26. März 2024

"Man sollte Spaß haben, bevor es vorbei ist"

Interview geführt von

Der bärtige Elbow-Sänger spricht über das neue Studioalbum "Audio Vertigo", das Älterwerden und wie viel von der Geschichte seiner Stadt Manchester in ihm steckt.

Guy Garvey gilt gemeinhin als lieber Kerl in der britischen Rockmusik. Großmäuligkeit liegt ihm fern, laute Prolligkeit sowieso. Bevor das Interview losgeht, versichert mir der Mitarbeiter von Universal noch einmal, wie zuckersüß und lieb der bärtige Sänger von Elbow im Umgang mit seinen Interviewpartnern stets ist. Das neue Album "Audio Vertigo" überrascht dagegen mit direkten Uptempo-Sounds, zumal die Bands aus Manchester mit edel-subtilem Melacholic-Pop bekannt wurde. Auch wenn unsere Redezeit nicht gerade üppig ausfiel, wird schnell klar: Guy gehört zu den Guten.

Hey Guy, sieht ja gemütlich bei dir aus. Wo befindest du dich gerade?

In meinem Studio, das wir an mein Haus angebaut haben.

laut.de und du hatten bereits das Vergnügen eines Interviews vor 21 Jahren. Da hast du dich nicht gerade besonders wertschätzend über Robbie Williams geäußert. Zitat: "Ich hasse diesen Bastard!"

Hahaha, habe ich das echt so gesagt? Naja, in 2003 hat er bei mir eben Schmerzen ausgelöst. Ich mochte seine Musik nie und er stand ja für diese Lad-Culture, die heute Typen wie Russell Brand personifizieren. Ich mag das Verhalten dieser Leute immer noch nicht.

Seine frühen Comedy-Shows und Filme mochte ich früher ganz gerne, aber mittlerweile ist er nur noch ein unangenehmer Arsch. Aber lass uns nicht über Brand sprechen und lieber direkt über euer neues Album. Ich finde es nach den ersten Höreindrucken überraschend upbeat, gerade "Balou" haut einen echt um.

Dafür waren Craig und Alex verantwortlich. Craig war ja immer an unserem Songprozess beteiligt, aber für Alex (bisher nur als Live-Drummer, Anm. d. Red.) war das Neuland und ein Sprung ins kalte Wasser. Das hat den Elbow-Sound mehr ins Beatlastige verschoben. Craig hat Alex auch gefragt, ob er von ihm einen ganz besonderen Beat für "Balou" bekommen könne. Der Name kommt von meinem Neffen und sein Spitzname kommt von dem Bären aus "Das Dschungelbuch". Er hat auch dieses Wesen, kräftige Figur, aber absolut höflich und lieb zu jedem.

Ich habe mich davon inspirieren lassen und für den Song einen ähnlichen Charakter erschaffen, der noch aus ein paar anderen Kumpels besteht, von denen leider auch schon ein paar nicht mehr leben. In einem Verse in "Balou" geht es darum, wie manche mit meinem Lifestyle nicht mehr zurecht kamen. Ich gebe ihnen nicht die Schuld dafür, manchmal entwickelt man sich eben in verschiedene Richtungen. Naja, ich trinke trotzdem immer noch zu viel und morgen werde ich 50, also muss ich immer noch weiter an mir arbeiten. (schaut nachdenklich und etwas betrübt)

Ach, dann liegen wir mit unseren Geburtstagen gar nicht weit auseinander. Ich habe an diesem Sonntag Geburtstag.

Cool, wie alt bist du? Du siehst wie 30 aus.

Schön wär's, danke für das Kompliment. Leider steht bei mir die 45 an.

Was? Du siehst viel jünger aus! Schau mich doch mal an! Ich sehe mindestens zwei Jahrzehnte älter aus als du.

Ich wünschte mir eher, ich würde nicht so jung aussehen und so naiv rüber kommenn. Du hingegen siehst weise aus.

Weise?! Hahaha, DAS werde ich auf jeden Fall den Elbow-Jungs erzählen! (lacht) Hey, hier nennt mich gerade ein Typ aus Deutschland tatsächlich weise!

"Ich hätte schnell ein Vollidiot werden können"

Naja, so eine Angst vor runden Geburtstagen haben wir alle. Ich dachte schon mit 30, dass jetzt mein Leben vorbei wäre und später kam dieser Moment auch kurz vor der 40.

Mit 40 klopfst du schon das erste Mal so richtig an die Himmelstür. Nee Quatsch, aber irgendwie fühlt es sich so an, als ob die Sanduhr nun schneller nach unten läuft.

Der Vorteil ist aber auch, dass du mehr mit dem Scheiß um dich herum cooler wirst und nicht mehr alles so an dich heran lässt.

Oh okay, freut mich für dich! Also mir hilft gerade Cranberry-Wodka sehr dabei, um den Mist um mich herum zu ertragen. (hält eine lilafarbene Plörre in die Kamera.)

Auch nett! Um den Bogen nun wieder zum Album zu bekommen: Du meintest das neue Album fühlt sich wie ein neues Kapitel an?

Hmm, ich würde es so ausdrücken: Es ist das erste Album, dass sich nicht wie ein ganz persönliches Tagebuch anfühlt. Meine Charaktere haben sich immer sehr stark an meiner Persönlichkeit und der damaligen Lebenssituation orientiert. Es ging stark um das Auf und Ab, um Freunde, über die Liebe zu meiner Heimatstadt Manchester und sogar um die nicht einfache Beziehung zu meinen Eltern. Doch diesmal bin ich das anders angegangen und habe versucht, aus all dem Erlebten auch etwas Positives zu ziehen und vielleicht sogar darüber zu lachen. Ich habe auch über eine toxische Beziehung geschrieben, die ich in der Vergangenheit hatte und trotzdem einen Spaß daraus gemacht. Der Song "Things I've Been Telling Myself For Years" geht auch etwas um eine Art Selbstbetrug. Ich hatte eigentlich immer von mir den Eindruck, dass ich Menschen ganz gut lesen kann und sie hat mir klar gemacht, dass dem absolut nicht so ist.

Wow, deine Frau ist wirklich sehr direkt..

Oh absolut, aber ihre Antwort hat mich zum Nachdenken gebracht. Die Zeile "I can read people, yeah" bezieht sich darauf und auch "I'm the dashboard hula girl of nodding self-deception / Here's to never accepting slight adjustment or correction." Eines Abends haben wir so eine Hula-Girl-Wackelfigur in einer TV-Show gesehen und meine Frau wollte sofort eine. Seitdem wackelt dieses Teil auf dem Armaturenbrett in unserem Auto herum, ständig nickend. Es ist aber auch ein schönes Symbol für diese Selbsttäuschung, dieses ständiges Abnicken all der Dinge, die ich mir immer auch aus Selbstzufriedenheit schön redete. Und irgendwie wirkte sich diese leichte Unzufriedenheit auf den Song-Prozess aus und die Gitarre bäumt sich im Laufe des Songs so richtig auf, drängt sich schon fast arrogant in den Vordergrund und kämpft gegen mein Ego an. Ich bin zum Glück von guten Menschen und Freunden umgeben, die mir mal immer mal wieder gesagt haben, dass ich mich zeitweise wie ein Arsch aufgeführt habe.

Du siehst dieses Ego-Gewichse leider bei vielen Frontmännern. Menschen, deren übergroße Egozentrik schon längst die Grenzen überschritten hat. Und wahrscheinlich hat dieses Rock'n'Roll-Ding auch irgendwann bei mir einen schlechten Einfluss hinterlassen. Es gab eine Zeit, wo ich an diesem Rockstar-Lifestyle sehr nah dran war und wirklich jede Droge konsumiert habe, die man mir hingestellt hat. Ich hätte also auch ganz schnell zu dieser Art Vollidiot werden können.

"Kunst ist nie wichtiger als ein Menschenleben"

Ich würde gerne zum Ende nochmal das Thema Manchester ansprechen. So viele Bands aus Nordengland erzählen stolz von dieser besonderen Mentalität und wie sie die Stadt beeinflusst. Was macht Manchester mit dir?

Die Geschichte von Manchester, inbesondere natürlich die Musikgeschichte, ist absolut Teil meiner Persönlichkeit. Was vielen Menschen außerhalb der Stadt gar nicht bewusst ist: Manchester ist tief verwurzelt in der keltischen Geschichte und das wirkt sich für mich sogar bis in die Dance-Musik aus. Das habe ich erst für mich heraus gefunden, als eine Zeitlang nicht in Manchester war. Das Kitchen-Sink-Drama ist in allem, was Elbow, Doves, The Smiths, die großen I Am Kloot und auch die frühen Simply Red-Alben ausmacht.

Kleiner Exkurs:Manchester hat in der Tat seine Wurzeln in der Besiedlung der Briganten, eines Stammes und später auch der Name eines keltischen Verbundes im Norden Englands. Auch bei dem späten populären Fußballclub Manchester United gab es anfangs sogar die Überlegung, den Club in "Manchester Celtic" zu benennen. Das Kitchen Sink-Drama ist eine englische Kunst-Bewegung aus den späten 50er/frühen 60er Jahren, die den harten Sozialrealismus der Working Class in den Mittelpunkt stellte. "Weg von dem Atelier, zurück zur Küche", wie es der Kunstkritiker David Sylvester einmal zusammenfasste.

Wir waren oder sind alle sehr bemüht, diesen Geist nicht zu leugnen und ihn tief in uns zu behalten. Wir schreiben über das harte Leben und ich bin einfach stolz und glücklich, auch ein Teil davon zu sein.

Sehr interessant. Noch zum Albumtitel: "Audio Vertigo". Der Vertigo-Effekt ist ja hinlänglich durch den Hitchcock-Film bekannt, aber was genau löst der Audio-Vertigo-Effekt auf diesem Album aus?

Das kam mir so spontan in den Sinn. Unser letztes Album "Flying Dream 1" halte ich immer noch für ein sehr schönes Album, mit viel Kindheitserinnerungen und Träumen aus meiner Kindheit. "Audio Vertigo" ist dagegen unser Rock-Album, nicht so leicht zugänglich und manchmal auch etwas edgy. Es ist der Sound von fünf alten Freunden, die sich wie Kinder aufführen. Wahrscheinlich steckt auch etwas unterdrückte Wut drin, aber ich wollte das gar nicht so in den Mittelpunkt rücken. Es soll eher von diesen anstrengenden Zeiten ablenken und nicht reflektieren. Wie ich bereits sagte: Die Uhren in meinem Leben schlagen nun schneller, man sollte noch etwas Spaß haben, bevor es endgültig vorbei ist. Darum geht es für mich auch in der Kunst: Das Schöne heraus zu arbeiten, auf das Verbindende zwischen den Menschen zu achten. Es gibt so viel schöne Musik und so kraftvolle Gemälde zu bewundern. Allerdings muss man auch sagen: So großartig Kunst auch sein mag, sie wird niemals wichtiger sein als ein Menschenleben.

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