laut.de-Kritik
So viel Wut? Das tut gut. Wortspiele? Mordsviele.
Review von Alex KlugIm Grunde ist es einfach: Ob man Fjørt liebt oder hasst, weiß man in der Regel schon nach wenigen Takten – spätestens aber, wenn hinterm Mikro der Mund aufgerissen wird. Mit drei von strapaziösen Stimmband- und Saiten-Malträtierungen geprägten Alben konnte sich das Aachener Post-Hardcore-Trio in der letzten Dekade eine treue Fanbase aufbauen. Beim Hören von Herzblutwerken wie "Kontakt" (2016) und "Couleur" (2017) völlig nachvollziehbar. Vielleicht ein bisschen zu nah beieinander, aber gut. Die Leidenschaft stimmt.
Die von Fans mit Sorgfalten beobachtete fünfjährige Albumpause beendeten Fjørt im August mit acht umfangreichen Shows unter dem Banner "Ein Tag. Alle Platten." Schon die Überraschungspremierezugaben "Lod", "Bonheur" und "Fernost" zeugten von erfolgreicher Weiterentwicklung des Fjørt-Sounds – vor allem mit Blick auf die gereizten Stimmbänder.
Die Diskografiekonzerte unterstrichen nochmals, dass sich technische Professionalisierung und clubshowwürdige Spielfreude sich im Hause Fjørt nicht ausschließen. Schon im Albumopener "Nichts" greift die Band tief in die Live-Trickkiste: Tiefes Rauscheintro, krachige Tribal-Drums, markante Schreie und da kommt auch schon Falsettgesang – stark, ist dann so gekauft.
"Diese Nacht fällt aus, es ist nicht zu überhören." Der lyrische Interpretationsspielraum bleibt zunächst einmal vage und sorgt für die nötig fremdartige Atmosphäre, die ein so programmatischer Albumtitel verspricht. Im weiteren Verlauf wird's dafür umso konkreter. In "Kolt" wütet Bassist und Sänger David Frings über die eigene Ohnmacht, aber auch Bequemlichkeit aller, die um Elend und Missstände auf diesem Planeten wissen – und in resignierender Lethargie genau gar nichts tun. Die an Sprechgesang grenzenden Strophenzeilen "Während ich verdammte Zeilen auf meinem Rechner neu sortier / werden in Nordkorea Menschen, weil sie denken, deportiert" gipfelt in einem simplen, aber schmerzhaft nachvollziehbaren Hardcoreausbruch der Worte "David / Fick dich".
"Wertes Grand Hotel van Cleef / ich würd so hellauf gerne texten / von ner Hoffnung die mich trägt" – ja, auch ihrer Labelheimat spiegeln Fjørt die wütende Ohnmacht nonchalant zurück. Und scheiße, die Hoffnungslosigkeit steht "Nichts" erschreckend gut. Ja, wir sind alle informiert, ja wir wissen Bescheid. Wem willst du damit 2022 noch den Kopf waschen? Ohnmacht ist, was bleibt. Das fühlt man dann schon sehr.
Es steckt viel Zeitgeist in diesem Album, gerade sprachlich – um noch einmal kurz bei den Lyrics zu bleiben. Im wunderbar post-metallisch schleppenden "Feivel" gelingt die Sache mit dem pointiert umgangssprachlichen Zungenschlag auch noch recht gut ("Derweil versuch ich zu sein / aber das auch nur nebenbei / man will ja noch was schaffen"), zwischendrin bräuchte es dann aber ein paar Mal den Reality-Check.
Je konkreter die Texte, je gefälliger der Gesang, desto gefährdeter das Gleichgewicht im Umgang mit der deutschen Sprache: Den rheinischen Zynismus in "Lakk" einmal beiseite gelassen – der Dauerbeschuss mit Wortspielen der Güteklasse "Alles in Schrot und Asche", "Kommt Zeit, kommt Sarg" und natürlich "Crème de la Scheißdrauf" geht auch an hartgesottenen Hörerinnen und Hörern nicht spurlos vorüber. Aber gut, so ist das eben mit Bands, die sich nicht als 0815-Hardcore-Phrasenschweine hinter durchrauschendem englischem Gefälligkeitsvokabular verstecken.
Die Message ist da – und weckt in ihren karnivorenfeindlichen Momenten ("Schrot", "Lakk") sogar abstrakte Erinnerungen an goldene Straight-Edge-Zeiten von Earth Crisis oder auch Maroon (wie gut waren die eigentlich in ihren wenigen deutschen Momenten?!).
Kurzen Aggrobrechern wie besagtem "Schrot" oder auch "Salz" steht aber eine ganze Handvoll – teils schon oben erwähnte – clever durchkomponierte, groovige Kracher gegenüber. Der auf früheren Alben allgegenwärtige Post-Rock bahnt sich hier erst im späteren Albumverlauf seinen Weg an die Oberfläche ("Fünfegrade"), stattdessen regieren immer häufiger auch die langsamen, tiefgestimmten Gitarren – für das abschließende "Lod" gibts dann auch verdientermaßen den Cult Of Luna-Vergleich als Gütesiegel.
Ja, es ist wahr: Der Sludge steht Fjørt anno 2022 tatsächlich besser zu Gesicht als die omnipräsenten Punk-Wurzeln. Das Schönste aber wohl ist, dass "Nichts" eigentlich keinerlei isolierte Referenzsongs je Genreeinschlag benötigt, sondern so homogen wie mitreißend daherkommt. Fünf Jahre des Häutens machen sich bemerkbar – und man ahnt schon: Manch neu gewonnene Schicht behält man als Trademark für die Ewigkeit – und manch unbequemes Korsett streift man am Ende einfach wieder ab. Aber machen wir uns doch nicht mehr Sorgen, als es die Welt nicht ohnehin von uns verlangen würde: Es wird schon spannend bleiben.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Instrumente und Sound sind ziemlich geil. Dafür ists ein ziemlich nerviges, dünnes Geschrei, wie so oft bei Frontleuten, die sich nicht zu singen trauen. Glenn Fricker würds verstehen. Begegnet mir auch meistens auf deutsch, sowas.
Stimmt, so auch bei meiner mir liebsten deutschsprachigen 'hardcore" (?) -Band The Hirsch Effekt. Da gibts es dann aber auch halbwegs gelungene Gesangspassagen.
Aber Vocals wie sie zB Code Orange abliefern sind mir noch nicht auf die Füße gefallen. Wobei die da mWn auch von der ganzen Band beigesteuert werden
Mir geht's wie Euch. Love A ist da auch so 'n Kandidat.
Schreckliche Vocals einfach.
Oh, was für eine nette Neuentdeckung für mich!
Seit ich die Band bei "EinTag-Alle Platten" kennenlernte, war ich nun schon mehrere Male bei diesen energiegeladenen Konzerten. Wenn David diese oft ziemlich pessimistischenTexte mit den vielen Wortspielen rausschreit, triggert mich das total und oftmals fühle ich mich "ertappt".
Ich hab da aber mal ne Frage:
Worauf bezieht sich der Text im Song Lod?
Ist "Lot" aus der Bibel gemeint? Würde meiner Meinung nach Sinn ergeben.