diese die beste?
Na, erst einmal waren es einfach zu viele Balladen. Da fehlte ein wenig Ausgleich und Gleichgewicht. Ich wollte damals schon ein paar Sachen machen, die einfach mehr nach vorne gehen. Hat aber nicht geklappt. Nee, echt, Ulf. Auch als Frau, die als Kind auf Mariah Carey stand, möchte man ja nicht nur ruhige Sachen machen. Auf einmal saß ich in dieser Schublade, 'Die singt ja nur Balladen.'
Ich bitte dich, gerade auch mit eurer Auskopplungspolitik aus Glashaus-Zeiten habt ihr euch bzw. du dir dieses Image doch schön lecker selbst zuzuschreiben. Da hat die Öffentlichkeit doch nur wahrgenommen, was du ihr vorgesetzt hast.
(leidenschaftlich) Nöö, also Moment. So war das ja auch nicht. Ich konnte daran doch gar nichts ändern. Mir wurde einfach nichts anderes angeboten.
Das ist natürlich auch nicht schön.
Und von den damals angebotenen Stücken habe ich einfach die besten genommen. Aber das macht die Bandbreite in der Auswahl nicht größer. Eben deshalb habe ich ja dieses Mal darauf gedrungen, dass das anders wird. Immer nur das ruhige Zeug. Das reicht einer Musikerin doch nicht; immer nur die Balladentante.
Die einzige Ausnahme: Elton John?
Ja, wahrscheinlich. Aber auch ... (überlegt) ... er ... hat doch auch ein paar Uptempo-Sachen im Programm. "Don't Go Breaking My Heart" zum Beispiel.
Oder "I'm Still Standing".
Oh, das ist so alt. Da war ich doch erst vier. Aber ich kenne das gerade noch.
Ach komm, Cassandra. Als Hörer mag das gehen. Aber professionelle Musiker können sich doch nicht darauf berufen, keinen Plan zu haben, was vor der eigenen Zeit abging.
Stimmt. Man darf auch nie aufhören, zu suchen. Aber das heißt doch nicht automatisch, dass man alles kennen muss, was jemals herauskam. Und genau dieses Suchen hat auch bei der neuen Platte geholfen.
Ok, aber was heißt das denn konkret und im Detail? Wie genau hast du dich denn dieses Mal mehr eingebracht?
Oh, das war auf jeden Fall viel mehr. In der Vergangenheit konnte ich sonst immer nur sagen, was ich nicht will, was mir total missfällt. Das ist endlich anders. Jetzt sage ich ganz bewusst aktiv 'Ich will das und das so und so!' Das hat insgesamt eine andere Richtung ergeben. Die neuen Sachen sind abwechslungsreicher.
Das klingt ja erfreulich. Ich wünschte dich ohnehin zukünftig noch in ganz anderen Ecken als beim 'Neuen Deutschen Plastiksoul'.
(lacht) Deine Direktheit beim Fragen ist für mich ungewohnt.
Ich wollte zumindest den Versuch unternehmen, uns beide nicht mit Hofberichterstattung zu langweilen.
Ich kann das auch ab. Da fühle ich mich auch nicht angegriffen. Also warte es nur ab. Es wird auf der Platte auf alle Fälle eine Steigerung geben.
"Ich bin lauter geworden."
Das Thema Grand Prix ist derzeit auch kritisch in aller Munde. Wenn man dich einlüde, mitzumachen: Würdest du eher sagen, deine neuen Lieder "Leben", "Camouflage" oder "Gib Mir Mehr" seien zu anspruchsvoll für die heruntergekommene Veranstaltung, oder denkst du, deine Sachen gehörten genau dahin?Weder das eine noch das andere, würde ich sagen. Insgesamt würde ich mich bei der Veranstaltung aber eher zurückhalten. Ich denke, der Contest ist doch eher so etwas wie eine Plattform. Das ist mehr was für Newcomer, die sich noch einen Namen machen müssen oder wollen. Dafür ist das die richtige Bühne. Mit mir und meinen Sachen hat das irgendwie auch nichts zu tun. Ich bin eigentlich auch gar nicht so der Typ für so eine aufdringliche Präsentation. So gern spiele ich mich ja gar nicht in den Vordergrund.
Interessant, das als öffentliche Bühnenkünstlerin mit Solokarriere zu sagen.
(lacht) Ok! Das klang jetzt ein bisschen nach Eigentor. Ich meine das so: Ich beurteile den Grand Prix nicht. Aber für mich ist das nichts, weil diese Wettbewerbssituation nicht mein Ding wäre. Bei so etwas spiele ich mich ungern in den Vordergrund. Ich möchte einfach dem Publikum meine persönlichen Songs zeigen, in meinem eigenen Programm. Da gehe ich dann aus mir heraus.
Zehn Jahre Zusammenarbeit mit Moses P. Auch jetzt hat er wieder deine CD produziert. Wie sieht dein Fazit aus?
Das können wohl inzwischen auch elf Jahre sein. Aber du hast schon Recht. Eine lange Zeit, und ich liebe es immer noch. Wir kennen uns als Künstler jetzt viel besser als früher. Jetzt habe ich ihn endlich zu ein paar Sachen überreden können, bei denen er sich früher immer hartnäckig gewehrt hat. Nicht, weil er es nicht wollte. Damals hatte er immer noch gesagt: 'Lass mal, kann ich nicht!'
Verstehe. Das Scheitern an den eigenen Grenzen macht es natürlich nicht leichter. Und warum ist es diesbezüglich kein Problem für dich, mit einem Musiker künstlerisch zusammen zu arbeiten, der mit seiner Firma Digiprotect als einziger Künstler in Europa ein Geschäftsmodell daraus macht, seine eigene potenzielle Kundschaft abzumahnen statt Scheiben zu produzieren?
So eine Frage würde mir gar nicht einfallen. Das ist einfach nicht die Ebene von Moses und mir. Ich sehe ihn eigentlich nur als Künstler. Aber als einer, der sich eben extrem gegen Widerstände durchsetzen musste und dies auch konnte. Und da hat er einfach so viel Energie und Kraft in seine Karriere stecken müssen. Mehr als ich das bei anderen gesehen habe.
Es ehrt dich, das zu sagen. Aber genau darauf zielt doch auch mein Vorwurf. Ist man ein echter Künstler, wenn der Eindruck entsteht, man sei nicht ein Getriebener der Musik, sondern nur des jeweils erfolgreichen Geschäftsmodells? Schau nur mal, wie viel er vor und nach der Firmengründung produziert hat. Das sagt dann vieles. Ist das nicht schade?
(Atmet tief durch) Naja, er hat halt beides gemacht, weil es für ihn wohl nicht anders ging. Es bot sich beides an. Wohl auch zum Schutz der eigenen Sachen. Aber das Charismatische an Moses ist ja auch, dass die Fehler, die er macht und die Erfolge, die er hat ... das sind alles 100% seine Verdienste. Da steckt er drin. Das macht ihn aus. Auch ich habe die Sachen lieber selbst unter Kontrolle. Das ist schon wichtig. Dann kann man auch dahinterstehen. Und ich glaube, das war wohl auch so ein bisschen seine Motivation. Ich jedenfalls finde es bewundernswert, dass jemand aus dem Nichts so etwas alles selbst macht.
Wer sind deine gesanglichen Vorbilder, die Ur-Ikonen aus der Kindheit?
Als Musikerin haben mich vor allem Michael Jackson und Mariah Carey immer sehr fasziniert.
Bei dir zu Hause wurde stets Englisch gesprochen. Drängt dich, die Familie nicht seit elf Jahren: 'Kind, bitte sing doch in der originalen Soulsprache, wenn du es schon machst'?
Klar macht das der amerikanische Teil meiner Familie. Das kommt regelmäßig. Aber das hat keine Auswirkungen. Natürlich singe ich auch ab und zu in Englisch. Aber das ist eher privates Vergnügen. Das Deutsche zu lassen, ergibt doch nur Sinn, wenn man unbedingt die ganz große internationale Karriere anstrebt.
Eben! So gar keine Pläne, nach Tokio Hotel und Rammstein als deutsch-amerikanische Powerfrau die USA zu erobern?
Da muss man sich vorher ganz genau fragen, ob man das wirklich will. Ich brauch das einfach nicht. Mir reicht das, wie es ist. Jedenfalls würde ich nicht nur deshalb die Sprache wechseln. Das bin ja hinterher immer noch ich auf der Bühne und muss es dann präsentieren. So was geht nur, wenn du dich auch total mit der gesungenen Sprache identifizieren kannst.
Hat sich dein Gesangsstil für die neue CD denn in irgend einer Weise verändert?
Ich schätze, ich bin lauter geworden. Ich traue mich jetzt einfach viel mehr. Und dabei geht es nicht nur um den Ausdruck, sondern um die Range. Da bin ich einfach kompletter und gestreuter als früher. Das hörst du vielleicht am Besten in "Wenn Liebe Ihren Willen Kriegt". Da passiert einfach am meisten. Der Bogen spannt sich von ganz tief nach ganz hoch und hat auch einen leicht klassischen Touch. Das ist gesanglich für mich eine ganz neue und andere Art der Herausforderung gewesen.
Du räumst ja selbst frühere Mängel in der Range ein. Was entgegnest du Leuten, die deinen Gesang bislang als zu dünn und wenig sinnlich für ein so kraftvolles Genre wie Blackmusic kritisieren?Eigentlich kenne ich speziell diesen Vorwurf nicht. Ich kenne den Vorwurf, es ginge immer nur in eine Richtung und die Höhen und Tiefen werden nicht ausgeschöpft. Aber wenn man nur eine Facette ausschöpft, kann der Eindruck vielleicht bei manchen entstehen. Genau deshalb habe ich für die CD auch meine Bruststimme ausgebildet. Da kommt dann noch mal eine ganz andere Intonation hinzu.
Würde es dich den nicht reizen, endlich auch Blackmusic zu machen, die nicht bewusst diese sehr modernistische, unorganische Produktion fährt? Echter jazziger Blues wie z.B. ein Billie Holiday-Album oder etwas eigenes im schwitzenden von Oldschool-Sounds von Amy Winehouse oder Adele Adkins? Mal was Laszives, Erotisches?
Auf jeden Fall.
Na, dann mach es doch. Das wär doch echt mal ne Alternative zum bisherigen Angebot.
Solche Sachen, wie Mary J Blige macht, liebe ich ja. Aber das ist natürlich auch eine Gefühlssache. Sie hat ja nicht nur die Stimme dazu. Sie transportiert auch das Gefühl. Sie hat natürlich auch Zeiten mitgemacht, die ihre Stimme jetzt wiedergibt. Sie ist doch echt die einzige in dem R'n'B-Bereich, bei der man in jeder Sekunde noch diesen Schmerz heraushört. Und dabei klingen die Lieder dennoch positiv. Sie macht Musik wie das Leben ist.
Absolut. Blige hat den Blues.
Oh ja, den hat sie. Den hat sie.
Bei dir und anderen Pelham-Künstlern wie Xavier Naidoo wird hingegen oft folgende Kritik geäußert: 'Die Musik wäre viel sympathischer, wenn sie die Lieder nicht stets künstlich zu 'Soul' hochstapelten, obwohl die meisten Songs in Melodieführung und Struktur im Kern völlig normaler Pop sind.'
Was ist denn richtiger Soul?
Das wäre meine nächste Frage an dich gewesen. Aber ok. Ich sage dir, was bei dir nach meiner Ansicht definitiv nicht Soul ist. "Leben" kann man auch als ZDF-Hitparadenschlager inklusive 70er Melodiebogen feiern. "Gib Mir Mehr" ginge ebenso als Gitte Haenning-Selbsfindungslied aus den 80ern durch und "Camouflage" kannst du locker als Erasure-Elektropop bringen. Das meine ich künstlerisch gar nicht total negativ. Aber warum kann man nicht ehrlich dem Publikum gegenüber zugeben, dass man angesoulten Popschlager macht, der mit Otis Redding, James Brown, Motown, etc. nur noch Spurenelemente gemein hat?
Also erst einmal würde ich mir natürlich immer zuerst anschauen, wer so etwas sagt. Nicht jede Kritik kann man ernst nehmen, weil man nicht jeden Kritiker ernst nehmen kann. Also die letzte Platte lief schon eher in so eine Poprichtung. Da war es dann auch wirklich nur meine Stimme, die das dann anders abliefert. Auch die Thematik ist jetzt eine andere. Insgesamt ist das doch aber ein Zusammenspiel von so vielem, worauf es da ankommt. "Die Stadt" zum Beispiel basiert auf einem Instrumental von Michel Jackson. Und ... ja. Okay, es ist zugegeben eine gute Frage. Aber ich kann die einfach spontan nicht so leicht beantworten.
Liebe Cassandra, ich danke dir für das schöne Gespräch.
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