laut.de-Kritik
Ein würdiger Abschiedsgruß an Mick Karn.
Review von Ulf KubankeMehr als 25 Jahre hat es gedauert, bis Peter Murphy (Bauhaus) und Mick Karn (Japan) als Dalis Car endlich eine Fortsetzung ihres Juwels "The Waking Hour" von 1984 in Angriff nahmen. So sehr man sich zu Recht darüber freuen mag, so tragisch sind die Begleitumstände der Platte. Karn starb bereits am 4. Januar 2011.
Trotz Krebsdiagnose und dem auszehrenden Kampf gegen die Krankheit begibt er sich wenige Monate vor seinem Tod mit dem alten Kumpel ins Studio. Beide arbeiten im Rekordtempo. Doch bei Karns Ableben ist die Produktion noch längst nicht fertig gestellt. Gemeinsam mit Steven Jansen (Japan-Drummer und David Sylvians Bruder) und Gästen produziert Murphy die Platte hernach notgedrungen alleine weiter.
Heraus kommt weder Patchwork noch Flickenteppich. Das erlesene Team setzt sich selbst, vor allem jedoch dem zeitlebens bescheiden auftretenden Ausnahmemusiker Karn ein verdientes Denkmal und würdevolles Andenken. Wer hier ein auf Tragik oder Requiem getrimmtes Jammeralbum befürchtet, den darf man getrost beruhigen.
Schon das herausragende Artwork springt sofort ins Auge. Zwischen Surrealismus, Magie und Astronomie legen Jaroslav Kukowski und der schon bei Ninth glänzend aufgelegte Thomas Bak ein berührendes Fundament aus Farben und Formen. Der erste Track "King Cloud" feiert dazu das Leben und bürstet lyrisch alle prosaische Unabwendbarkeit gegen den Strich.
Murphys Zeilen sind fast drei Jahrzehnte nach der "Waking Hour" ein besonderer Glücksfall für das Projekt. Seine Fähigkeit, gleichzeitig ebenso deutlich wie scheinbar kryptisch zu texten, verleiht der Musik Grundströmung und Anker gleichermaßen. Der Gesang pendelt gewohnt souverän zwischen Popmelodie, etwas freieren Jazzismen und angedeuteten arabischen Skalen. Besonders bemerkenswert: die unfassbar detaillierte Phrasierung.
Doch die gewohnte gesangliche Leistung oder schicke Lyrics sind nicht einmal die größte Tat des in der Türkei lebenden Engländers. Die führende Rolle übernehmen die Vocals nur dort, wo es melodisch nicht anders möglich ist. Ansonsten reduziert Peter seine Stimme zum rein songdienlichen Begleitinstrument, das sich keine Sekunde in den Vordergrund spielt. Virtuosität wegen eines Minus' an Rock'n'Roll-typischer Eitelkeit. Großartig.
Dazu dieser unfassbare Frettless von Mick. Man höre nur einmal, mit welcher Messer-durch-Butter-Lässigkeit der gebürtige Andonis Michaelides allein im ersten Lied zwischen freier Begleitung und catchy Grundmelodie dahingleitet. Der ultimative Beweis dafür, dass Jazz weder pseudoelitär dekonstruierter Nerdkram noch überzuckerter Muzak-Schrott sein muss.
"Sound Cloud" besticht darüber hinaus mit einem pfiffigen Rock-Arrangement, veredelt von einem kunstvoll eingebetteten Gu Zheng, der traditionellen chinesischen Zither. Der sonst extrem zurückhaltend agierende Steve darf die Felle hier in bester Japan-Manier gerben.
"Artemis Rise"" glänzt unter anderem mit Micks punktuell eingestreuter Bassklarinette und seinen typisch angezickten Gitarren. Der Song selbst erweitert und komplettiert, lange erwartet, des gemeinsame '84er-Lied vom Debüt. Sehr schön, dass beide Musiker sich als gereifte Künstler ausgerechnet diesen unfertigen Diamanten schnappen und aufpolieren.
"Subhanallah" – in etwa: "Geheiligt werde Dein Name" – fegt hernach wie ein spirituelles Reinigungskommando über die Scheibe, zwischen Sufi-Liturgie, Katharsis und Geborgenheit angelegt. Doch ein ganz besonderer Höhepunkt steht dem Hörer noch bevor.
Mit der superben Brel-Variation "If You Go Away" (Original: "Ne Me Quitte Pas") sendet Peter einen höchst emotionalen, dabei todtraurigen Abschiedsgruß an den voraus gegangenen Freund. All zu viele Künstler fühlen sich dieser Tage berufen, den großen Belgier höchst mittelprächtig zu interpretieren. Murphy hingegen erobert das Lied samt der wohltuend minimalen Instrumentierung. Bestes Cover eines 'Grand Jacques'-Liedes seit Scott Walker und Bowie. "If you go away, if you go away, if you go away ..."
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