laut.de-Kritik
Eine Gänsehaut jagt die nächste.
Review von Sven KabelitzDas letzte Tageslicht zieht sich langsam hinter die Buchen und Fichten des Waldes zurück. Fernab der ausgetretenen Wege schlagen sich mein schwarzer Labrador und ich über raschelndes Herbstlaub durchs Dickicht. Während er ins dichte Unterholz ausbricht, bleibe ich für einen kurzen Moment gedankenverloren stehen: Ein verängstigtes Jaulen schreckt mich auf.
Von Panik erfasst, rennt mein Hund auf mich zu: "Komm, Herrchen, schnell weg von hier. Da steckt Grusel hinter all den Bäumen". Dunkelheit und Ungewissheit spielen uns einen Streich. Ich habe fast Angst, wie damals nach der Lektüre meines ersten Steven King-Romans. Für diese düstere Beklommenheit liefern Dale Cooper Quartet & The Dictaphones mit "Quatorze Pièces De Menace" den perfekten Soundtrack.
Das französische Künstlerkollektiv erforscht die Feinheiten der Finsternis, die verschiedenen Schattierungen der Farbe Schwarz. Geisterhaft schwirren die Stimmen von Gaëlle Kerrien und Alicia Merz um ein Geheimnisse zuflüsterndes Saxophon. Dark-Jazz, angedeutete Melodien, Gerumpel und Gerassel verbinden sich mit dem Cool Jazz der 1950er. Eine faszinierende und fremde Atmosphäre aus schleppenden Rhythmen und wogenden Bässen. Eine Gänsehaut jagt die nächste.
Allein für den epischen Opener "Brosme En Dos-Vert" lohnt sich bereits die Anschaffung von "Quatorze Pièces De Menace", das nasedrehenderweise nur elf Tracks enthält. Imposant und von Melancholie und Monotonie berauscht zieht sich der Finster-Jazz-Monolith über 21 Minuten. Einsam tastet sich Krystian Sarraus Saxophon durch die Ecken und Kanten der furchteinflößenden Suite, aus der nur zögerlich schattenhafte Silhouetten hervortreten.
Wenn man nach diesem ausuferndem Instrumental in "Nourrain Quinquet" erstmals eine menschliche Stimme hört, wirkt diese irreal und isoliert von ihrer Umwelt. Körperlos schreitet sie durch zeitlupenartige Klanglandschaften. In "L'escoiler Serpent Éolipile" legen Dale Cooper Quartet & The Dictaphones verzerrte und entfremdete Gitarren und isoliertes Schlagzeughämmern in mehreren verzankten Schichten übereinander. So haltlos könnte sich Depeche Modes "Songs Of Faith And Devotion" in Dave Gahans von Heroin verseuchtem Gehirn angehört haben.
Wem hier Bilder von Eulen, dem Double R Diner, BOB, und der Geruch nach verdammt gutem Kaffee durch den Kopf gehen, steht nicht allein auf weiter Flur. Spätestens in "La Ventree Rat De Cave" spielen die Musiker bewusst mit Twink Peaks-Zitaten. Zeilen aus Jennifer Lynchs Buch "The Secret Diary Of Laura Palmer" unterlegen den bedrohlich dahinschlurfenden Track. Nur Trompete, Saxophon und eine entrückte Frauenstimme durchschneiden Agent Coopers Träume.
Jahre, Monate, Tage, Stunden und Sekunden verschwimmen auf "Quatorze Pièces De Menace" zu einer dehnbaren Einheit. Dale Cooper Quartet & The Dictaphones gehen bis an die Abgründe der Langsamkeit, werfen gar einen Blick darüber hinaus in die zwielichtigen Regionen unserer Seele. Anfangs nehmen uns die Franzosen noch auf der Reise durch ihren dämonischen Märchenwald an der Hand, nur um uns auf halben Weg einsam und verstört zurückzulassen: Sie sind der Grusel hinter all den Bäumen.
4 Kommentare mit einer Antwort
"So stell ich mir das Himmelreich für Kuchen vor"
Okay, das werde ich mir jetzt mal nur wegen dieser Rezension anhören. Wehe, es wurde zuviel versprochen!
weiss die 90+x geborene generation überhaupt, wer dale (b) cooper ist
Also ich wusste das bis vorhin nicht, nein.
Die Vorgänger waren so fantastisch, dass man sich das neue Album auch blindkaufen kann. Sehr ähnlicher Sound wie Bohren und der Club of Gore, auch wenn ich das Dale Cooper Quartet nicht ganz auf Höhe von Bohrens Meilenstenen ansiedeln würde, was aber nicht schlimm ist, wenn man bedenkt wie gut Sunset Mission, Midnight Radio oder Black Earth sind.