23. September 2022

"Wir bauen Frankensteins"

Interview geführt von

Bei Daniel Lanois handelt es sich um eine echte Produktionslegende. Am 23. September erscheint mit "Player, Piano" ein Piano-Album von ihm, am selben Tag spielt er beim Reeperbahn-Festival.

Schon mit siebzehn Jahren nahm Daniel Lanois zusammen mit seinem Bruder Bob lokale Acts im Keller seiner Eltern in Ancaster/Ontario auf. Anfang bis Mitte der 80er-Jahre beteiligte er sich als Musiker und Produzent an mehreren Brian Eno-Alben, darunter "Apollo: Atmospheres And Soundtracks" (1983), auf dem man schon sein unverkennbar melancholisches Steel-Gitarren-Spiel vernimmt. Gleichzeitig verpasste er gemeinsam mit Eno U2 einen sphärischen Sound, der fortan zum Markenzeichen der Band werden sollte. Lanois wirkte auch auf Peter Gabriels "So" (1986) an dessen Seite als Co-Produzent mit und verhalf Bob Dylan auf den Scheiben "Oh Mercy" (1989) und "Time Out Of Mind" (1997) zu neuer Frische. Der Rolling Stone kürte ihn einst zum "wichtigsten Plattenproduzenten der 80er".

Seine Karriere als Solomusiker begann der Kanadier erst relativ spät, nämlich Ende der 80er-Jahre. Seitdem veröffentlichte er eine recht überschaubare Zahl an Alben und Soundtrackarbeiten, auf denen er sich an unterschiedlichsten Genres wie Rock, Country, Gospel oder Ambient versuchte. In Berlin traf ich den Meister zum Gespräch über seine neue Platte "Player, Piano", über Erik Satie und über seine Begeisterung für Rosalía. Mit anwesend: Dangerous Wayne Lorenz, der Co-Produzent von "Player, Piano".

Wie geht's dir?

Es geht mir gut. Ich bin ein bisschen müde vom Reisen. Wir hatten gerade zwei Auftritte, in Rotterdam und in Gent, und sind dann mit dem Zug hierher gefahren. Ein bisschen müde, aber ich fühle mich gut.

Das ist sehr gut. Man kennt dich ja als Meister der Pedal-Steel-Gitarre. Ende September veröffentlichst du mit "Player, Piano" ein Pianoalbum. Was hat dich dazu bewogen, ein Klavieralbum aufzunehmen?

Es war während der Pandemie, als es keine Tourneen gab und wir im Studio blieben. Und ich habe mich schon immer für Klaviermusik interessiert. Ich habe einige Klavierplatten für andere Leute aufgenommen. Ich habe ein paar Harold Budd-Aufnahmen mit Brian Eno gemacht, als ich noch am Anfang stand. Und so war es eine schöne Rückkehr zum Piano, um mich an einige der emotionalen und klanglichen Lektionen zu erinnern, die ich durch die Harold Budd-Aufnahmen gelernt habe. Inspiriert wurde die Scheibe von einer guten Freundin von mir: Margaret Marissen ist ihr Name. Sie sagte: "Ich mag dein Klavierspiel. Warum nimmst du nicht eine Platte auf?" Und ich sagte: "Okay." Und dann haben wir begonnen.

""Player, Piano" hat ein bisschen was von einer eingefangenen Momentaufnahme"

Du berichtest, dass du oft am Klavier gesessen hast und gar kein Bild davon gehabt hattest, wohin die Reise eigentlich gehen sollte. Kannst du mir Genaueres über den Schreibprozess für das Album erzählen?

Einige der Klaviermelodien sind, sagen wir mal so, geschriebene Teile. Es gibt ein Stück namens "My All", das ist der erste Titel. Das ist eine Melodie, die geschrieben wurde. Also suchte ich nach der besten Darbietung dieser Melodie. Und sobald ich eine gute Interpretation gefunden hatte, konnte ich das, was wir eine zweite Linie nennen, einbringen, die die Melodie harmonisch begleitet. Im Falle von "My All" sind es zwei Pianos. Die zweite Linie hatte also die Aufgabe, die erste Linie noch besser aussehen zu lassen.

Einige der anderen Titel waren freier und ein wenig abenteuerlicher in ihrem Aufbau. Es gibt einen, der lautet "Inverness". Ich glaube, es ist der dritte Titel auf der Scheibe. Er ist aus vielen Improvisationen zusammengeschnitten. Und dieser Prozess hat mir sehr viel Spaß gemacht, weil ich mit dem Timing spielen und zu ungewöhnlicheren Akkorden übergehen konnte. Ich glaube nicht, dass ich diese Änderungen so komponiert hätte, wenn ich nicht auf mein Editing-System zugegriffen hätte. Wir sind also gut im Editieren, also habe ich mir die Vorteile zunutze gemacht und mit der Ausrichtung der Musik für schöne Überraschungen gesorgt.

Du sagst, die Arbeit an dem Album hat dich in unterschiedliche Welten transportiert, zum Beispiel nach Kuba, nach Mexiko oder zu den Geistern von Erik Satie und Harold Budd. Auch ein paar Zeitreisen konntest du unternehmen, etwa zurück zu deinen eigenen Aufnahmen mit Brian Eno und Kate Bush. Hast du das Album gewissermaßen auch für dich geschrieben, weil die Pandemie jede Form von Reisen unmöglich gemacht hatte und du daher enorm viel Zeit in deinem Studio in Toronto hattest?

Nun, das ist korrekt. Ich meine, diese Inspirationen leben einfach in mir weiter. Und ich hatte das Glück, mit einigen der ganz Großen zu arbeiten. Mit Erik Satie habe ich natürlich nie gearbeitet, denn der war schon lange vor mir da gewesen. Aber wir lieben Erik Satie und das Gefühl seiner Musik, und seine melodische Struktur hat mich und auch Roger Eno, das ist der Bruder von Brian Eno, inspiriert. Und wir betrachten Erik Satie als einen der großen Paten der Melodie. Man wird also daran erinnert, dass diese Großen vor uns da waren und stellt sich vor, dass sie in einem Raum stehen und darauf warten, dass man selbst etwas Besonderes tut. Es macht viel Spaß, das so zu sehen. Ich habe viele Platten aufgenommen, bei denen ich mir vorstellen konnte, dass wir Menschen haben, die sich in den Wänden und im Schatten verstecken und uns anspornen, etwas Besonderes zu tun. Darum geht es also, verstehst du?

Aber es besteht kein Zweifel daran, dass die Reisebeschränkungen uns eine gewisse Konzentration ermöglichte. Und die Klaviermusik wurde in einer relativ kurzen Zeit aufgenommen. Das ist etwas, worauf Wayne Lorenz mich hingewiesen hat. (Das ist Wayne Lorenz, gleich da drüben). Er wies mich darauf hin, dass er das Gefühl hat, dass dieses Werk zu einem Kapitel der Zeit gehört. Und es hatte ein bisschen was von einem Schnappschuss an sich. Ein Schnappschuss ist ein schnelles Foto eines eingefangenen Moments von etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt geschah. Und für den Begriff Aufnahme machte es Sinn. Was ist eine Aufnahme? Nun, eine Aufnahme ist eine Aufzeichnung, ein Dokument von etwas, das zu einer bestimmten Zeit existierte. Und das ist der eigentliche Sinn. So begannen Aufnahmen. Es gibt nur dann eine Aufnahme, wenn jemand bereits etwas gemacht hat. Also hat "Player Piano" das in sich? Ja, das hat es. Es ist ziemlich prägnant und hat ein bisschen was von einer eingefangenen Momentaufnahme an sich.

Ich habe über den Komponisten und Pianist Craig Armstrong gelesen, dass er die Stücke für sein aktuelles Album "Nocturnes: Music For 2 Pianos" ausschließlich nachts eingespielt hat. Brauchtest du für deine Pianosongs eine spezielle Umgebung oder Atmosphäre?

Was passiert bei uns im Studio? Wir werden einfach immer besser, wenn wir anfangen, uns zu konzentrieren und wir werden besser mit unseren Sounds. Wir waren in der Lage, uns auf eine bestimmte Richtung festzulegen. Und sobald wir die Richtung dieser Arbeit gefunden hatten, waren wir in der Lage, einfach dem Weg zu folgen. Und manches davon war eher eine bloße Form, manches war eine straighte Klavieraufnahme. Es gibt ein Stück namens "Zsa Zsa". Das ist ein Klavier, eine Performance, keine Manipulation, keine Klangbearbeitung.

Ein Take?

Ja, ein Take. Ganz genau. Und dann gibt es noch ein paar weitere Songs. Ist es "Twilight"?

"Twilight".

"Twilight" ist ein Beispiel für das Gegenteil. "Twilight" ist sehr bearbeitet und overdubbed und mehr eine klangliche Entdeckungsreise. Es nimmt dich mit auf eine Reise mit den Studioüberraschungen und Dingen, von denen ich denke, dass wir sie sehr gut können. Und ich mache darüber Witze. Wir bauen Frankensteins, aber man kann den Bolzen nicht sehen, nur den Hals. Also strukturieren wir die Dinge gemeinsam. Und bei dieser Herangehensweise kommt es immer wieder zu Überraschungen. Und wenn diese Überraschungen kommen, dann freue ich mich über sie und behandle sie wie willkommene Gäste. Und wir arbeiten so lange mit den Überraschungen, bis sie Teil des Gesamtbildes werden. "Twilight" ist einer von diesen Songs, die viele Abzweigungen nehmen. Weißt du, es ist ein bisschen so, als ob man auf einer Reise durch eine wunderschöne Landschaft plötzlich an einer Fabrik vorbeikommt.

Du wolltest als bewussten Konter zum harschen und spröden Sound vieler zeitgemäßer Klavieralben, dass die Songs wie Aufnahmen aus den 40er und 50er-Jahren klingen, als das Piano noch einen weichen und wunderschönen Klang hatte. An welche Aufnahmen aus den 40ern und 50ern denkst du dabei im Speziellen?

Nun, kommen wir noch einmal auf Erik Satie zurück. Ich glaube, es gibt viele Interpretationen von Erik Satie, aber die älteren, ich kann nicht genau sagen, welcher Pianist, aber ich fand, dass die älteren Aufnahmen meinem Geschmack näher waren. Und dann gibt es einen Pianisten, den wir mögen, der auf vielen Country-Platten gespielt hatte. Owen Bradley.

Wayne?

Wayne Lorenz: Owen Bradley.

Hat er bei Patsy Cline mitgespielt?

Wayne Lorenz: Oh ja.

Also dieses verrückte (musiziert mit seiner Stimme vor sich hin).

Owen Bradley hatte diesen herrlichen, nächtlichen Saloon-Klavier-Sound und die Art von Spiel und Klang, die einen sofort an einen Ort bringt, weißt du, man erschafft ein Bild in seinem Kopf. Wir wollten also mit dieser Arbeit Bilder malen. Und so haben wir uns auf Owen Bradley als einen der Urväter dieses schönen alten Sounds bezogen. Also überhaupt nicht harsch.

Aber es gibt einen bestimmten Terminus, den wir uns zu Nutze machen: dem Verhältnis von Grundton zu Oberton. Der Grundton ist die Hauptnote. Man schlägt also den Ton an und was danach erklingt, sind die Obertöne. Wenn man also den ersten, den Grundton etwas leiser werden lässt, dann hört man die Obertöne etwas lauter. Dadurch wird das Verhältnis der Obertöne zum Grundton verbessert. Und wenn man dies hört, muss man nicht so viel spielen, man spielt nur ein paar oder drei Töne und die Obertöne erledigen den Rest, erzählen den Rest der Geschichte. Das ist das Schöne an einem sanfteren Klavierklang. Und wir haben uns ein paar ganz einfache Tricks einfallen lassen. Beim aufrecht stehenden Klavier haben wir ein kleines Geschirrtuch zwischen Hämmer und Saite gelegt. So trifft man nicht direkt auf die Saite. Man muss durch ein kleines Geschirrtuch gehen. Das macht den Klang weicher. Und beim Flügel kommen die Schläge von unten. Auf die Köpfe haben wir ein bisschen zusätzlichen Filzstoff gelegt, so dass der Klang nicht hart klingt, sondern weich, wie eine kleine Glocke. Es ist also schön, wenn es meinem persönlichen Geschmack entgegenkommt. Ich mag einen Glockenklang und keinen harten Klang.

"Ich hoffe, eines Tages sogar mit Rosalía zu arbeiten"

Lässt du dich auch von moderner Musik inspirieren, zum Beispiel Hip Hop oder Contemporary R'n'B? Du hast mal in der Vergangenheit in Interviews gesagt, dass du viel Hip Hop hörst.

Ja, das lag daran, dass mein Radio in meinem Auto auf einem Sender hängen geblieben war. Als ich vom Studio zu meiner Wohnung fuhr, dauerte das ungefähr eine halbe Stunde. Ich höre immer diesen Hip Hop-Sender, und mir gefiel, was da gerade im Radio lief. Und zu der Zeit gab es eine neue 50 Cent-Single und ich fand, er hatte die beste Bassline und den besten Bassdrum-Sound. Als Plattenproduzent habe ich eine große Hochachtung vor den Künstlern, die das Beste herausholen. Das ist etwas Besonderes. Ich kann mich also für eine Bassline und einen Bassdrum-Sound begeistern. Außerdem gab es viele Innovationen bei der Stimmbearbeitung und ich fand, dass die Hip Hop-Platten und die eher urbanen Scheiben, die ich damals hörte, mit die besten Hi-Fi-Sounds hatten. Ich mag also Hi-Fi-Sounds.

Wer ist aktuell dein Lieblingskünstler oder deine Lieblingskünstlerin und was hörst du generell ganz gerne?

Nun, ich bin von so viel Musik begeistert. Ich überlege gerade. Oh, ich war ganz begeistert, als ich eine spanische Sängerin hörte. Ihr Name ist Rosalía. Sie kommt aus Barcelona. Und ich habe mir ihr erstes Album "Los Ángeles" angehört, und es besteht aus Flamenco-Gitarre und ihrer Stimme.

Ich kenne es. Es ist ein echt wunderschönes Album.

Oh, du kennst es?

Ja.

Dann weißt du, wovon ich spreche. Sehr schön. Ich denke, sie ist einfach großartig. Was also eine neue Künstlerin angeht, so bin ich ein Fan von Rosalía und hoffe, sie eines Tages zu treffen und vielleicht sogar mit ihr zu arbeiten. Das solltest du also unbedingt erwähnen, falls sie den Artikel liest. Und dann höre ich natürlich immer noch gerne die Klassiker. Weißt du, ich höre immer noch gerne jamaikanische Platten wegen des sanften Bassspiels. Sie drehen laut auf und spielen sanft mit den Fingern und man erhält diesen schönen, satten Bass-Sound, egal ob Bob Marley oder die Heptones für den Gesang zuständig sind. Ich denke, dass Bob Marley immer noch ein großartiges Beispiel für jemanden ist, der eine starke Botschaft hatte, aber auch eine Menge Freude in seiner Musik. Man konnte verstehen, dass er von einer philosophischen Haltung angetrieben wurde, aber seine Musik brachte immer noch genug Freude in den Raum, um sie als Partyplatte zu qualifizieren. Das ist ein sehr interessantes Gleichgewicht, das er erreicht hat. Ich mag alle Country-Scheiben. Ich mag einige alte George Jones-Alben. Ich mag Emmylou Harris. Ich habe eine schöne Platte mit Emmylou Harris gemacht und das ist eine der Platten, die ich gerne höre. Ich liebe Emy.

Wir haben vorhin schon darüber gesprochen, wie ich dazu gekommen bin, eine große Bandbreite an Musik zu hören und ich denke, ich bin es mir selbst schuldig, so viel wie möglich zu erforschen, weil ich in allem, was großartig ist, etwas Besonderes finden kann. Ich habe einmal ein Album mit Venetian Snares gemacht und ich mag diese Aufnahmen sehr. Sie sind sehr abenteuerlich und völlig anders als eine melodische Platte. Aber nichtsdestotrotz denke ich, dass wir mit diesen Aufnahmen an einen sehr kraftvollen Ort gelangt sind und ich stehe zu ihnen.

Du hast gesagt, du hörst Reggae. Der zweite Song auf "Player, Piano" ist sehr Dub-Reggae-beeinflusst. Kannst du mir mehr über dieses Stück erzählen?

Oh ja, es klingt ein bisschen mehr nach Jamaika. Das Stück heißt "Lighthouse". Weißt du, das entstand auf diesem kleinen Spielzeuginstrument, das mir Brian Eno vor langer Zeit mal gezeigt hatte. Es ist ein kleines Instrument namens Suzuki Omnichord und es hat einen automatischen Bass. Mein Bruder baute es für mich so um, dass wir den Bass direkt wiedergeben konnten. So wurde ich süchtig nach der Bassline des Omnichords und dem sehr schönen Bass-Sound. Und das war dann der Anfang davon. Und dann bin ich auf diesen Klang gekommen. Das linke Pianospiel vermittelt ein sehr gutes Feeling in diesem Stück. Ich bin also ziemlich stolz darauf. Und es klingt ein bisschen kubanischer als alles andere, was ich bisher gemacht habe. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass ich es in einem Take gemacht habe, aber ich glaube, Wayne muss es hundert Mal eingespielt haben, weißt du, drei Noten auf einmal. Und dann habe ich noch einen Orgelpart darüber gelegt. Aber dann wurde das durch ein Dub-System, das ich benutzt habe, so manipuliert, dass es am Ende eher wie ein kleines Akkordeon von irgendwo südlich der Grenze klingt. Es gibt einen Akkordeonspieler, den ich mag. Sein Name ist Astor Piazzolla. Such mal nach ihm. Wir kamen also an diesen Punkt, an dem das Stück diesen exotischen Klang aus einer anderen Zeit bekam. Es hat also ein bisschen von einer Art Zeitkapsel an sich. Es ist also eine bunte Mischung. Es geht von der Karibik bis irgendwohin. Ich weiß nicht einmal, wo Astor herkommt, aber ich glaube, er ist Chilene. (Piazolla ist Argentinier, Anmerkung des Interviewers)

Du hast ja vor vier Jahren zum Videospiel "Red Dead Redemption 2" einen Großteil der Musik beigesteuert und den Original Soundtrack produziert. Könntest du dir vorstellen, noch weitere Songs für Videospiele oder sogar wieder für Filme zu komponieren und zu produzieren?

Die Einladung zu "Red Dead Redemption" kam völlig überraschend. Es handelt sich um eine New Yorker Firma namens Rockstar Games, die ein sehr berühmtes, bereits existierendes Spiel namens "Grand Theft Auto" hatte. Sie war bekannt für actiongeladene Spiele, in denen es um viel Aggression und darum ging, Dinge in die Luft zu jagen. Aber im Falle von "Red Dead Redemption" wollte sie nach Songs mit etwas mehr Herz und Seele Ausschau halten. Sie hatte also keine Angst vor Melancholie, denn die Hauptfigur wird krank und ich vermute, dass sie am Ende stirbt. Sie wollte also Lieder, die die Reise in die Sterblichkeit repräsentieren. Und ich sagte den Leuten von Rockstar Games, dass sie hier an der richtigen Adresse sind. Ich bin also nicht als Videospieler aufgetaucht. Es war also eine interessante Einladung. Und wir hatten die Möglichkeit, mit D'Angelo zu arbeiten, einem der großen amerikanischen Sänger, einem R'n'B-Sänger. Wayne und ich fuhren nach New York, um mit D'Angelo zu arbeiten und den Song im Studio fertigzustellen. Und es war ein sehr guter kreativer Prozess. Ich war glücklich, in einem Raum mit einem solchen Meister zu sein. Aber am wichtigsten ist, dass wir am Ende an einem besonderen Ort angekommen sind, denn man weiß nie, was passieren wird. Es ist immer ein Glücksspiel. Wir hatten keinen fertigen Song im Studio, also wurde der Song vor Ort in New York fertiggestellt, in späten Nächten mit D'Angelo.

Aber ich war sehr glücklich, in seiner Gesellschaft zu sein, denn er war als Kirchenorganist herangewachsen, ein Wunderkind. Und so war es eine große Ehre, in der Gegenwart eines Meisters zu sein, der diese Art von Musik hervorgebracht hatte. Und dann gingen wir nach New Orleans und nahmen eine schöne Schlagzeugaufnahme von Brian Blade auf, und wir nahmen Cyril Neville von den Neville Brothers und etwas Percussion auf. Es war einfach ein sehr schöner Reiseprozess von A bis Z. Ich nahm Willie Nelson in Los Angeles auf. Ich habe einen schönen Song für Willie geschrieben, der "Cruel World" heißt. Und dann habe ich zusammen mit einem guten Freund, Rocco DeLuca, einen Song geschrieben, der "That's The Way It Is" heißt. Und es war wirklich schön, wieder auf Reisen zu gehen, denn ich habe meine eigenen Aufnahmestudios. Also muss ich nirgendwo anders hingehen, um Platten zu machen. Aber das hatte ein bisschen was von dem, was ich mir vorstelle, wie es damals war, als man an Orte ging, wo die Musik existierte, und etwas einfing, das vielleicht irgendwo auf einem Hinterhof passierte. Es war also eine moderne Zeit, aber es hatte auch ein bisschen was von einem alten Gefühl.

Vielen Dank für das Gespräch. Es war mir eine große Freude.

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1 Kommentar

  • Vor 2 Jahren

    Schönes Interview, Toni!

    In den letzten 30 Jahren ist ja auch im letzten Winkel der Game-Community angekommen, dass Score und Soundtrack eines Spiels genau wie auch im Film über Gedeih und Verderb der Gesamtatmosphäre entscheiden können. Rockstar Games latürnich mindestens seit Vice City auch einer breiteren Öffentlichkeit als besonders sorgfältig in Musikauswahl und Sounddesign vorgehend und bestens in die Musikwelt vernetzt bekannt. Lanois für den zweiten Teil ihrer hübscheren und insgesamt begabteren Schwester der GTA-Reihe zu verpflichten darf mensch ruhigen Gewissens als weiteren Ausnahme-Coup bezeichnen. Über alle Betrachtungsebenen und der soundtechnischen/musikalischen ganz sicher mit zuvorderst hinweg ist Red Dead Redemption 2 die bisher rundeste, gelungenste und vollwertigste Einzelspielererfahrung, die ich in meinen über 35 Zockerjahren bisher gemacht habe. Und das, obwohl mir das Western-Setting ursprünglich sehr viel weniger gut gefällt als ein dystopisches Science Fiction-Erde- oder Weltraumszenario.