laut.de-Kritik
Sprachgewalt und Arschtritte für den deutschen Gefälligkeits-Pop.
Review von Connor EndtZwei Jahre Zeit hat sich Julian Pollina aka Faber gelassen, um mit einem neuen Silberling um die Ecke zu kommen, aber: Das Warten hat sich gelohnt. Experimenteller und (noch) finsterer klingt der Schweizer dieses Mal.
Wie schon auf dem Debüt "Sei Ein Faber Im Wind" bildet die "Ouverture" den Einstieg und setzt zugleich die Atmosphäre, die in den nächsten 50 Minuten die Richtung bestimmt. Statt Bläsern gibt's dieses Mal melancholische Streicher, die unheilvoll kratzen. Und dann ist sie wieder da, diese Stimme die so klingt, als würde Julian Pollina jeden Tag seinen Lungen unzählige Selbstgedrehte zumuten und danach die Stimmbänder mit einem kräftigen Schluck Whiskey ölen.
"Highlight" ist sowas wie der bittere Blick zurück auf die eigentlich erst begonnene Karriere: "Ich hab mehr Highlight im Gesicht als im Leben" grummelt Faber und "Ich hab alte Freunde gegen falsche ausgetauscht." Dabei ist der Gesang so aufgenommen, als würde Pollina ein bisschen zu nah neben dir stehen und ein wenig zu laut mit dir sprechen. Überhaupt klingt der gesamte Song eher nach ausgebranntem Rockstar, der alleine mit dem Cocktail am hauseigenen Swimmingpool sitzt, als nach dem Jungspund, der Faber (immer noch) ist. Musikalisch balanciert die Band zwischen Piano-Ballade und Folk, wobei sich die Streicher vom Beginn wie ein roter Faden dezent im Hintergrund mitbewegen.
In der Heimat hat sich indes wenig getan, Zürich bleibt schön und teuer. Bereits mehrfach hat sich Faber in der Vergangenheit darüber ausgelassen, dass man in Züri einfach keine Wohnung bekommt. "Ich würd' gerne Immobilienhaie fischen aus dem Zürich See mit Dir" poltert er deshalb folgerichtig in "Jung und dumm" und regt sich auf über die Schweiz, wo "der Himmel immer grau" ist und die Straßen wie mit Gold gepflastert scheinen.
Was dann folgt ist der vielleicht seltsamste Song des Albums. In "Top" sprechsingt und nölt sich Faber durch die Strophen über eine Generation, die sich nur für Konsum und Oberflächlichkeiten interessiert. Später kommen dann die leisen, quälenden Zweifel: "Wenn ich trage, was der Teufel trägt, wird das dann auch in der Hölle genäht?" Statt Veränderung loopt sich am Ende aber nur die Melodie während Faber zahlreiche "Öööhs" und "Lalala's" krakeelt – ein echt schräges Stück Musik, das erst nach mehreren Hördurchgängen so richtig zünden will.
"Das Leben sei nur eine Zahl" schlägt in die gleiche Kerbe. Zu schwebenden Keyboard-Akkorden und Offbeat-Gitarre macht Faber wieder das, was er am besten kann: er schlüpft in verschiedene Rollen und wird zu jemand anderem. Und egal, ob du dich in die neueste Jacke hüllst, pumpen gehst, am Ende bleibst du doch "nur ne Nummer" für diesen Faber, der bei dem ganzen Zirkus mitmacht und gleichzeitig immer irgendwie über den Sachen steht. Auf Dauer wirkt diese Befindlichkeits-Lyric aber dann doch ein bisschen anstrengend. Millenials, Cupcakes, Social Media, klar kann man prächtig auf diesen Themen herumreiten. Zu wirklicher Wortgewalt gelangt Faber aber vor allem, wenn er andere Themen anpackt als die First World Problems anderer Menschen.
"Ihr habt meinen Segen" bildet ein absolutes Highlight der Platte und beweist, dass es sich gelohnt hat, dass Pollina in der Vergangenheit viel solo unterwegs war. Nur mit Akustik-Gitarre bewaffnet liefert er einen der eindringlichsten Songs. Die Zeile "Auch wenn es draußen regnet, und in Zürich regnets oft" wird mantrahaft wiederholt, während Faber wie ein stummer Beobachter in die Schicksale einzelner Menschen blickt.
Acht Stücke sind es bis hierher, eigentlich könnte man bereits einen Schlussstrich ziehen. Doch Schluss is' noch lange nicht! Ein "Intermezzo" läutet die zweite Runde ein. Das Cello beschwört Dunkelheit, die Geigenbogen zittern sich über die Saiten und nahtlos beginnt "Das Boot ist voll", der wütendste und kontroverseste Song auf "I Fuckiny Love My Life".
Einsame Streicher begleiten Faber auf seinem Schlachtzug gegen Wutbürger und Alltagsrassisten, Pianist Goran Koč haut ordentlich in die Tasten. Inhaltlich setzt er genau dort an, wo vor zwei Jahren "Wer nicht schwimmen kann, der taucht" aufgehört hat: "Das Boot ist voll, schrein sie auf dem Meer, das Boot ist voll, schreist du vor dem Fernseher." In den folgenden drei Minuten singt sich Faber in Rage, thematisiert brennende Flüchtlingsheime, die angebliche Lügenpresse und wendet sich vor allem gegen die "Ich bin kein Nazi, aber..."-Fraktion. Das Ganze endet im Chorus mit den Worten: "Besorgter Bürger ja, ich besorg's dir auch gleich. Wenn sich 2019, '33 wieder einschleicht." Der Song ist an Wut und (buchstäblicher) Sprachgewalt kaum zu überbieten und hat im Vorfeld ordentlich für Reibung gesorgt – nicht zuletzt wegen des Refrains, dessen Text für das Release nochmal deutlich überarbeitet wurde.
Ein drittes Interlude ("Coda") leitet schließlich zum großen Finale über. "Komm her" ist ein astreines Pop-Chanson mit Jazz-Anleihen. Zu einem getragenen Swing-Beat schmalzt sich Faber durch seine Verse und ein Saxophon improvisiert wild drauflos. Sein zweites Album schließt der Schweizer mit "Heiligabig ich bin bsoffe", sein erstes Lied auf Schwyzerdeutsch, das eigentlich bereits letztes Jahr an Weihnachten veröffentlicht wurde. "Es isch Wiehnacht, es fühlt sich a wie nachemne Sturz vonere Höchi" - das Textverständnis gestaltet sich als echte Herausforderung, aber netterweise hat der Musiker auf YouTube ein Video mit Untertiteln dagelassen.
"I fucking love my life" ist ein unbequemes Album voll bitterem Humor geworden. Viele Textzeilen erschließen sich erst beim erneuten Hördurchgang, zumal sich Faber gleich an mehreren Stellen auf Album Nummer Eins bezieht. Überhaupt weiß der Kerl schon lange, sich zu stilisieren: Auf dem Cover ist er abgebildet wie auf einem Paparazzi-Schnappschuss, weiß-goldener Stoff, Goldkettchen und Kippchen in der Hand, die Album-Lettern gleichen der Typographie einer Boulevard-Zeitschrift. Sarkasmus und Überhöhung lautet die Devise. Man muss ihn nicht mögen, aber sein neues Album ist ein gewaltiger Arschtritt für den Gefälligkeits-Pop, der hierzulande produziert wird.
5 Kommentare mit einer Antwort
"homo faber" war selten angebrachter
Vivaldi gehört?
Herrlich sind ja die ganzen Kommentare unserer blaubraunen Freunde unter dem Video zu "Das Boot ist voll".
Gutes Ding!
I lovingly fuck my Life wird der Titel meines nächsten Demos, wo dann eyehategod und noothgrush mit Akustikgitarre, Maultrommel und Mundharmonika nachgespielt werden. Und natürlich runenbetitelte hiddentracks, die eine Überraschung werden
Schöne Rezi, stabile Platte, kann man sich mal geben.