laut.de-Kritik

Harte Nordmänner gegen noch härtere Nordmänner.

Review von

Selten habe ich mich visuell so gelangweilt wie beim Video zu "Winter Storm Vigilantes", der Single von "Winter Storm", dem neuen Album von Ensiferum. Die Platte basiert teilweise auf einem Fantasyroman des Bassisten Sami. Das ist aller Ehren wert, warum dann aber so ein langweiliges, liebloses Video produzieren? Die Band steht vor Schnee, der wie ein Powerpoint-Effekt aussieht, und irgendwer haut irgendwen mit dem Schwert. Die Spannungskurve bleibt kerzengerade, es gibt keinen Bezug zu einem der Charaktere. Wäre das zu viel verlangt?

Vielleicht, dann macht aber bitte keinen Videoclip daraus! Allerdings, und das gehört zur Wahrheit dazu, können weder die Lyrics zu "Winter Storm Vigilantes" noch zu "Fatherland", beides fantasy-Songs. überzeugen. Harte Nordmänner gegen noch härtere Nordmänner, was Sami in Interviews mit noch mehr Genre-Klischees anreichert.

Doch zum Glück mussten nur Augen und Verstand Lebenszeit vergeuden, die Ohren werden ganz gut unterhalten. Das liegt zunächst daran, dass Keyboarder Pekka Montin nun schon zum zweiten Mal sein feistes, klirrendes Organ trällern lässt, eine willkommene und sauber ins Bandgeschehen integrierte Ergänzung. Wobei dies seine Rolle fast unzureichend wiedergibt: Über weite Strecken fühlen sich Ensiferum nun an wie eine Band mit mehreren gleichberechtigten Sängern (und ein paar schmachtenden Wikingern im Hintergrund). Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass besagte Single eine tief konservative, erwartbare Angelegenheit bleibt.

Band-Urgestein Toivonen schrieb alle Songs, abgesehen von "Fatherland", das Sami verantwortet. Der Folk-Anteil ist abgesehen von dem egalen Instrumentalintro "Aurora" tot, Ensiferum sind auf "Winter Storm" eine Melodeath-Band, deren melodischer Anteil den härteren dominiert. "Long Cold Winter Of Sorrow And Strife" imitiert die Single in der Abfolge verschiedener Genre-Versatzstücke, die nicht zuletzt dank der Fachkompetenz der Beteiligten meist gut zusammenpassen und sich selten weit vom Mid-Tempo entfernen.

"Fatherland" ´punktet mit einem energetischen Einstieg, ein Problem der Scheibe bleibt aber die emotionale Fallhöhe. Bereits in den ersten eineinhalb Minuten werden gefühlt 15 größtmögliche Emotionen aufgerufen, Götter beschworen, Schlachten geschlagen und Eide geschworen. Insbesondere in den choralen Passagen merkt man aber: Der Tiefgang fehlt. "Winter Storm" ist keine emotionale Kurve, sondern bleibt ein Strich. Ein Stück weit genreüblich, was aber nicht von der Pflicht entbindet, sich die so offensiv beschworene und in der Formalität der Musik herbeierflehte, inhaltliche Tiefe irgendwoher holen zu müssen. Das gelingt auf der glatten Produktion von Janne Joutsenniemi aber selten.

An den Vocals liegt es nicht, daran ändert auch Madeleine Liljestams Auftritt auf "Scars In My Heart" nichts. Wie schon der Opener atmen die Interludes "Resistentia" und "Leniret Coram Tempestate" den Geist einer Pflichtübung. "The Howl" baut zwar mehr chorale Passagen ein, der Song gerät allerdings schlicht zu lang für die vorhandene Menge an Ideen.

Mit seinen über achteinhalb Minuten ist "From Order To Chaos" ganz natürlich der Ankerpunkt des Albums. Hier geht die Formel deutlich besser auf: Die Band nutzt die Spielzeit für Atempausen - auch in der Tonalität, nicht nur der Atmosphäre, unterscheidbare Passagen und lange Bögen, die zur Dramatik passen. Das ist immer noch überhaupt nichts Ungehörtes, aber weit oben im Genre-Regal und richtig gute Unterhaltung. Der Closer "Victorious" hält dieses Niveau dank seiner Aggressivität sowie dem antreibenden Chor und hievt zusammen mit "From Order To Chaos" das Album auf überdurchschnittliches Niveau.

Trackliste

  1. 1. Aurora
  2. 2. Winter Storm Vigilantes
  3. 3. Long Cold Winter of Sorrow And Strife
  4. 4. Fatherland
  5. 5. Scars In My Heart (feat. Madeleine Liljestam)
  6. 6. Resistentia
  7. 7. The Howl
  8. 8. From Order To Chaos
  9. 9. Leniret Coram Tempestate
  10. 10. Victorious

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