laut.de-Biographie
Coco Schumann
Die Geschichte des deutschen Jazz ist ein von dunklen Schatten überlagertes Kapitel. Von den USA ausgehend, erobert das Genre rasch die westliche Hemisphäre und fällt auch im Deutschland der zwanziger Jahre auf fruchtbaren Boden.
Nach der Machtergreifung der Nazi-Bande 1933 sehen sich Künstler des Genres zunehmend Repressalien ausgesetzt - Jazz gilt als 'undeutsch' und 'entartet'. Zu ihnen zählt der am 14. Mai 1924 in Berlin geborene Heinz Jakob 'Coco' Schumann. Bereits von frühester Jugend an übt er sich, fasziniert von den neuen Sounds, im Spiel mit Schlagzeug und Gitarre. Beim Musizieren in Bands mit Gleichgesinnten verfeinert er seine Fähigkeiten.
Doch die Generation der Swing Kids erwächst nicht zu voller Blüte. Als sogenannter Halbjude steht Schumann ohnehin längst im Visier der Staatsmacht. Unbeirrt absolviert er dennoch im Verbund mit Freunden weiterhin Auftritte in Berliner Nachtclubs. Doch 1943 findet die so hoffnungsvoll gestartete Karriere ein jähes Ende: Im März verhaftet die Gestapo den Musiker, und deportiert ihn ins Konzentrationslager Theresienstadt.
Paradoxerweise kann Schumann hier weiterhin seiner Musikleidenschaft nachgehen. Das sogar genehmigt von höchster Stelle. Denn Theresienstadt ist als Muster-KZ konzipiert, um ausländische Besucher über die wahren Absichten des Regimes hinwegzutäuschen. In einem eigens für die Propaganda konzipierten Film ist Coco als Schlagzeuger in der Band Ghetto Swingers zu sehen. Die sich zunächst als relativ moderat gestaltende Unterbringung in Theresienstadt verdankt er dem Einsatz seines Vater: Er wies sich im Reichssicherheitshauptamt als Arier und 'verdienter Frontkämpfer' aus dem Ersten Weltkrieg aus.
Im Zuge des für NS-Deutschland immer ungünstiger verlaufenden Krieges, beginnt für Schumann dennoch eine Odyssee durch verschiedene Lager. 1944 wird er nach Auschwitz überführt, 1945 folgt die Inhaftierung im Dauchauer Nebenlager Kaufering. Die Allierten rücken immer weiter vor, und im April werden die Häftlinge zu einen Todesmarsch nach Innsbruck gezungen. Dabei erleben Schumann und seine Leidensgenossen die Befreiung durch amerikanische Einheiten.
Trotz der erfahrenen Greuel der NS-Zeit führt der Künstler seine Karriere im Nachkriegsberlin fort. Er erarbeitet sich den Status eines Pioniers an der E-Gitarre, und ist rasch er wieder im Geschäft. Mit Kollegen wie dem Geiger Helmut Zacharias veröffentlicht er Schallplatten und absolviert unzählige Auftritte auf der Bühne und fürs Radio.
Von 1950 bis 1954 lebt er mit seiner Ehefrau in Australien. Schumanns Herz schlägt so richtig aber nur in Deutschland. Auch nach dieser Pause kann er seine Arbeit als willkommener Rückkehrer nahtlos wieder aufnehmen. Das Anknüpfen an alte Erfolge gelingt mühelos, auch in Kinofilmen absolviert der Musiker Gastauftritte.
Doch die sich wandelnden Zeiten nehmen immer stärker Einfluss auf die Karriere des Urgesteins des deutschen Swing. Bis zum eigentlichen Karriereende um 1980 herum unterhält er seine Anhänger mit Konzerten auf Kreuzfahrtschiffen und Gala-Events. Eine Arbeit, die in erster Linie dem Broterwerb dient. "Kapitalismus ist übel", erkennt Schumann in diesen Tagen. Übt sich aber in Pragmatismus, denn "eine Million in der Tasche ist auch nicht schlecht".
1990 meldet sich der nimmermüde Musiker mit dem Coco Schumann Quartett zurück. Den letzten großen Auftritt absolviert er anlässlich eines Festakts für die Jewish Claims Conference.
Die düsteren Erfahrungen während der NS-Zeit begleiten den Musiker und Menschen Schumann nachvollziehbar zeitlebens. Doch gerade aus der Leidenschaft zur Musik zieht Coco für sich die Kraft, weiterzumachen und die persönliche Vergangenheit auf ganz eigene Weise zu bewerten: "Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat. Kein KZler, der Musik macht".
Anfang 2018 stirbt der Jazz-Gitarrist mit 93 Jahren in seiner Heimatstadt Berlin. Seinen berühmten Spitznamen 'Coco' soll Schumann von einer französischen Freundin erhalten haben, die seinen Vornamen Jakob nicht aussprechen konnte.
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