Porträt

laut.de-Biographie

DVS1

Zak Khutoretsky ist eine der wichtigsten Figuren in der elektronischen Musik, die den Underground trotz ihrer verhältnismäßig großen Prominenz repräsentieren und für dessen Werte einstehen. Tatsächlich dürfte kaum ein*e Akteur*in seines Bekanntheitsgrades die Mechanismen der Industrie, den Bedeutungswandel des DJings und die moderne Priotitätensetzung in der Clubkultur derart erbarmunglos hinterfragen, wie es DVS1 tut.

DVS1 - Beta Sensory Motor Rhythm Aktuelles Album
DVS1 Beta Sensory Motor Rhythm
Techno als zeitloses Versprechen.

Das liegt nicht nur daran, dass Khutoretsky eine aufrichtige Person zu sein scheint, die mit Starallüren wenig anzufangen weiß, sondern zuvorderst an seiner Sozialisation mit der Rave-Kultur. Das Kind russischer Einwanderer wuchs in Minneapolis im Mittleren Westen der USA auf, nicht gerade im musikkulturellen Epizentrum der stark von den beiden Küsten des Landes beeinflussten Szene.

Als Einöde stellte sich die mit unter 400.000 Einwohner*innen übersichtliche Stadt dennoch nicht dar. Rave wurde dort nur anders zelebriert: Familiärer, liebevoller, doch nicht weniger ausschweifend. Ganze Wände von Soundsystemen beschallten dort ihr Hoheitsgebiet: leerstehende Lagerhäuser, die Khutoretsky am Tag nach dem Exzess aus nächster Nähe kennenlernt: "Ich weiß, was es bedeutet, Partys zu machen. (...) Ich habe Klos geputzt, ich war Bartender, ich habe stundenlang nach Partys dreckige Warehouses ausgefegt. Da hat man einen anderen Respekt. Es ging mir nicht um Geld oder Karriere. Das war ein Lebensstil", sagt er dem GROOVE Magazin 2017.

Die illegalen Partys, der Rausch, die gesamte Kultur faszinieren Khutoretsky Mitte bzw. Ende der Neunziger so sehr, dass er brennende Lust bekommt, selbst zu veranstalten: Das Equipment dafür besorgt er sich auf denkbar risikobehaftetem Weg: Er beginnt zu dealen. Das funktioniert zunächst hervorragend. Das Geld finanziert ihm Technik und Raves, seine Gäste schweigen nach begangener Missetat still, europäische DJs wie Electric Indigo, Heiko Laux oder Neil Landstrumm spielen zwischen den kulturellen Polen der USA.

Als er erwischt wird, ist es damit naturgemäß vorbei. Die Strafe fällt glücklicherweise glimpflich aus – Khutoretsky muss ein Jahr ins Gefängnis. Das Dealen lässt er fortan sein, seine Liebe zur elektronischen Musik bleibt aber bestehen: "Ich habe nie Techno gemacht, weil es angesagt war oder weil ich berühmt werden wollte. Techno ist meine erste Liebe, meine Familie."

Immer stärker rückt das DJing in seinen Fokus, das er – Szeneaktivist seit Tag eins – mit Meinungsstärke kombiniert. Eine Mischung, die ihn nicht nur über die Maßen beliebt, sondern auch extrem erfolgreich macht, diesen Erfolg sogar legitimiert. Keine Selbstverständlichkeit in einer Szene, die für sich beansprucht, nicht auf Starkult zu fußen.

Khutoretsky verdient sich diesen Erfolg allerdings über lange Jahre hinweg, in denen er vor allem entbehrt, diese materiellen Entbehrungen aber als emotionalen Gegenwert zurückbekommt. Ende der 2000er veröffentlicht er schließlich seine ersten Platten, die auf Ben Klocks Klockworks und Derrick Mays Transmat erscheinen – optimale Visitenkarten.

DVS1 – was übrigens für 'Devious One' steht – wird endgültig sein Künstlername. Khutoretsky zieht nach Berlin, wird Resident im Berghain und spielt in den Zehnerjahren auf dem ganzen Globus, sofern ihm das Konzept der Party zusagt. Immer wieder spricht er Dinge an, die ihm nicht passen: Smartphone-Blitzlicht auf dem Dancefloor, Götzenverehrung vor dem DJ-Pult, Aggressionen und Flaschenwürfe gegen die Legende Jeff Mills, weil diese nicht den musikalischen Nerv des Publikums trifft.

Auf dessen Label Axis Records veröffentlicht DVS1 Ende 2020 sein Debütalbum "Beta Sensory Motor Rhythm", das relativ spontan angekündigt wird und seinen Sound bislang am prägnantesten widerspiegelt: Kristalline Loops ohne den dringenden Wunsch nach Aufmerksamkeit, hypnotische Introversion, die irgendwo zwischen Techno und House ein kathartisches Moment sucht.

Vor dem Produzieren kommt für Khutoretsky aber noch immer das Auflegen. Wie ein Derwisch rotiert er während seiner Sets zwischen den CDJs und Plattenspielern, versucht, die Technologie zu nutzen, um neue Grenzbereiche auszuloten. "Auflegen ist wie ein Boxkampf", meint er gegenüber der GROOVE – eine treffende Selbstanalyse, die seinen gesamten Werdegang ähnlich gut beschreibt.

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