14. Mai 2018

"Ich wollte nie vom Supergrass-Erbe leben"

Interview geführt von

Der Albumtitel mag augenzwinkernd gemeint sein, in Sachen Selbstvertrauen aber macht Gaz Coombes dennoch keiner was vor. "World's Strongest Man", sein dritter Alleingang, überzeugt in Gänze. Mit Supergrass könnte es mittelfristig dennoch weitergehen.

Sprechen wir als Erstes über den Titel deiner Platte: "World's Strongest Man". Der stärkste Mann der Welt, wer ist das in diesem Fall?

Gaz Coombes: Das kann natürlich jeder sein, wobei es sicher auch ein Bezug zur aktuellen Lage ist. Dieser Typus - dominant, männlich, weiß - ist ja schon auch wieder ziemlich in den Fokus gerückt. Gleichzeitig bekommt er endlich Gegenwind und muss sich auseinandersetzen.

Nicht unbedingt der populärste Typ in diesen Tagen, trotzdem immer noch sehr erfolgreich.

Das stimmt leider. In diesem Fall spielt der Titel aber auch mit dem Album zusammen, das Themen wie Verletzlichkeit und Emotionen zum Inhalt hat. Auch die Frage, warum der stärkste Mann der Welt ...

... nicht auch einfach barfuß sein könnte?

Zum Beispiel. Der Titel, zusammen mit dem Foto, spielt natürlich mit einem Klischee.

Du hast zwei Töchter. Hast du für die beiden immer noch den "Stärkster Mann der Welt"-Status?

Ja, schon, ob ich das nun will oder nicht, aber ich bin nun mal derjenige, der oft sagt, wo es langgeht. Aber wir kommen klar, es sind großartige Kids.

Gibt es da schon Ansätze eines eigenen musikalischen Wegs?

Ein wenig. Meine ältere Tochter ist 14, sie mag das ganze Pop-Zeug, was läuft. Meine jüngere Tochter steht mehr auf die Sachen, die ich ihr vorspiele, sie mag die Klassiker lieber.

Hat sich durch das Leben als Vater dein Songwriting verändert?

Das kann ich nicht sagen. Ich bin eh von allem beeinflusst, was um mich herum passiert, und dazu gehört auch das Familienleben.

Du hast ein eigenes Studio zu Hause, arbeitest du nach einem festen Zeitplan?

Eigentlich nicht. Wenn ich in the zone bin, dann geht das nicht nach Uhrzeit. Dann muss ich einfach weitermachen und dem Gefühl, der Inspiration folgen. Oh, hier ist eine Idee - dann muss ich direkt versuchen, sie umzusetzen. Ich schreibe ständig, ich arbeite immer an Ideen.

Ist das manchmal einsam, gerade im Vergleich mit dem Kreativprozess zusammen mit einer Band?

Nein, gerade die Freiheit zu haben, um zu experimentieren und zu forschen, ist total aufregend. Ich genieße es außerordentlich, keine Kompromisse machen zu müssen.

Gab es davon früher zu viele?

Naja, du machst halt immer Kompromisse. Das ist cool, wenn es funktioniert. Aber wenn es nicht funktioniert, dann kann dich das schon ziemlich nerven.

"Frank Ocean, Hip-Hop und Krautrock"

In Sachen Einflüsse werden zur neuen Platte "Frank Ocean, Hip-Hop und Krautrock" genannt. Was hat es damit auf sich?

Also, ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wo das herkommt. Diese Bios sind ja immer etwas schräg, die brauchen halt was Griffiges. Dennoch - ich mochte beide Platten von Frank Ocean sehr, das stimmt auf jeden Fall. Ich mag den experimentellen Aspekt daran, weniger klassischer Hip-Hop als vielmehr das Übereinanderlegen von Klangstrukturen. Das gefällt mir, gerade bei einem Mainstream-Hip-Hop-Künstler. Hip-Hop ist sonst nicht so meins, aber dieser soundmäßige Ansatz hat mich schon inspiriert. Zudem sind meine Drumbeats sicher aus dieser Richtung beeinflusst.

Das ist in der Tat wahr. Ich habe immer wieder versucht, den Beat von "To The Wire" vom letzten Album zu knacken, aber ich konnte dazu nie richtig Luft-Schlagzeug spielen.

Das ist eine Art 7/8, nicht ganz einfach zu verfolgen.

Gab es ein Mission Statement, in welche Richtung es bei dieser Platte gehen sollte?

Im Gegenteil. Ich wollte die Ideen auf mich zukommen lassen, anstatt vorher etwas festzulegen. Die Platte sollte sich diesmal von selbst entwickeln.

Ist ein neues Album immer auch eine Reaktion auf den Vorgänger?

Auf jeden Fall. Ich merke zum Beispiel, dass es oft einen ganz bestimmten Song gibt, der die Brücke zur nächsten Platte bildet. Bei dem ich denke, dass ich in diese oder jene Richtung gern weitermachen würde. "The English Ruse" oder auch "20/20" waren so etwas wie ein Durchgang zur neuen Platte. Ansonsten gilt es, den Kopf frei zu bekommen, um etwas Neues starten zu können.

Fällt das manchmal schwer?

Nein, das ist cool. Ich liebe das, wenn du dich hinsetzt und die Dinge dann in Gang kommen. Ich liebe diesen 'Buzz', der dann ensteht.

Für "Matador" gab es überragende Kritiken, dazu Nominierungen, etwa für den Ivor-Novello-Award. Löst das Erfolgsdruck aus?

Nein, es geht letztlich sowieso darum, eine bessere Platte zu machen. Das ist ganz normal.

Das Solo-Debüt "Here Come The Bombs" klang noch deutlich nach Supergrass, davon ist mittlerweile, abgesehen von deiner Stimme, kaum noch etwas übrig.

Ja, es braucht seine Zeit, bis man herausgefunden hat, was man will, wo der Weg hinführt. Mit "Matador" habe ich so etwas wie meinen eigenen Ton gefunden, das war sicher die kreativste Phase meines Lebens bisher.

Hast du mal auf Parts verzichtet, weil sie dir zu supergrassy waren?

Nein, nie, im Gegenteil. Wenn es solche Parts immer noch gibt, dann ist das letztlich nur ein Beleg dafür, wie stark wir als Band waren, wie einprägsam. Zudem war das ja nicht alles von mir, das war ein Gesamtsound, mit den Backing Vocals zum Beispiel, die so charakteristisch waren.

"Der Brexit ist ein einziges Desaster"

Beim neuen Album habe ich das Gefühl, dass an jenen Stellen, wo zuvor immer noch mehr übereinander geschichtet wurde, es diesmal reduzierter zugeht. Das Drama ergibt sich oft aus den ruhigen Momenten.

Ich finde es wichtig, variabel zu sein, eben nicht den offensichtlichen Weg, den erwartbaren, einzuschlagen, sondern vielmehr überraschend zu bleiben. Manchmal sind es kleine Stellen, die den ganzen Song ausmachen. Nimm’ das Ende von "Waves", das sind zehn, fünfzehn Sekunden, meine Lieblingsstelle auf der ganzen Platte. Jemand anderes würde sagen, hey, das muss der Chorus sein. Ich finde es gut, das gerade nicht zu machen. Das ist für mich auch ein Statement, ein Zeichen von Selbstbewusstsein. Zu sagen, fuck it, ich habe diesen grandiosen Part geschrieben, aber ich belasse ihn als Miniatur.

Ist Reproduzierbarkeit auf der Bühne ein Faktor?

Nein, das mag in einer Band so sein, aber wie ich die Dinge alleine entwickle, das ist anders. Ich packe einfach dazu, was ich gut finde. Wie bei einem Bild, Schicht um Schicht. Dass muss raus, das ist die Art, wie ich schreibe.

Fällt es dir leicht, einen Schluss zu finden?

Ich glaube schon. Ich habe zudem gute Leute dabei. Ian Davenport zum Beispiel, mein Co-Produzent, ist ein wichtiger Faktor. Abgesehen davon kann ich gut loslassen. Wenn eine Produktion beendet ist, dann ist das für mich immer auch ein guter Schlusspunkt, fast erleichternd.

Und wenn er mal sagt, dass das vielleicht doch nicht ganz so gut ist?

Ich schreibe einfach nichts, das nicht gut ist! (lacht). Im Ernst: Es gibt Momente, da habe ich den einen oder anderen Part und frage dann Ian, in welche Richtung das gehen könnte.

"Pockets" klingt unüberhörbar nach Neu!, der deutschen Krautrock-Legende. Künstler wie Julian Cope oder auch Paul Weller haben zuletzt gezeigt, dass diese Musik in Großbritannien einen ganz eigenen Status zu haben scheint.

Ich mag das Nonkonforme daran, diesen Bruch mit traditionellen Strukturen, das Spiel mit den Sounds. Das ist immer etwas low-key, das schreit nie danach, auf irgendeiner fuckin' Major-Radiostation gespielt zu werden. Ich mag das sehr.

Hat sich das Touren im Zuge des nahenden Brexit für dich schon verändert?

Nein, noch nicht, aber klar ist das alles ein einziges Desaster. Da wird 30 Jahre lang an der Idee Europa gearbeitet und das dann so mir nichts, dir nichts eingerissen. Das ist Wahnsinn, ich bin immer noch schockiert von der ganzen Sache.

Wo siehst du dich selbst nach einer bereits unglaublich langen Karriere. Du warst sehr jung, als es mit Supergrass losging. Kannst du dir vorstellen, irgendwann auch wieder Teil einer festen Band zu sein?

Warum nicht? Für mich ist es wichtig, offen zu bleiben für alles. In Bewegung zu sein, sich weiterzuentwickeln, was auch immer das beim nächsten Mal bedeutet. Stillstand ist keine Option.
Es geht mir auch nie darum, vom klanglichen Supergrass-Erbe zu leben. Das treibt mich nicht an. Was mich antreibt, ist der Drang, immer wieder etwas zu schreiben, das mindblowing ist.

Dein Kumpel und Ex-Drummer Danny Goffey hat gerade eine neue Single veröffentlicht. Da dachte ich dennoch, ob ich deine Stimme bei den Backing Vocals wohl rausgehört habe.

Oh, ich bin gar nicht sicher. (lacht) Ich habe da einiges an Gesang beigesteuert, aber ich weiß gar nicht so genau, ob es nun bei dieser Platte war oder schon bei der davor.

In einem älteren Interview hast du vor ein paar Jahren auf die Frage nach einer Supergrass-Reunion geantwortet, die Leute sollten doch erst einmal Zeit haben, die Band auch zu vermissen. Also, ich für meinen Teil kann sagen, ich kenne da inzwischen einige Leute, mich eingeschlossen, denen Supergrass schon sehr fehlt.

Ähm, also…

Tut mir leid, dass ich das nun doch so explizit noch aufbringe…

Nein, das ist total okay. Wir haben ja auch über vieles andere heute schon gesprochen. Davon abgesehen: Wir sind nicht im Streit auseinander gegangen, wir hatten keinen wirklichen Bruch. Dennoch habe ich noch so viele andere Ideen im Kopf, die mich in Gang halten. Dinge, die ich erkunden möchte. Ich verstehe das natürlich, wenn Leute sagen, sie würden Supergrass gern noch einmal sehen. Und wenn wir irgendwann denken, das es wieder etwas Cooles gibt, was wir zusammen machen könnten, dann würde mich dem sicher nicht verweigern.

Gibt es Reunions anderer Bands, nach denen du dich sehnst?

Nicht wirklich. Nimm’ die Smiths, das war schon okay, es war alles gesagt. Die Stone Roses dagegen hätten nicht unbedingt noch einmal zurückkommen müssen, es war okay, so wie es war. In den meisten Fällen war es einfach richtig, sich aufzulösen. Alles hatte seine Zeit.

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