laut.de-Kritik
Eine überraschend bedrückende Platte.
Review von Franz MauererSupergrass konnten nicht widerstehen, selbst Doherty hielt Danny Goffey nicht beschäftigt genug, um die Reunion-Tournee zu verhindern. Dass diese mitten in Corona fiel, gönnt man den Briten gemeinerweise fast, immerhin kehrten sie ohne neues Material zurück. Stattdessen nutzt Gaz Coombes die Aufmerksamkeit, um sein viertes Studioalbum anzulanden: "Turn The Car Around". Sein drittes Werk "World's Strongest Man" war mindestens interessant, deshalb ist die Stimmung gut, wir drehen das Auto herum und bewegen uns mit hoher Geschwindigkeit auf die Platte zu, um direkt in die Zuglichter von "Overnight Trains" zu blicken.
Gottlob ist das kein allzu schneller Zug, ausweichen fällt leicht. "Overnight Trains" würde von jedem anderen als gelungener, tottrauriger Closer benutzt, Coombes haut den langsamen Klagemarsch samt Schmachtrefrain halt als Opener raus. Das Genre erfindet er nicht neu, dank klasse Gitarrenspiel und schönem Hintergrundgesang aber eine runde Sache. "Don't Say It's Over" löst die Handbremse ganz leicht, richtig fröhlich, der Songtitel verrät es schon, wird es aber nicht. Klavier, der psychige Loop und die Westerngitarre erschaffen eine schöne, getragene Atmosphäre, bevor "Feel Loop (Lizard Dream)" einen formidablen Groove rausholt.
Man bemerkt die Einflüsse seines Buddies Alex Turner und dessen Desert Rock-Faible; verbunden mit Britpop steht das Coombes recht gut, zumal sein überschäumendes Pathos die Versatzstücke beisammenhält. Das muss man mögen, das macht einem der Mann aus Oxford aber auch recht einfach. Seine Lyrics sind nicht das große Storytelling, aber auf eine angenehme Art bodenständig.
Zumal Ausfälle die Ausnahme bleiben: "Long Live The Strange" ist überhaupt nicht strange, sondern ein recht fader Supergrass-Gedächtnis-Stampfer, der straighter gar nicht sein könnte. Direkt danach versöhnt das schlicht toll geschriebene "Not The Only Things" mit dröhnendem Bass und souveräner, niemals langweiliger fünfeinhalb Minuten Spielzeit.
Der Titeltrack hätte es schwer nach diesem Song, wäre er nicht selbst so klasse: der erste befreit aufspielende Song auf dem überraschend bedrückenden Album. Das Bassspiel ist eine einzige Freude und irgendwie schafft es Coombes, seit "I Should Coco" konstant mehr Komplexität in sein Songwriting zu packen, ohne dabei an Schwung zu verlieren. "This Love" hätte Mac DeMarco gerne geschrieben, "Sonny The Strong" schleicht sich geschmeidig an wie ein Boxer im Ring, bevor einen die Gitarren vor Schönheit an die Wand nageln. "Dance On" ist dann zwar genau so eindimensional, wie jeder Song, der jemals so genannt wurde, schmälert den hervorragenden Eindruck aber nicht.
Coombes stemmt das Album im Prinzip alleine, bei der Produktion assistiert lediglich Ian Davenport, bekannt von seiner Arbeit mit Slowdive, Jesse Roper und Judith Holofernes. Was er sonst noch abgibt: einen Teil der Instrumente. Coombes' Soloschaffen war bislang von der Angst geprägt, wieder in Bandstrukturen zu verfallen, hier lädt er aber seine Livemannschaft, den empfehlenswerten Willie J Healey und Loz Colbert von Ride ins Studio. Der Bandcharakter tut "Turn The Car Around" gut, ohne dass Coombes jemals in den Hintergrund rücken würde.
Den Britpop hat Coombes langsam so weit ausgeleuchtet, dass er ihm jedes Geheimnis entrissen hat. Wir Fans freuen uns über jede weitere Britpop-Kerbe von Gaz. Aber nicht auszudenken, was möglich wäre, wenn Coombes seinen Einflüssen mal konsequent folgen würde. Dreh' die Karre um, Gaz, und gib Gas!
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