laut.de-Kritik
Alles vergeht. Dieses Album des Beatles nicht.
Review von Giuliano Benassi"Ich hatte nicht viele Stücke auf den Platten der Beatles. Also ging ich aufs Klo und ließ alles raus", erklärte George Harrison 1992 über sein erstes richtiges Soloalbum. Einerseits bewies er damit seinen Sinn für Humor, andererseits, wie angepisst er im Mai 1970 war.
Das Verhältnis zwischen dem Gitarristen und John Lennon/Paul McCartney war spätestens seit den Aufnahmen zum "White Album" 1968 mehr als angespannt. Während sich die Platzhirsche auf der Doppel-LP musikalisch austobten, durfte Harrison gerade mal vier Stücke beitragen, von denen einzig "While My Guitar Gently Weeps" eine dauerhafte Spur hinterließ.
Dass er als Songwriter durchaus etwas zu bieten hatte, bewies er bei den letzten gemeinsamen Aufnahmen der Beatles, die zu "Abbey Road" (1969) führten: Die Single "Something" erreichte Platz eins der US-Chart und galt einigen Kritikern damals als das beste Stück des Albums.
Als McCartney im April 1970 das Ende der Beatles verkündete, verlor Harrison keine Zeit: Er buchte einen Raum in den Londoner Abbey Road Studios, lud befreundete Musiker ein und verpflichtete Star-Produzent Phil Spector, der gerade aus der eher informellen, als "Get Back" bekannte Beatles-Session ein Album mit dem Titel "Let It Be" gemacht hatte. Ob sein Wall of Sound samt Streichern die Aufnahmen veredelten oder vollends verhunzten, ist nach wie vor nicht ausdiskutiert.
Spector wusste, wie er Harrison schmeicheln konnte. Der Gitarrist hatte ihn in sein 120-Zimmer-Anwesen namens Friar Park eingeladen, um einen Stapel an Demos anzuhören. Der exzentrische Produzent dürfte sich in dem neogothischen Gebäude wohl gefühlt haben und zeigte sich ob der Qualität des Materials begeistert.
Doch musste erst mal aussortiert werden. Den Opener stellte schließlich ein Stück, das Harrison mit seinem Freund Bob Dylan im November 1968 geschrieben hatte. Nach den frustrierenden Aufnahmen zum "White Album" hatte Harrison Dylan in dessen Haus bei Woodstock besucht. Der spätere Nobelpreisträger ließ sich neue Akkorde zeigen und trug ein paar Zeilen bei: "All I have is yours / All you see is mine / And I'm glad to hold you in my arms / I'd have you anytime", dichtete er. Harrison zeigte sich zufrieden, auch wenn er später zugab, eher auf etwas wie "Johnnie's in the basement, mixing up the medicine" (aus "Subterranean Homesick Blues") gehofft zu haben.
Mit dem folgenden "My Sweet Lord" handelte sich Harrison seinen größten Solohit ein. Und eine der längsten zivilrechtlichen Auseinandersetzungen in der Geschichte der USA. Inhaltlich versuchte sich der bekennende Hare Krishna an der Figur eines panreligiösen Gottes, den alle Menschen in sich entdecken können. So singt ein Chor im Hintergrund erst "Hallelujah", dann "Hare Krishna".
Das Problem: Musikalisch orientierte sich Harrison stark an "He's So Fine" der Chiffons, was ihm Ende 1970 eine Klage einbrachte. Das normale Prozedere wäre gewesen, Autor Ronnie Mack mit anzugeben und sich finanziell außergerichtlich zu einigen. Durch eine komplizierte Konstellation an Missmanagement (jener Allen Klein, der seinen Beitrag zum Ende der Beatles leistete) und der eher naiven Einstellung Harrisons, den Song höchstens unbewusst kopiert zu haben, zog sich das Verfahren in die Länge.
1976 verdonnerte ihn ein Gericht, einen Großteil der Einnahmen von Single und Platte in den USA als Schadensersatz zu überweisen. Das Verfahren ging jedoch weiter. 1981 wurde die Summe auf ein Drittel reduziert, doch bis zum endgültigen Abschluss vergingen weitere 17 Jahre. "Ich fühle mich nicht schuldig und habe auch kein schlechtes Gewissen. Das Stück hat vielen Heroinsüchtigen das Leben gerettet. Ich weiß, weshalb ich den Song geschrieben habe. Die positiven Folgen sind weitaus größer als der Ärger vor Gericht", erklärte Harrison 1979 dazu.
Hinter der einfach gestrickten, eingängigen Melodie steckten viele Stunden Arbeit. Wie gewohnt hatte Spector das Studio mit Musikern vollgestopft, um jene Wall of Sound zu erzeugen, die seine Produktionen ausmachen. Jedes Instrument war mehrmals belegt, alle spielten und sangen gleichzeitig, was den eigentümlichen, dichten Klang ausmacht. Zu den offiziellen Musikern, unter ihnen Eric Clapton, Bassist Klaus Voorman, Beatles-Schlagzeuger Ringo Starr und Organist/Pianist Billy Preston, gesellten sich unzählige andere, die in den Credits nicht auftauchten. Bei der Wiederveröffentlichung des Albums 2001 dankte Harrison auch Phil Collins, der offenbar dabei gewesen war. Wie auch Ginger Baker und Peter Frampton.
Auf das süßliche "My Sweet Lord" folgt "Wah-Wah", das als erstes Stück der Soloaufnahmen entstand. Laut und scheppernd, war es Harrisons Abrechnung mit den Beatles, entstanden während den frustrierenden "Get Back"-Sessions, in dem er den Gitarreneffekt einsetzen wollte, ohne auf Gegenliebe zu stoßen: "Now I don't need no wah-wah / And I know how sweet life can be / If I keep myself free".
"Isn't It A Pity" gefiel Harrison so gut, dass er es gleich zweimal aufs Album brachte. Wieder ein Stück über die Beatles (bereits 1966 entstanden), dauerte die erste Version sieben Minuten und war die B-Seite der Single "My Sweet Lord". In der zweiten, kürzeren, steuerte Clapton ein Solo bei. "Isn't it a pity, now, isn't it a shame / How we break each other's hearts and cause each other pain / How we take each other's love, without thinking anymore / Forgetting to give back, isn't it a pity", lautete die zentrale Aussage, zum Schluss begleitet von wilden Bläsereinlagen.
Harrisons ultimative Rache bestand allerdings darin, "All Things Must Pass" zum Titeltrack zu machen. Als er die nachdenkliche Ballade bei den "Get Back"-Sessions vorspielte, erntete er bösen Spott seitens Lennons und lehrerhafte Verbesserungsvorschläge seitens McCartneys. Mit Slide-Gitarre, Bläsern und Streichern gehört es zu Harrisons schönsten Stücken.
Auch das soulig fröhliche "What Is Life" entwickelte sich zu einem seiner beliebtesten. "If Not For You" hatte er in New York bei einer Aufnahmesession Dylans gehört und beschlossen, es selbst aufzunehmen. Die gemeinsame Version erschien erst 1991 auf Dylans "Bootleg Series Volumes 1–3", Harrisons und Spectors Version fiel melodischer aus als Dylans, die auf seinem Album "New Morning" (1970) zu hören ist.
Auch in "Behind That Locked Door" spielte Dylan die zentrale Rolle. Am 31. August 1969 trat er als Headliner beim Isle of Wight-Festival auf, sein erstes Konzert in Großbritannien nach der historischen Tour 1966 (die mit dem "Judas"-Ruf). Harrison schrieb das Stück, um seinen Freund aufzumuntern: "It's time we start smiling / What else should we do? / With only this short time / I'm gonna be here with you", sang er, begleitet von Country-meets-Hawaii-Klängen.
Auf dem Liebeslied "Let It Down" griff Spector besonders tief in seine Trickkiste, was dem Stück nicht unbedingt bekommt, wie die alternative, einfachere Version zeigt, die Harrison 30 Jahre später veröffentlichte. Die Ballade "Run Of The Mill" war neben "Awaiting On You All" und "Isn't It A Pity" Harrisons Lieblingsstück auf dem Album. Ein weitaus größeres Echo erzeugte jedoch das vertrackte, verträumte "Beware Of The Darkness", in dem Harrison von den Gefahren der materiellen Welt warnte und die Freude der spirituellen pries. Ein religiöses Lied wie "My Sweet Lord", doch dichter gestrickt und weniger ein Flirt mit den Charts.
Harrison war aber nicht immer so ernst. Das dylaneske "Apple Scruffs" etwa war seine Hommage an jene Harcore-Beatles-Fans, die stundenlang ausharrten, um ihre Idole kurz zu sehen. In "Ballad Of Sir Frankie Crisp (Let It Roll)" setzte Harrison dem Erbauer seines Anwesens Friar Park ein Denkmal und gab dabei eine Hausführung. In "I Dig Love" pries er die freie Liebe.
Bleischwer und überproduziert, wenn auch schon fast nach Disko klingend, kommt "The Art Of Dying" daher ("There'll come a time when all of us must leave here / There's nothing Sister Mary can do, will keep me here with you / As nothing in this life that I've been trying / Can equal or surpass the Art of Dying"). Eher nach Gospel klingt dagegen das letzte Stück, wieder mit religiösem Hintergrund. "Help me Lord, please / To rise above this dealing / Help me Lord, please / To love you with more feeling", so Harrisons abschließende Bitte, oder eher sein Gebet.
Viel Stoff, also. Zumal nur ein Teil der aufgenommenen Songs letztendlich auf dem Album landete. Einige nahm Harrison später noch mal auf, viele verstauben nach wie vor in den Archiven. Sein Freund Dylan hätte drei oder vier Studioalben daraus gemacht, Harrison entschied sich für ein 3 LP-Album, die dritte Scheibe ein Bonus mit Jam-Sessions, mehr oder weniger Variationen von Chuck Berrys "Johnny B. Goode", und originellen Titeln, in denen lediglich im Snippet "It's Johnny Birthday" Gesang zu hören ist. Angesichts der hohen Herstellungs- und Versandkosten für Vinyl eine Entscheidung, die nur ein Superstar wie Harrison durchsetzen konnte.
Der Erfolg gab ihm Recht. Alle vier Mitglieder der Beatles veröffentlichten 1970 Soloalben. Jahrzehnte später lässt sich sagen, dass Lennon mit dem existentialistischen, unter die Haut gehenden "Plastic Ono Band" der tiefgründigste Wurf gelang. Am besten verkaufte sich jedoch "All Things Must Pass", das als einziges die Charts in den USA und Großbritannien toppte.
Letztlich war es nur McCartney vergönnt, in den folgenden Jahrzehnten auch solo an die Erfolge seiner ersten Band anzuknüpfen. Harrison wurde bald zum 'Ex-Gitarristen der Beatles' abgestempelt, was ihm bitter aufstieß. Ende der 1980er Jahre gelang ihm mit dem Album "Cloud Nine" und den Traveling Wilburys ein erstaunliches Comeback, ein Jahr vor seinem Krebstod im November 2002 hatte er sich noch persönlich um einen schöne Neuauflage seiner bekanntesten Platte gekümmert.
Im Februar 2017 erscheint sein ganzes Oevre neu abgemischt auf Vinyl, inklusive "All Things Must Pass". "Ich mag das Album immer noch und bin überzeugt, dass die Songs den Stil überleben können, in dem sie aufgenommen wurden ... Nun würde ich sie von der dick aufgetragenen Produktion befreien, die damals angemessen schien", schrieb er 2001 im Booklet zur Neuausgabe. Um sich zum Schluss doch noch bei Phil Spector zu bedanken, der damals längst eher für seine Schrulligkeiten als für seine Produktionen bekannt war, aber noch nicht wegen Totschlags im Knast saß. "God bless you Phil, so Harrisons abschließende Worte.
Dass das Leben eine Reise mit Höhen und Tiefen ist, hatte Harrison bereits 1970 erkannt: "All things must pass / None of life's strings can last / So, I must be on my way / And face another day".
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit einer Antwort
yeah, was für ein schön fließender rubrikübergang. toller text für den in weiten teilen ewig unterschätzten, dritten beatle.
obwohl diese platte natürlich der klare meilenstein ist, empfehle ich zusätzlich jedem interessierten gern das hervorragende "Living in the Material World" (sein ultimatives hindu-album von 1973) und das bis heute umstrittene "Dark Horse" (1974).
George Harrison hat schon bei den Beatles tolle und prägende Stücke gemacht. Das mit dem 'unterschätzt' halte ich für eine lieb gewonnene Legende. 'All Things' hätte super als einfache LP funktioniert, so sind einige Teile davon teilweise unnötig bis unerträglich. Wie vieles andere danach auch. Ja ja, die Legendenbildung
Die Phil Collins Anekdote ist sehr witzig. Nachzulesen in seiner Biographie.
Harrison konnte sich später nicht wirklich an Collins' Beitrag erinnern. Nahm dann mit Ray Cooper eine total grottige Version auf und verkaufte es Collins als seins. Am Ende hat er den Hoax dann aufgeklärt.
Das Album ist ein absoluter Meilenstein. Ich habe grade Brainwashed und die Live in Japan aus der Vinyl Box rezensiert. Grade sein letztes Album ist genial.
"Spector wusste, wie er Harrison schmeicheln konnte. Der Gitarrist hatte ihn in sein 120-Zimmer-Anwesen namens Friar Park eingeladen..." das passt sachlich nicht, vermutlich die Namen vertauscht.
Die besten Songs der Beatlesalben, und da bin ich ganz bei mir, waren oft die von Harrison. Wobei er nicht durchgängig bei allen Songs den Standard der andere beiden halten konnte- Ok die waren auch zu zweit
sie waren eben nicht immer zu zweit..das ist eine Mär. Lennon/McCaartney haben sich geeinigt das immer beide Namen als Autoren angegeben werden, auch wenn nur einer den Titel alleine geschrieben hatte.
Siehe Yesterday..ein Song den McCartney alleine geschrieben hat. In den Credits auf der Single und dem Album ist aber als Autor angeben:Lennon/McCartney