14. November 2005

"Wir verdienen auf der Tour kein Geld"

Interview geführt von

Es ist wohl leichter, in einen Sicherheitstrakt zu gelangen, als in den Backstage-Bereich von Coldplay. Trotzdem schaffe ich es, die britischen Sympathen vor ihrem Konzert in Mannheim vors Mikro zu bekommen.Wie viele Leute können sich in einen Backstage-Bereich quetschen? Und wofür sind die dann alle zuständig? Vor allem wohl dafür, die Journalisten von Zimmer zu Zimmer zu schubsen und einen Tee anzubieten, den sie dann eh nicht bekommen. Mich bugsieren sie in eine Kammer, die einem kargen Raum auf einem Polizeirevier ähnelte, in dem der Kommissar Verdächtige verhört. In dieser Zelle soll nun also ein lockeres Gespräch mit einem Bandmitglied von Coldplay (Coldplay!) stattfinden.

Nicht gerade die geeignete Atmosphäre, um meine Aufregung in den Griff zu bekommen. Nun, sobald Guy Berryman, Bassist der Band, den Raum betritt, wird klar: Ich habe es hier mit einem freundlichen, aber bestimmten Profi zu tun. Und mit dem Mann der Band, den Chris Martin liebevoll "The beautiful one" nennt. Naja, ein bisschen klein ist er ... Außerdem entdecke ich da so einen goldenen Ring am Finger.

Gestern brachte MTV eine News, die in der Essenz besagte: Coldplay lösen sich auf. Und ich habe mich gefragt: 'Was? Ich seh sie doch morgen live?' Will (Coldplay-Drummer) soll gesagt haben, dass ihr euch gerade ziemlich auf die Nerven geht und dass er glaubt, dass das ein Grund sei, aus dem sich Bands auflösen.

Guy: Das war heute in den MTV News?

Gestern hab ich das gelesen – online ...

God, ich weiß nicht, woher solche Dinge kommen. Die Leute ... da kursiert so viel Bullshit. Das ist einfach ausgedacht. Und wir werden die ganze Zeit falsch zitiert. Manchmal sagen wir Sachen, die wir als Witz verstehen, und dann entschließt sich jemand, das abzudrucken. Und es ist klar: Wenn du das abdruckst, sieht es aus, als wäre es ernst gemeint. Denn du hörst den Tonfall der Stimme nicht, die das mal auf eine ironische Art und Weise gesagt hat. Den Humor kann der Leser nicht mehr nachvollziehen. Da kommen solche Geschichten her, das klingt ganz danach.

Allerdings gab es ja schon wirklich oft Gerüchte darüber, dass ihr nicht mehr weitermachen und euch trennen wollt. Habt ihr je ernsthaft darüber nachgedacht, euch aufzulösen oder aufzuhören?

Oh, weißt du, wir hatten gute und schlechte Zeiten, wir hatten harte Zeiten. Aber es kam nie zu dem Punkt, an dem wir ernsthaft gedacht haben, dass das nun das Ende sein muss.

Für die Aufnahmen eures aktuellen Albums wart ihr sechs Monate im Studio ...

Oh God, es war noch länger ... es war ca. ein Jahr. Wir haben ganz schön viel Zeit vergeudet. Die Aufnahmen dauerten 18 Monate. Aber die ersten, sagen wir, 13 Monate haben wir uns nicht ordentlich konzentriert. Wir wollten nicht wirklich im Studio sein, haben uns nach einer Pause gesehnt. Wir haben es wie einen Day-Job behandelt, waren nicht sehr leidenschaftlich bei der Sache. Nach dieser langen Zeit ist uns aufgefallen, dass wir noch nichts richtig Gutes aufgenommen hatten. Wir sind etwas in Panik geraten, aber wir bekamen so etwas wie einen zweiten Anschub. Ungefähr 90 Prozent des Albums haben wir in den letzten drei Monaten aufgenommen. Also haben wir eigentlich nur drei Monate für die Aufnahmen gebraucht.

Gab es zwischendurch einen Punkt, an dem ihr dachtet, ihr werdet wahnsinnig, wenn das so weiter geht, oder dass sich dringend etwas ändern müsste?

Ja, nachdem wir dieses Jahr sozusagen vergeudet und in der Zeit nichts zustande gebracht haben, das wir uns gerne anhörten. Da haben wir festgestellt, dass wir die Sache falsch angegangen sind. Wir mussten die Art und Weise, wie wir im Studio arbeiten ändern. Wir mussten einige Songs ändern, einige Songs schreiben. Wir mussten anfangen, auf eine positivere, kreativere Art und Weise zu arbeiten, statt für lange Zeit einfach nur rumzusitzen und gelangweilt zu sein.

Habt ihr dann auch neue Inspirationen gefunden? Ich frage mich, was euch dazu gebracht hat, dass ihr doch wieder Stücke schreiben konntet, die ihr für gut befunden habt.

Gute Frage ... wenn ich die Antwort wüsste, würden wir weit mehr Platten aufnehmen. Es ist einfach nur ein Gefühl. Wenn etwas funktioniert, dann weißt du, dass es funktioniert. Und wenn es nicht funktioniert, braucht es manchmal sehr viel Zeit, bis man realisiert, dass es nicht funktioniert.

Ich habe gelesen, dass jeder von euch ca. zwei Millionen Pfund ... auf jeden Fall eine Menge Geld bekommen hätte, wenn ihr das Album früher fertiggestellt hättet. Wie lange denkt man über so ein unglaubliches Angebot nach, bevor man es endgültig ablehnt?

Es stand nie zur Debatte, zu sagen: Kommt, wir machen das Album schnell fertig und kassieren dann das zusätzliche Geld ein. Es ist auch gar nicht so, dass sie uns das Geld wirklich gegeben hätten. Das Geld, das wir bekommen, ist Geld, das wir der Plattenfirma ohnehin zurückzahlen müssen [Künstler bekommen von ihrer Plattenfirma einen Vorschuss, mit dem sie ihre Arbeit, die Aufnahmen und ihre "Lebenshaltungskosten" bezahlen sollen. Allerdings sehen sie auch so lange aus ihren eigentlichen Einnahmen nichts, bis zumindest dieser Vorschuss bei der Plattenfirma abbezahlt ist, Anm. d. Red.]. Deshalb war es nie sehr verlockend für uns. Das Wichtigste für uns war eh, die Platte so gut wie möglich zu machen. Und das dauert eben, so lange es nun mal dauert.

In Interviews, die man mit euch kurz nach der Veröffentlichung von "X&Y" gelesen hat, beteuert ihr immer wieder, dass ihr das Album nicht hättet besser machen können. Hat sich eure Beziehung zum Album inzwischen geändert, nachdem ihr nun auch schon eine Weile mit den neuen Songs auf Tour seid?

Natürlich dachten wir da, es wäre das beste Album, es wäre die beste Auswahl von Songs, die wir aufs Album gepackt haben usw., usw.. Aber natürlich, wie mit allen unseren Alben, kann nur die Zeit einem zeigen, was an den Alben wirklich gut bzw. schlecht ist. Inzwischen hätten wir bestimmt ein paar Sachen anders gemacht. Wir hätten weniger Songs aufs Album gepackt.

Echt, warum?

Wir hatten immer so einen Grundsatz, oder haben halt einfach daran geglaubt, dass die besten Alben zehn oder elf Songs lang sind. Aber wir fanden es so schwer, uns zu entscheiden, welche zehn oder elf Songs nun auf dieses Album kommen sollten. Also haben wir am Ende mehr Songs aufs Album gepackt ... Während es weit besser gewesen wäre, wenn wir uns zu einer Entscheidung gezwungen hätten. Ja, viele Sachen wie diese würden wir jetzt anders machen, weißt du. That's the way it goes: Du musst etwas raus bringen, an das du zu diesem Zeitpunkt glaubst.

"Ich fühle mich nie, überhaupt nie berühmt."

Ich finde, dass die Tickets für eure Konzerte ziemlich teuer sind. Ich weiß nicht, ob ihr überhaupt mitbekommt, was die Leute zahlen, um euch zu sehen.

Ja.

Glaubt ihr nicht, dass das zu teuer ist?

Unsere Tickets kosten halb soviel wie die von U2!

Naja, euer Konzert in Berlin hat ungefähr 60 Euro gekostet - U2 75 Euro.

Ich garantiere dir, dass wir unsere Ticket-Preise so niedrig halten, wie nur möglich. Wir haben keine speziellen Plätze, die man für tausend Euro kaufen kann. Wir haben einen Grundsatz in der Band, der besagt, dass wir die Ticketpreise immer so niedrig wie möglich halten wollen. Also weiß ich nicht, mit wem du unsere Preise vergleichst.

Uiuiui, da hab ich wohl kein gutes Thema angesprochen. Auch wenn die Karten heute Abend nur knapp über 40 Euro kosten, ist das noch eine ganze Menge Geld, egal welche anderen Künstler wie viel für ihre Karten nehmen. Ich unterbreche ihn hier lieber.

Es erschien mir einfach nur sehr viel Geld, als ich die knapp 60 Euro für ein Ticket hinlegte.

Er möchte trotzdem seine Rechtfertigung zu Ende bringen

Wir haben eine ziemlich fette Produktion, die wir für unsere Show brauchen. Wir versuchen, unsere Konzerte so gut hinzubekommen, wie es uns irgendwie möglich ist, sie soll interaktiv, multimedial, usw. sein. Wir müssen all diese Kosten tragen. Wenn die Ticketpreise also hoch sind, bedeutet das nicht, dass wir damit eine Menge Geld scheffeln wollen. Ich kann dir versichern, dass wir mit dieser fünfwöchigen Tour durch Europa gerade gar kein Geld machen. Also gehen alle Kosten des Tickets in die Produktion, damit finanzieren wir sie.

Gefällt dir denn diese riesige Produktion, oder würdest du manchmal gerne wieder eine ganz einfache Show in einer kleineren Location spielen?

Natürlich, jede Venue, ob drinnen oder draußen, hat ihren Reiz ... Im Moment machen wir eben diese Arena-Shows. Wir haben ziemlich viel Zeit und Aufwand in das Design dieser Shows investiert. Wir wollen, dass das Erlebnis für unsere Fans so gut wie möglich wird.

Seid ihr an den kompletten Ablauf der Show beteiligt? Seid ihr dabei, wenn sie sich die Projektionen usw. ausdenken?

Ja, zu 100%, das ist etwas, womit wir uns schon immer beschäftigt haben ... mit jedem Aspekt der Band. Sogar um so kleine Details wie die Schriftart, die in den Booklets unserer Alben benutzt wird kümmern wir uns. Es gibt nichts Kreatives, das wir jemand anderem überlassen oder an jemanden delegieren. Das kommt alles von uns.

Es sieht ziemlich spannend aus, was ihr da auf der Bühne macht. Wie bekommt ihr denn die Ideen zu den ganzen Spielereien? Arbeitet ihr mit Profis, die euch verschiedene Sachen vorschlagen, seht ihr das bei Shows anderer Künstler ...?

Du kannst deine Ideen überall sammeln. Du hast es vielleicht irgendwo gesehen, oder dir kommt die Idee, oder es wird dir vom Zuständigen ans Herz gelegt, dieses oder jenes auszuprobieren. Wir versuchen, die Show sehr dynamisch zu halten, damit die Leute sich nicht langweilen. Es ist wie eine Reise vom Beginn zum Ende der Show. Es sieht immer anders aus ...

"Chris macht oft alberne Sachen"

Ich war bei eurem Konzert in Berlin und da ist mir eine Sache sehr negativ aufgefallen: Ihr habt gerade einen sehr emotionalen Song gespielt, plötzlich unterbrach Chris den Song und sagte etwas ziemlich Beklopptes auf deutsch, nämlich: "Wie komme ich zum Ostbahnhof?" Seitdem frage ich mich, ob ihr eure Songs noch ernst nehmt?

Er macht solche Sachen – vor allem, wenn er nervös ist, wenn er von einem Song nicht überzeugt ist. Meist sind es balladeske. Er ist dann unsicher und tut solche albernen Sachen. Ich mag es auch nicht, wenn er so was macht. Es macht den Moment kaputt, da stimme ich dir zu.

Jedes Mal ...

Nein, nicht immer.

Nein, nein, ich war schon bei der nächsten Frage: Er springt oder rast bei jedem Konzert wie ein Irrer auf der Bühne rum. War dir das am Anfang peinlich?

Nein, er ist schon immer rumgehopst. Aber früher musste er immer ein Instrument spielen, Gitarre oder Klavier. Inzwischen spielen wir manche Stücke so, dass er einfach nur ein Mikro in der Hand hat, so dass er rum rennen kann oder was immer er sonst machen möchte. Ich würde das ja nicht machen, aber er mag so was.

Viele Artikel, die man über euch liest, stellen euch als die Jungs dar, die in der Schule eher Außenseiter waren und es nun mit ihrem Erfolg allen zeigen. Was haltet ihr von Leuten, die so über euch schreiben?

Ah,

Das Geräusch, das Guy hier von sich gibt, klingt wie ein Seufzen, bei dem er ein Lächeln auf dem Gesicht trägt

weißt du, es kümmert mich überhaupt nicht, was die Leute schreiben. Denn das meiste ist nicht wahr. Wenn das die Sicht ist, die die Leute haben ... Das ist vielleicht das Bild, das ein Journalist – oder eine Journalistin – von uns bekommt, nachdem wir ein Interview geführt haben. Und dann ... das Problem mit der Presse ist, dass die Presse kreisförmig funktioniert: Der eine Journalist liest das, was der andere schrieb, und benutzt das wiederum, um einen Artikel über uns zu schreiben und so weiter. Am Ende hast du dann solche Gerüchte im Raum stehen, wie unsere angebliche Trennung oder dass wir uns hassen. Deshalb nehme ich solche Sachen nicht zu ernst. So was bereitet mir keine Kopfschmerzen. Für uns ist es wichtig, gute Songs zu schreiben und gute Platten zu machen.

Aber ihr scheint doch sehr darauf zu achten, was die Leute über eure Musik schreiben. Das ist euch also – im Gegensatz zu dem, was die Presse sonst so über euch schreibt – sehr wichtig!?

Ja, genau. Es interessiert mich allein, die Meinung der Leute über unsere Musik zu erfahren. Nicht wer wir sind oder wie wir uns aufführen. Dass wir langweilig sind, weil wir keine Drogen nehmen, oder der Klatsch über Chris' Hochzeit oder der ganze Bullshit. Das lassen wir nicht an uns ran.

Vergisst du denn an einem ganz durchschnittlichen Tag, dass du berühmt bist?

Klar, ich fühle mich nie, überhaupt nie berühmt.

Aber jeder kennt dich.

Jeder kennt Chris. Aber wir anderen drei sind in einer etwas anderen Position. Wir können in totaler Anonymität durch London laufen. Das würde ich um nichts in der Welt ändern!

Du fühlst dich vielleicht nicht sehr berühmt, aber du hattest mit dem, was du machst, einen riesigen Erfolg. Macht dich das in deinem Privatleben selbstsicherer?

Vielleicht. Ich weiß es nicht. Was uns passiert ist, entwickelte sich über zehn Jahre. Es veränderte sich ja nichts einfach so über Nacht. Vielleicht bin ich eine selbstbewusstere Person, als ich es vor zehn Jahren war. Aber ich kann mich daran nicht mehr erinnern. Das ist lange Zeit her.

Eure "X&Y"-Theorie impliziert, dass es für jedes Problem auch eine Lösung gibt. Aber es gibt doch auch Probleme, die immer wieder auftauchen.

Ja, da stimme ich total mit dir überein. Ich glaube, wir haben nie behauptet, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt.

Vielleicht habe ich da ein bisschen interpretiert, als ich alte Interviews gelesen habe.

Wir müssen beide schmunzeln.

Es heißt ja nicht "X=Y". Es heißt "X&Y".

Guy lacht, bedankt sich artig und fragt höflich, ob ich heute Abend noch aufs Konzert komme.

Am Abend frage ich mich, ob er mit Chris geredet hat. In einer Ansage – nicht im Song - kommt wieder sein blöder "Wie komme ich zum Bahnhof"-Spruch. Darauf folgt allerdings dieses Mal die Aufforderung ans Publikum, eine Fremdsprache ordentlich zu lernen. Denn er hätte früher nie gedacht, dass er vielleicht mal Tourneen durch Deutschland geben würde, und deshalb in der Schule nicht aufgepasst.

Lernt Fremdsprachen gewissenhaft, es könnte immer Mal sein, dass ihr plötzlich in einer Halle vor 10.000 Leuten steht und mit ihnen kommunizieren möchtet, lautet seine Aufforderung ans Publikum. Nun, Coldplay live machen auch auf Englisch Spaß, so lange Chris sich seine Witzchen für die Ansagen aufspart.

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