laut.de-Kritik

Dürfen Punks erwachsen werden?

Review von

Obwohl das letzte Album der eigenwillig benannten Politpunker bereits fünf Jahre zurück liegt, war es dennoch nur selten still um Feine Sahne Fischfilet. Beinahe zeitgleich zum Release von "Sturm und Dreck" (2018) erschien der vielbeachtete Dokumentarfilm "Wildes Herz", die Band tourte, spielte große Festivals und glänzte weiterhin mit ihrem Engagement für die gute Sache. Das jahrelange Arschabspielen und die allgemeine Omnipräsenz sorgten für ordentlich Abrieb, eine Auszeit schien unausweichlich und die Pandemie der richtige Zeitpunkt dafür. Sänger Jan 'Monchi' Gorkow verlor massiv an Gewicht, schrieb sich den schweren Weg von der Seele und gewann wiederum ganz neue Fans. Die Lesetour zum Buch wurde überschattet von mittlerweile gerichtlich für nichtig erklärten Missbrauchsvorwürfen gegen die Band, zeitgleich verließen zwei Gründungsmitglieder Feine Sahne Fischfilet.

Das sechste Album "Alles Glänzt" zeigt nun eine an allen Höhen und Tiefen gewachsene und vor allem gereifte Band. Die unbändige, ungestüme Wut der letzten Alben scheint weitestgehend verflogen und tritt nur noch gelegentlich in der ein oder anderen Zeile zutage. Auf den ursprünglichen, dreckigen Streetpunksound verzichten sie zum ersten Mal komplett. Sänger Monchi hat offenbar einige Pfunde Körpergewicht gegen eine wirklich angenehme Gesangsstimme getauscht, die ganz hervorragend mit der markanten Gitarrenarbeit des Neuzugangs Hauke Segert harmoniert.

Das aufgeweckte "Kiddies im Block" prangert die Zustände in den Wohnblocks Mecklenburg-Vorpommerns an und fällt direkt angenehm auf. Ein aufgewecktes Indieriff, ein angezerrter Bass und die stets präsente Trompete von Max Bobzin sorgen direkt für Auftrieb. Der Chorus geht direkt ins Ohr, die dezenten Ohohos sind gut platziert, und trotz des eher ernsten Themas ist die Laune mitnichten mies. Waschechten Ska-Punk, wie man ihn hierzulande wirklich nur noch selten antrifft, beschert uns "Komm Mit Aufs Boot", eine Liebeserklärung an die Ostsee. Hochmelodiös, tanzbar und gerade noch punkig genug, um nicht zu gefällig zu wirken, was nicht zuletzt an der ungewohnt glatten Produktion liegen dürfte.

"Diese Eine Liebe" lebt vor allem von leicht schepp-jazzigen Tönen und einer satten Portion Indierock, der auch ohne weiteres von den britischen Inseln stammen könnte. Wenn auch durch einige typische deutsche Popmusikphrasen inhaltlich etwas belanglos geraten, kann man unmöglich verhehlen, dass die Nummer auf die Festivalbühnen des kommenden Sommers gehört. Das ebenfalls nicht direkt tiefgründige "Wenn's Morgen Vorbei ist" besingt gut gelaunt das Leben an sich, die Freude daran und auch die dazugehörige Vergänglichkeit. Zum ersten Mal geht es musikalisch in Richtung zeitgenössischer Deutschpunk, was den Fischfilets schlicht und ergreifend am besten zu Gesicht steht. Hier wird mit der Bubble exzessiv gefeiert, da kann man schon mal auf Tiefgang verzichten.

"Gib Mir mehr" ist hektischer Indierock mit sehr schönen, melodiösen Hooks und coolen Shouts. Der Refrain wirkt anfangs ein wenig kantig, fügt sich aber nach einigen Hördurchläufen super ins Konzept des Albums ein. Mit Punk hat das eigentlich nichts zu tun, aber das macht absolut nichts. Das melancholisch-bittere "Wenn Wir Uns Sehen" handelt von Kapitän Dariush Beigui, einem Seenotretter und Freund der Band, dem trotz/wegen seines humanitären Einsatzes eine mehrjährige Gefängnisstrafe droht. Wenn Monchi mit seiner neu errungenen Singstimme "Geht es um 10, 20 oder 30 Jahre Knast, Dich quält nur, wie viele du nicht gerettet hast" singt, ist die Gänsehaut kaum zu vermeiden. Balladen können sie echt auch.

Heimlicher Hit auf "Alles Glänzt" ist die blütenreine Punknummer "Angst Zu Erfrieren", in der sich Monchi mit seinem Innersten und mit den täglichen Bedrohungen von außerhalb auseinandersetzt. Mit frischen und (im positiven Sinn) modernen Klängen wird hier die Trademark-Kutte entstaubt und erneut trotz ernstem Thema positiv und gut gelaunt mit der Selbstreflexion umgegangen. Das Spiel mit Lautstärke und Tempiwechseln macht den Song zu einem Höhepunkt des Albums. Gitarrero Hauke gibt mit "Tut Mir Leid" seinen kompositorischen und textlichen Einstand und beweist, dass sein Eintritt bei Feine Sahne Fischfilet sicherlich kein Fehler war. So erzählt er durchaus authentisch, wie er zur Musik gekommen ist und macht deutlich, dass er noch einiges zu erreichen gedenkt.

Das tieftraurige "Irgendwann" nimmt etwas den Schwung aus dem Album. Der Midtempo-Rocksong zündet nicht so richtig, obwohl sicherlich eine gute Story hinten dran steht. Macht auch nix, denn bevor sich das Album allmählich dem Ende neigt, schwingt "Pass Auf Mich Auf" noch ein letztes Mal die Punk-Keule. Da kommen Wut und Aggressivität zum Vorschein, das Gaspedal klebt am Bodenblech! Hymnische Gesänge und Hardcore Vibes zeigen erneut, wo Jungs herkommen und eigentlich auch hingehören.

Die schöne Halbballade "Tage Zusammen" scheint wieder ein sehr persönliches und intimes Thema zu behandeln, vielleicht schreibt Monchi über das Verhältnis zu einem Freund oder Verwandten, man kann trefflich spekulieren. Letztlich ist es dennoch unwichtig, da der Song auch ohne die Gewissheit Emotionen erzeugt. Das ist Kunst. Mit angezerrtem Gitarrenstakkato. Mit "Freaks Dieser Stadt" betreten die Herren aus Vorpommern wieder Neuland mit einem Song über ein Gelage, der keineswegs prollig oder stumpf daherkommt. Eher angenehm bunt und luftig, mit netten Anleihen von Beatsteaks oder The Clash. Als Schlussakkord kann sich das durchaus hören lassen.

"Alles Glänzt" ist ein mutiges Album. Die laut Verfassungsschutz einstig "gefährlichste Band Vorpommerns" ist mit rotzigem Punk groß und berühmt geworden. Ob der Wandel zum deutlich glatteren Indierock Bestand hat, bleibt abzuwarten.

Trackliste

  1. 1. Kiddies Im Block
  2. 2. Komm Mit Aufs Boot
  3. 3. Die Eine Liebe
  4. 4. Wenn's Morgen Vorbei Ist
  5. 5. Gib Mir Mehr
  6. 6. Wenn Wir Uns Sehen
  7. 7. Angst Zu Erfrieren
  8. 8. Tut Mir Leid
  9. 9. Irgendwann
  10. 10. Pass Auf Mich Auf
  11. 11. Tages Zusammen
  12. 12. Freaks Dieser Stadt

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11 Kommentare mit 70 Antworten

  • Vor 10 Monaten

    Ich fand die immer eher wegen ihrer Attitüde und den meistens eskalierenden Live-Shows gut. Die Platten boten hingegen eigentlich immer eher musikalische Hausmannskost, und wirkten gegenüber den Konzerten, als kämen sie mit angezogener Handbremse daher.
    Bei der neuen Platte steckt zum ersten Mal, wie man so schön sagt, Musik drin. Bereits bei den Shows im Vorprogramm der Hosen vergangenes Jahr schimmerte durch, dass Neuzugang Hauke gitarrentechnisch einiges mehr drauf hat, als sein Vorgänger, was sich jetzt auch beim Songwriting bemerkbar macht. Dazu noch Monchi, der offenbar kapiert hat, dass er nicht nur der Frontmann sondern auch der Sänger dieser Band ist.
    Eine klare Weiterentwicklung, ohne den bisherigen Sound aus dem Blick zu verlieren.

  • Vor 10 Monaten

    Mit dem Song aus dem Video hätte man auch bei Dieter Thomas Heck auftreten können.

  • Vor 10 Monaten

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.