16. November 2017

"Wir haben auch mit den Nazis gesprochen"

Interview geführt von

Vier Platten enthält das Box-Set, mit dem die Deutsch Amerikanische Freundschaft kürzlich ein weiteres ihrer zahlreichen Revivals ankurbelte.

"Das ist DAF" lautet der Claim, unter dem man das instrumentale Frühwerk wie auch die zwei Reanimierungsversuche von 1986 und 2003 geflissentlich aussparte. Eindeutiger lässt sich kaum illustrieren, für wie unerreicht selbst Gabi Delgado und Robert Görl ihre goldene DAF-Frühachtziger-Phase halten.

Es ist ein grauer Oktobernachmittag in Freiburg. In einem kühl eingerichteten Hotel am Hauptbahnhof wartet Gabi Delgado bereits an der Bar. Wir nehmen Platz. Höflich bittet er den Kellner, die Hintergrundmusik auf ein diktafon-freundliches Level zu regeln, und bestellt sich einen doppelten Espresso. Wenige Momente später stößt sein Partner Robert Görl dazu. Der Drummer mit dem oberbayrischen Dialekt trinkt Cappuccino und Sprudelwasser.

Willkommen in Freiburg. Wenn man der Legende glaubt, gab es hier in den Achtzigern eine relativ aktive Punk- und Hausbesetzer-Szene. Habt ihr damit irgendwelche Berührungspunkte?

Gabi: Ich habe 1981, 82, 83 in Zürich gewohnt, das war diese "Züri Brännt"-Spätphase. Aber Kontakte zur Freiburger Szene hatte ich nicht.

Robert: Ich glaube, das ist sogar unser erstes Freiburg-Konzert überhaupt. Wir haben gestern schon überlegt: Wir sind uns nicht sicher, ob wir jemals hier gespielt haben. Kann sein, dass das heute die Premiere ist.

Der Anlass lautet "33 Jahre Café Atlantik". DAF gibt es 39 Jahre.

Robert: Genau, nächstes Jahr ist unser big year.

Warum veröffentlicht ihr dann eigentlich schon in diesem Jahr Box und Biografie - und spart die nicht zum Jubiläum auf?

Gabi: Ach, das ist uns eigentlich völlig egal.

Robert: Es kann sogar sein, dass wir gar nix machen. Mich haben auch schon Leute gefragt, ob wir nächstes Jahr eine Party machen.

Gabi: Wir sind überhaupt nicht so drauf. 40? 39? Das ist völlig egal. Das ist wie wenn Leute sagen: Ab Silvester rauche ich nicht mehr. Wenn du nicht mehr rauchen willst, dann fang doch jetzt an. Wir sind da keine Datumsfetischisten. Diese Box haben wir auch deswegen veröffentlicht, weil sich unser Publikum in den letzten fünf Jahren sehr gewandelt hat. Während damals vor allem alte Fans und Follower gekommen sind, haben wir heute 80% junge Kids im Publikum, die noch gar nicht geboren waren, als wir das gemacht haben. Wir wollten nicht Teil irgendeines obskuren Back-Katalogs sein, sondern unsere Originalscheiben so behandeln, als wäre es ein neuer Release. Weil das nach wie vor neue Musik ist.

Robert: Genau, so kann man's natürlich auch sehen. Diese DAF-Nummern brennen ja immer noch. Auch jetzt kommen neue, junge Leute zu den Konzerten. Das ist teilweise unglaublich.

Und Leute samplen euch, zum Beispiel K.I.Z.

Robert: Wir haben damals schon was losgetreten. Das war schon sensationell, auch die Elektronik, die wir da abgeliefert haben.

Gabi: Mit K.I.Z. hab ich ganz guten Kontakt. Wir haben uns mal in Berlin getroffen. Ich hab auch einen Remix gemacht. Der ist aber nicht veröffentlicht worden, sondern liegt noch irgendwo rum. Die mag ich ganz gerne. Auch Frittenbude. Wir haben ganz guten Kontakt.

Ein Kollege von laut.de fragte: Sind K.I.Z. nicht eh die DAF von heute?

Gabi: Ja, wir haben uns auch über die Texte unterhalten. Da haben wir viele Parallelen entdeckt. Das war wirklich ein sehr, sehr gutes Verständnis.

Robert: Ich kenne die jetzt gar nicht.

Robert, du trittst, wie ich im Trailer gesehen habe, in der Conny Plank-Doku auf. Hast du den Film schon gesehen?

Robert: Ja, ich war bei der Premiere im Berliner Eiszeit-Kino. Eigentlich sollte Stephan Plank, der Sohn [und Regisseur des Films, Anm. d.Red.], auch da sein. Der war aber schon bei der anderen Premiere im Kant-Kino. Dann bin ich da aufgetaucht und er war nicht da. Ein paar Leute haben mich erkannt – das ist öfters so, und es waren ja auch Musikfreunde für diesen Film da. Da gab es dann Getuschel und so. Plötzlich kommt der Kinobesitzer auf mich zu: Robert, du musst mir jetzt echt einen richtigen Gefallen tun – bitte sprich, bevor wir mit dem Film loslegen. Dann musste ich echt eine Rede halten. Im Kino.

Gabi: Das macht doch Spaß.

Robert: Kurz war ich irgendwie so: Ohh. Aber das hab ich dann echt gemacht. War ganz witzig. Also ja, ich kenne den Film.

Gabi: Ich bin da nicht dabei. Das war mir ein bisschen zu blöd, sag ich mal.

Warum?

Gabi: Also ich will hier jetzt niemandem auf den Schlips treten. Der Conny ist für mich ein ganz wichtiger Mensch. Abgesehen von meiner Ehefrau ist das der Mensch, von dem ich am meisten gelernt habe. Der hat mir sehr viel beigebracht. Nicht nur produktionstechnisch, sondern auch businesstechnisch. Allgemein über Leben und Kunst, sag ich mal. Das war ein bisschen mein Meister. Wie kein anderer Mensch hat der wirklich Einfluss auf mein Leben genommen.

Aber sein Sohn, ja, mit dem kann ich wirklich sehr, sehr wenig anfangen. Ich verstehe, dass das für den Stephan auch so eine Art Auseinandersetzung mit seinem Vater ist. Aber ich hab das so gelesen und mitverfolgt und zum Schluss dachte ich: Nee. Das ist mir ein bisschen zu blöd. Da respektiere ich den Conny zu sehr für. (lacht) Da hab ich den viel zu lieb, den Conny. Das hat mir nicht so gefallen, sag ich mal. Aber den Conny verehre ich sehr.

Robert: Ich glaube, es ist trotzdem noch ein ganz netter Film geworden. Das haben jetzt echt mehrere Leute gesagt. Man kann ihn auf alle Fälle anschauen. Es ist aber auch ein sehr persönlicher Film.

Gabi: Ich bin halt auch ein sehr unnostalgischer Mensch.

Robert: Genau, der ist total nostalgisch, der Film. Der Sohn macht halt einen Film über seinen Vater. Das ist einfach ein Vater-Film.

Gabi: Das ist auch legitim. Nur muss man da nicht unbedingt mitmachen.

Robert: Ich hab halt mitgemacht. Aber klar, Gabi war ja auch weiter weg, er lebt ja in Spanien mittlerweile. Mich hat Stephan in der Zeit mehrmals getroffen, wir leben beide in Berlin. Dadurch hat sich das dann ergeben. Wir haben uns mehrmals auf einen Kaffee getroffen, und Stephan konnte mich schneller überreden, dass ich mitmache.

Für dich war Conny Plank ja auch musikalisch ein großer Einfluss. Stichwort: Synthesizer über Gitarren-Amps schicken.

Robert: Ja, genau. Der Conny war ein richtiger Spezialist für solche Effekte. Einer davon war halt, dass er die Synthies auch noch über den Gitarren-Amp gejagt hat. Er hat also neben dem Direktsignal auch noch den Speaker abgenommen. Conny war auf alle Fälle ein großer Meister der Mikrofonie. Der hat überall Mikros aufgestellt. Auch Raummikros. Der Typ hat sogar noch Mikros in Nebenräumen aufgestellt. Denn klar, hinten im Gang um's Eck landet ja immerhin noch ein Delay des Klangs. Und wenn's nur eine hundertstel Sekunde ist – das hat der auch noch aufgenommen. War schon ein Freak, der Conny. Aber gut, sehr gut. Er hat die Synthies zum Rock gemacht.

Gabi: Der Plank hat wirklich gut erkannt, dass das sonst ein bisschen zu clean und plastikhaft klingt und auch nicht so fett. Das war sein großer Beitrag zum Sound: diese Synthies zu verrohen und dadurch auch eine bessere Einheit zum Schlagzeug zu bilden.

Robert: Genau, denn das Schlagzeug ist ja auch akustisch. Das atmet ja.

Gabi: Der Plank war ein ganz großartiger Mensch, der sich auch nie eingemischt hat in Komposition oder Text. Der Plank hat immer gesagt: Ich bin euer Tonkutscher. Der hat sich wirklich nur um sein Zeug gekümmert. Das war schon toll.

Robert: Er hat uns eigentlich sein ganzes Ding zur Verfügung gestellt, das fand ich das Allergrößte an ihm. Er war ein richtiger Gönner.

Gabi: Das haben wir auch von ihm gelernt: dass man einfach großzügig sein kann. Dass man gute Ideen nicht zurückhalten muss. Dass man alle dran teilhaben lassen muss. Und nicht irgendwie geheimniskrämerisch: "Uh, das ist jetzt mein Produktionstrick, den verrate ich nicht". Sondern ganz im Gegenteil: Jedem, der dich fragt und der das wissen will, sagen: Guck mal, ich mach das so. Mach du das auch.

Robert: Ich meinte jetzt noch mal einen anderen Aspekt. Den der Zeit und des Materiellen. Wer stellt sich denn heute als Producer hin, nimmt irgendeine Band und sagt: Ja, Jungs, ihr könnt hier so viel Zeit verschwenden wie ihr wollt. Ich biete euch alles, ihr müsst auch nichts zahlen. Wir haben da ja gewohnt und gegessen.

Gabi: Diese absolut nicht-deutsche Großzügigkeit, die man sonst eher aus Spanien kennt. Dass man sagt: Hier, Mädchen, du hast kein Geld, dann zahl ich dir einfach das Hotel. Bist schon immer Fan, hast es mal verdient.

"Ich stehe hinter all unseren Fans, auch hinter den Faschisten"

Kennt ihr noch euer laut.de-Interview von 2003: "Der Teipel hat nur Lügen abgedruckt"?

Robert: Da war mal eins.

Gabi: Das kenn ich in- und auswendig. (lacht) Nee.

Da war das schöne oder auch nicht so schöne Buch "Verschwende Deine Jugend" gerade aktuell und Gabi hat sich sehr darüber echauffiert. Hast du mittlerweile deinen Frieden mit dem Buch gemacht?

Gabi: Ja, schon lange. Das ist vergeben und vergessen. Aber nach wie vor finde ich es unkorrekt. Er hätte uns ja mal schreiben können: Ich bring ein Buch raus, das ich gerne "Verschwende Deine Jugend" nennen würde. Einfach informieren. Keep the people informed. Be nice with people on the way up, you meet them on the way down. Ich finde es nach wie vor nicht korrekt, dass er mir zum Beispiel gesagt hat, er sei ein Student, der eine Doktorarbeit schreibt, und nicht, dass er an einem Buch arbeitet. Ich finde es nicht korrekt, dass er nicht gefragt hat: Darf ich den Titel "Verschwende Deine Jugend" verschwenden? (lacht) Aber ich bin natürlich nicht mehr sauer. Ich bin überhaupt kein nachtragender Mensch. Aber man muss sagen: Das war nicht korrekt.

Habt ihr ihn mal getroffen?

Gabi: Ich hab den nie getroffen.

Robert: Ich schon. Mir war der ja sympathisch. Wie gesagt, ich hatte nicht so ein Ding am laufen wie der Gabi. Es waren zwei getrennte Interviews. Ich hab ihn getroffen, mir war der Typ sogar sympathisch. Deshalb konnte ich zu dem Thema damals überhaupt nichts sagen. Aber wir haben auch eh zwei verschiedene Sachen am laufen.

Gabi: Es ist nach wie vor unkorrekt.

Aber rein rechtlich ist es ja okay, oder? Es geht dir nur ums Moralische?

Gabi: Ich war bei einem Medienanwalt: Man hätte ihn richtig in Teufels Küche reinreiten können.

Wegen der Zitate?

Gabi: Wegen der Zitate und wegen der Verwendung des Buchtitels. Er hat das ja als Buchtitel registrieren lassen, obwohl die Rechte bei unserem Verleger sind. Aber so bin ich eben auch nicht drauf. Ich war sauer auf den. Aber das ist jetzt schon so ewig her, dass es mir egal ist. Und das Buch hat uns ja auch Vorteile gebracht, das geb ich auch zu. Ich fand seine Vorgehensweise nicht korrekt, aber das ist es auch schon.

Jetzt bringt ihr wieder ein Buch raus.

Robert: Ja, jetzt kommt ein richtiges DAF-Buch.

Wobei das auch nicht konfliktfrei gelaufen ist, wie ich gelesen habe.

Gabi: Nee, überhaupt nicht.

Robert: Das war aber vielleicht auch natürlich. Das Buch wurde ja sozusagen von vier Leuten geschrieben. Es gibt die zwei Schreiber, Rudi Esch und Miriam Spies, und vorletzten Sommer gab es dann zwei richtige Marathon-Interviews. Eines hat bei Gabi in Spanien stattgefunden und mit mir haben sie es in Berlin gemacht. Das muss man wirklich zu der Story dazusagen. Die haben da von jedem irgendwie 28 Stunden Talking gehabt. Dann haben sie im Laufe des Durcharbeitens festgestellt: Boah, wo es teilweise um die selbe Sache ging, haben wir die Dinge konträr gesehen. Verschiedene Erinnerungen. Und klar, da haben wir natürlich rumgezockt, wie das sein kann und so weiter. Aber der Verleger fand das gar nicht uninteressant. Warum soll man das jetzt glattbügeln auf eine Meinung? Das wäre ja dann auch so Friede-Freude-Eierkuchen-mäßig.

Gabi: Ich fand das sogar ganz klasse. Denn Robert und ich sind nun mal völlig unterschiedliche Menschen. Außerdem ist es ja eine völlige Illusion: Erinnerungen verändern sich. Das sind Sachen, die vor 40 Jahren passiert sind. Es ist klar, dass Robert die ganz anders erinnert als ich, denn alles, was du in der Zwischenzeit erlebt hast, verändert ja deine Erinnerung. Eine Erinnerung ist ja kein Originalabbild von dem, was wirklich geschehen ist.

Das heißt, ihr müsst das auch nicht alles ausdiskutieren?

Gabi: In 80 Prozent der Fälle haben wir es so gelassen. Aber teilweise waren die Erinnerungen dann schon so unterschiedlich, dass man einen Kompromiss finden musste, weil sich der eine oder andere halt auf den Schlips getreten fühlte. Deswegen ist das Buch für mich auch immer nur eine 80-prozentige Wahrheit. Und für Robert wahrscheinlich auch. (lacht)

Robert: Ja, aber das ist auch irgendwie logisch. Eine hundertprozentige Wahrheit gibt's ja kaum.

Gabi: Aber es ist ganz interessant. Das wirklich Spezielle daran ist, dass es zwei unterschiedliche Sichtweisen darstellt. Und, da spreche ich vor allem für meinen Teil, dass da nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen ist, sondern auch Kritik. Denn ich finde an DAF nicht alles gut.

Robert: Wir haben mal Tacheles gesprochen. Das wollen die Leute auch mal lesen.

Gabi: Ich mag das nicht, wenn es so ein Denkmal gibt, das dann von der Gruppe selbst noch überhöht wird. DAF ist sowieso ein Denkmal. Und ich bin gegen Denkmäler. Also kann man auch dagegen vorgehen.

Gibt es etwas, was ihr konkret bereut, oder von dem ihr heute sagt: Das war scheiße, das war zu krass?

Gabi: Nee.

Robert: Das eigentlich nicht. Alles was passiert ist, musste auch sein.

Gabi: Oh, da haben wir einen Fehler gemacht, das war nicht so gut – so ist das nicht. Das Schöne an der Vergangenheit ist ja, dass es sie nicht mehr gibt. Deswegen bin ich auch kein Nostalgiker: weil alles besser ist als die Vergangenheit. Und warum? Weil es die Vergangenheit nicht mehr gibt (lacht). So ist das halt.

Andere Frage: Euer liebstes Stilmittel war ja immer die Provokation. Mich beschäftigt gerade die Frage, wie viel Verantwortung Künstler dafür tragen, welche Fans sie haben und wie diese ihre Kunst verstehen. Ihr wart immer Vertreter des Standpunkts: ist uns egal.

Gabi: Sogar noch anders: Ich stehe hinter meinen Fans. Und zwar hinter allen.

Auch hinter Faschisten?

Gabi: Auch hinter Faschisten, natürlich.

Robert: Sogar hinter denen, die uns nicht mögen. Die kommen teilweise zu unseren Konzerten. Sogar Leute, die uns überhaupt nicht mögen, schauen sich dann trotzdem ihren Feind an (lacht).

Gabi: Aber das find ich auch ein ganz gutes Beispiel dafür, wie wir textlich arbeiten. Damals haben wir uns immer geweigert. Wenn die Leute gefragt haben: Seid ihr Faschisten? Dann haben wir gesagt: Sagen wir nicht. Heute kann ich es ruhig zugeben: Wir sind keine Faschisten. Aber jetzt haben wir vielleicht Nazi-Fans. Was machen wir mit denen? Was macht man jetzt mit diesen Skinheads, die eigentlich wider besseren Willens, einfach durch Desinformation, und dadurch, dass sie ungebildet sind, falsche Signale sehen? Was machen wir mit denen? Schließt man die aus? Distanziert man sich von denen? Oder sagt man: Nee komm, denen hauen wir jetzt erst mal "Der Räuber Und Der Prinz" um die Ohren. Sodass die rufen müssen: "Schwule Säue". Wir arbeiten mit denen, durch Provokation. Deswegen sage ich, ich stehe hinter all meinen Fans.

Ich habe richtige, ich würde fast sagen, Podiumsdiskussionen geführt, mit englischen Skinheads, wo ich sagte: Pass mal auf, du mit deiner Hakenkreuz-Tätowierung auf der Stirn, du weißt, dass du vergast worden wärst, mit deiner Glatze und so assi-mäßig wie du aussiehst. Du kannst doch nicht rumlaufen wie ein Freak und sagen, du bist ein Nazi. Was bist du denn für einer? So. Man muss sich schon damit auseinandersetzen und die Leute auch konfrontieren. Und wir haben das ja geschafft. Diese kurze Zeit, wo wirkliche Neonazis auf uns gestanden sind – eigentlich nur wegen den Reizworten Mussolini und Adolf Hitler; Jesus Christus und Kommunismus haben die ja nicht gehört – dieses halbe Jahr, wo solche Leute wirklich auf uns standen, das konnten wir ganz schnell loswerden. Aber nicht, indem wir sagten "Ihr dürft uns nicht sehen", sondern indem wir denen "Der Räuber Und Der Prinz" vorgespielt haben. Indem wir mit ihnen gesprochen haben. Und das mein ich damit, dass ich hinter all unseren Fans stehe.

Robert: Wie Gabi auch damals schon sagte: Wir sind viel zu sexy, als dass wir Faschisten sind. Das fand ich auch immer total cool.

Wenn man heute an ein Konzert in Italien zurückdenkt, bei dem 300 Rechtsextreme auf 300 Antifaschisten gestoßen sind, hat man da ein gutes Gefühl?

Gabi: Das war auf jeden Fall ein bemerkenswertes Konzert. Aber man muss ja sagen: DAF war da gar nicht der Hauptdarsteller.

Robert: Das haben die selber inszeniert.

Gabi: Da wurde am Vortag ein Autonomer erschlagen. Dann hat ein linker Sender gesagt: So, Leute. Gestern ist einer von uns erschlagen worden, wir müssen was machen gegen die Faschisten. Heute kommt eine Fascho-Band aus Deutschland. Deswegen haben die sich da getroffen. Da war DAF aber nicht so wichtig, wie man jetzt denkt. Die haben sich nicht wegen DAF geprügelt, sondern wegen einer ganz anderen Auseinandersetzung. DAF war das Hintergrundrauschen zu einer Auseinandersetzung, die sowieso stattgefunden hätte. Und die Erinnerung – natürlich kann man die nicht als positiv bewerten, zumal das ja auch abgebrochen wurde und wir verschwinden mussten.

Siehst du das auch so, Robert?

Robert: Ich hab mir darüber nicht so viele Gedanken gemacht. Ich bin sowieso überhaupt kein politischer Fanatiker oder so. Mich interessiert es teilweise sogar gar nicht. Ich beobachte solche Sachen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: So politisches Zeug oder was weiß ich, dass bei uns Glatzen auf den Konzerten sind, die auch tatsächlich Nazis sind, das geht mir teilweise einfach den Buckel runter.

Gabi: Da sind wir sehr unterschiedlich, ich bin ein extrem politischer Mensch.

Robert: Ich bin eher so ein spiritueller Mensch. Das interessiert mich richtig. Politik weniger, muss ich ganz ehrlich sagen.

Gabi: Ich finde es immer ganz gut, wenn man den Unterschied zwischen uns sieht. Robert sagt immer: Bemüht euch um ständige Befreiung. Und ich sag immer: Befreit euch von ständiger Bemühung. (Gelächter)

"Ästhetik vor Ethik"

Ihr habt eure vier wichtigsten Platten gerade nochmal als Box-Set veröffentlicht. Kritiker sagen euch nach, das sei besser so, weil ihr an den Erfolg nie anknüpfen konntet – mit "15 Neue DAF-Lieder" von 2003 auch nicht, oder?

Robert: Aber eine gute DAF-Platte war es allemal. Das muss man schon sagen.

Gabi: Das hat sich im Endeffekt ganz okay verkauft. Man kann aber nicht mehr an den Erfolg von früher anknüpfen. Wobei wir ja auch schon alles abgeliefert haben. Wir müssen gar nichts mehr beweisen oder irgendwas machen, um wieder in die Charts zu kommen. Völlig egal. Wir machen etwas, wenn wir Lust haben. Oh, jetzt will ich an frühere Erfolge anknüpfen – das ist sowieso ein ganz falscher Ansatz. Nee, lass doch lieber junge, neue Bands Erfolg haben, mit neuen Sachen.

Und dann hat sich natürlich auch die ganze Bedeutung von Musik als Identifikationsmuster der Jugendkultur verändert. Musik ist nicht mehr so wichtig wie in den Seventies oder Eighties. Als ich klein war, 16, 17, ging alles Taschengeld für Platten drauf. Heute hat man die Apps, die Modelabels, die Videogames. Das ist für viele viel wichtiger als die Musik. Die wird zwar nach wie vor konsumiert, aber nur noch als Hintergrundrauschen. Gehste zu Carhartt und kriegst zu deiner Hose auch noch die neueste House-CD geschenkt. So ist das. Das ist aber auch in Ordnung, denn warum soll sich die Jugendkultur ausschließlich über Musik definieren?

Warum gab es seit 15 Jahren kein neues DAF-Album mehr?

Robert: Weil wir wirklich sehr unterschiedliche Dinge machen. Das ist die Wahrheit. Wir stehen nicht mehr unter dem Druck, etwas abliefern zu müssen. Wir sind uns bewusst, dass wir schon wahnsinnig abgeliefert haben – für die Musikwelt, für unsere Fans und so weiter. Klar, die Fans würden sich immer über eine neue Platte freuen. Die haben sich auch über die neue Single gefreut. Aber auf Gabi und mir lastet kein Druck. Wir waren schon immer Typen, die tun und lassen, was sie wollen.

Gabi: DAF ist ja nur ein Nebenprojekt. Das ist nicht mein tägliches Brot. Das ist etwas, was ich nebenbei aus Spaß mache. Mehr ist das nicht. Es gab ja auch Zeiten, wo wir uns gar nicht gesehen oder telefoniert haben. Jahrelang. Ich sag ja oft: Das Einzige, was Robert und ich gemein haben, ist DAF (lacht). Und sonst eigentlich nichts. Jetzt haben wir diese zwei neuen Stücke gemacht und das hat sich gut angefühlt. Hätte aber auch sein können, dass es sich nicht gut angefühlt hätte. Das wäre dann auch vergessen. Wir machen ja keine Kompromisse. Wir haben diese eiserne 2:0-Regel: Wenn einer es nicht gut findet, fällt die Idee weg.

Habt ihr eigentlich noch Kontakt zu den ehemaligen DAF-Mitgliedern, die ihr vertrieben habt?

Gabi: Nee.

Haben die euch jemals verziehen?

Gabi: Keine Ahnung, wie gesagt.

Robert: Die waren ja wirklich nur in der Anfangszeit dabei.

Naja, ihr habt sie trotzdem vertrieben, oder?

Robert: Ich glaube, das läuft in dieser Zeit bei ganz vielen Bands so, dass du dann denkst: Nee, es geht doch nicht mit dem. Da suchen sich ja noch die Mitglieder, das war austauschbar. Gabi war auch in verschiedenen Gruppen dabei. Ich auch. Ich war Gründungsmitglied von Der Plan und bin trotzdem wieder raus. Und klar, dass Gabi und ich bestimmend waren, hatte damit zu tun, dass wir beide DAF im Ratinger Hof gegründet haben.

Gabi: Der Einzige unserer Ex-Mitstreiter, der mir wirklich was bedeutet hat, war der Haas. Das war auch mein heimlicher Liebling, so unerträglich er zu seiner Zeit war. Der ist ja leider tot. Ich glaub, das war der Einzige. DAF sehe ich immer als Robert und mich. Die anderen sind für mich wie Satelliten. Der einzige Satellit, der trotzdem eine Bedeutung hatte, war der Haas.

Robert: Ja, finde ich auch.

Gabi: Kemner oder Spelmanns, das war völlig austauschbar. Aber den Kemner hab ich vor Kurzem noch in Düsseldorf getroffen.

Robert: Das ist ein netter Kerl.

Gabi: Ich bin kein nachtragender Mensch und hoffe, dass die anderen auch nicht nachtragend sind. Aber weiß du, man muss auch mal ehrlich sagen: Wenn man etwas wirklich will, und zwar nicht nur in einer Band spielen, sondern wirklich die Kulturgeschichte verändern, dann darf man nicht soft sein. Wenn das in die falsche Richtung geht, musst du eine harte Hand haben. Wenn du sagst, der passt nicht, der verdirbt mir meine Musik, der Typ muss weg: Natürlich ist das menschlich anstrengend. Das ist nicht schön, einen Kumpel von dir irgendwo rauszuschmeißen. Aber wenn du siehst, dass es das Werk kaputt macht, dann muss der raus.

Das ist das Gute an DAF: Wir sind eigentlich nicht befreundet. Wir verstehen uns gut, sind aber nicht befreundet. Ich kenne Bands, wenn du die fragst, wie die Tour war, sagen die: War ganz okay, aber wir hatten unheimlich viel Spaß, waren immer einen trinken und in Lüdenscheid war's geil ... Das interessiert uns nicht. Wir machen Kunst. Wir sind keine Pfadfinder-Truppe, die unterwegs ist, wie so manch andere Band. Wenn du wirklich etwas willst, musst du konsequent sein, und sagen: Hier, tanz den Joseph Stalin – was dem Revolutionskomitee nicht passt, das wird eliminiert (lacht). Da musst du hart sein. Das kann dir auch menschlich leid tun. Aber es ist trotzdem so. Ästhetik vor Ethik.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT DAF

Sie sind bis heute wohl die einzigen, die nicht nur Diktatoren, sondern auch den Messias in einem Popsong unterbrachten: Robert Görl und Gabi Delgado-Lopez …

Noch keine Kommentare