13. Juni 2018

"Ein Konzeptalbum ist eine Kampfansage"

Interview geführt von

Zuerst die Liebe, jetzt die Angst: Konstantin Gropper nimmt sich unter dem Namen Get Well Soon nun wieder der großen Gefühle an – und schafft dafür ebenso große Arrangements. War das letzte Album noch eher im Bandsound verhaftet, lässt Gropper diesmal seiner Liebe zu Sinatra freien Lauf.

"The Horror" ist Groppers Crooner-Album geworden: Vielschichtige Arrangements, die sich bei mehrmaligem Hören erst so richtig erschließen, treffen auf dystopische Bilder, Albträume und Gedanken über den Status Quo der Welt. Auf "The Horror" fasst Gropper den Angstbegriff weit und schafft damit das vielleicht spannendste Get Well Soon-Album.

Wir trafen Get Well Soon zum Gespräch in Berlin.

Zuerst die Liebe, nun ein vielleicht noch präsenteres Thema: Die Angst. Wie kam es zu der Themenfindung?

Wie du sagst: es ist ein präsentes Thema, beinahe schon zu präsent. Es hätte sich aber nicht richtig angefühlt, ein Album zu machen, das gar nichts zu tun hat mit dem, was in der Gesellschaft gerade passiert. Deswegen bin ich relativ schnell auf dieses Thema gekommen: Weil das ein gemeinsamer Nenner ist für die Probleme, die wir gerade haben.

Auf "The Horror" hast du das Thema Angst breit gefächert: Es gibt die Albtraum-Trilogie und dann soziologische, philosophische Komponenten, Parallelen zur Jetztzeit. Im Eröffnungsstück geht es um Ruinen und konkret um den Gedanken, dass Ruinen überall gleich aussehen.

Die Ruinen, die ich meine, sind nicht die romantischen Burgruinen am Rheinufer, sondern dieses Horrorbilder, die im kollektiven Bewusstsein sind, aktuell aus Syrien. Das ist aber relativ austauschbar mit anderen zerbombten Städten. Bei dem Bild mit den Ruinen geht es darum, wie Geschichte funktioniert, nämlich in so einer Art Wellenbewegung aus Abriss und Aufbau. Darum, dass gewisse Vorgänge gerade einem Angst machen, weil sie einem bekannt vorkommen auf negative Weise. Ich glaube, darum geht es. Um Angst vor Geschichte. Dass es sich im Moment wieder so geschichtlich anfühlt, nachdem man lange dachte, es ist ruhig, passieren jetzt gerade wieder Dinge, die man nicht für möglich gehalten hat.

Du hast auch ein arabisches Lied aus dem Mittelalter in "Future Ruins (Pt. 2)" inkludiert. Die Geschichte der arabischen Welt, damals Kulturhochburg, heute für viele ganz anders behaftet, ist auch ein Thema, das du behandelst.

Das Stück ist aus dem zwölften Jahrhundert und stammt aus einer Zeit, in der die kulturelle Hochburg in der arabischen Welt war. Wissenschaftlich, philosophisch, aber auch von der Freizügigkeit der Gesellschaft. Was man jetzt gerne sagt ist, dass die jetzt im geistigen Mittelalter stecken. Die waren aber zu einer Zeit, in der wir im tatsächlichen Mittelalter gesteckt haben, schon sehr viel weiter als wir. Das ist eine interessante Geschichte, so richtig erklären kann man das bis heute nicht, was da alles zusammengekommen ist, dass dieses Reich so schnell untergegangen ist. Aber worum es eigentlich geht – es ist ja keine geschichtliche Abhandlung – ist, dass sich Geschichte so schnell umdrehen und ändern kann. Vielleicht nicht so schnell, es ist ja 800 Jahre her. Das war der Versuch, einen Zugang zu finden.

Von den drei besungenen Albträumen ist ja nur der dritte rein körperlich, die anderen beiden sind auch mit historischen Hintergründen versehen.

Ja, das stimmt. Wobei ich die schon auch etwas in diese Richtung gedreht habe. Die waren in ihrer Reinform, wie ich sie tatsächlich geträumt habe, jetzt nicht so auf Aktualität bezogen. Aber es stimmt schon, der letzte ist so der, den ich mir auch nicht richtig erklären kann.

Führst du Traumtagebuch?

Nein, leider nicht. Das sollte ich eigentlich tun. Aber selbst wenn ich das tun würde, ist es so, dass in dem Moment, in dem ich aufwache, ich mich sowieso fast nie daran erinnern kann, was ich gerade geträumt habe. Von daher war die Auswahl gar nicht so groß. Drei sind es geworden, vielleicht sind es insgesamt sechs, an die ich mich überhaupt erinnern kann.

Einer davon ist ein apokalyptisches Survivor-Szenario.

Genau, wobei dieses Survivor-Szenario gar nicht in dem Traum vorkam. In dem Traum ging es darum, dass rund um mein Haus die Welt einstürzt und ich mir denke, was ich denn jetzt verpasst habe. Daraus habe ich dieses Survivor-Ding gemacht, oder dieses Prepping, was ja jetzt wieder en vogue ist. Dass die Leute sich Vorräte anlegen, sich Bunker einrichten, das finde ich schon interessant.

Das boomt zur Zeit doch recht stark, oder?

Das glaube ich auch, aber es gab ja auch schon immer diese komische Zombie-Szene. Das kommt alles aus dem Kalten Krieg, das war ein riesiger Markt. Was heute der Wintergartenmarkt ist, war damals der Privatbunkermarkt. Nun existiert ja die Angst, dass man an dem roten Knopf wieder einige verrückte Leute sitzen hat und nicht so recht weiß, was passiert. Ich bin da aber nicht so anfällig – ich habe keinen Bunker.

"Letztendlich ist es ja doch Popmusik"

Du gehst mit diesem Album den Gegenweg zum Eskapismus. Während in verrückten Zeiten – und in denen befinden wir uns ja zweifellos – viele empfinden, dass Popmusik ablenken sollte, exerzierst du Ängste durch.

Ein eskapistisches Album hätte sich nicht richtig angefühlt. Ich sage nicht, dass es der falsche Weg ist, jeder darf ja machen was er will. Für mich wäre es aber nicht der richtige Weg gewesen. Es war auch immer schon meine Art, mit Sachen umzugehen, dieses therapeutische Schreiben. Ich will mich damit ja nicht ablenken sondern etwas analysieren und dahin gehen, wo es weh tut.

In deinem Essay zum Album meintest du, es wäre dein humorvollstse Album.

Ich merke, je älter ich werde – nicht nur in Lebensjahren, sondern auch in Karrierejahren – dass mir Humor immer wichtiger wird. Ich glaube, dass das ohne diese Komponente nicht funktioniert. Ob das jemand anders auch lustig findet, weiß ich nicht – aber für mich ist es wichtig, dass sich das ganze nicht so ernst nimmt, gerade bei so ernsten Themen. Das führt dann in eine Ecke, in der ich mich nicht sehe. Letztendlich ist es ja doch irgendwie Popmusik.

Wo hast du das Album aufgenommen, wie war der Arbeitsprozess?

Der Arbeitsprozess war wie bei allen anderen auch, dass ich alleine anfange mit Themenfindung, Recherche und Fundus anlegen. Ich konstruiere am Rechner das Album zusammen, dann ist es erst mal fertig, aber synthetisch, alles ist als Noten aufgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt kommen die Gastmusiker dazu. Diesmal habe ich am Schluss fast gar nichts gespielt, da auf diesem Album hauptsächlich Instrumente sind, die ich nicht so gut spielen kann. Dann kommen Leute und spielen die Noten. Ich hatte auch großes Glück mit den Musikern, dass die so gut vom Blatt spielen konnten, das kam der Ökonomie der Sache sehr entgegen. Es kann sich ja kein Mensch leisten, so etwas im Studio zu erarbeiten. Das war schon sehr gut vorbereitet.

War das Endprodukt so wie dein Anfangsgedanke?

Es war schon sehr nah dran. Heutzutage kann man das ja sehr gut synthetisch nachbilden, eine große Überraschung war es dann nicht mehr. Wobei der Aha-Moment dann schon da war, wenn man das von echten Streichern und Bläsern hört. Das hat dann schon ein andere emotionale Tiefe, die man am Computer nicht bekommt.

Wie lange dauerten die Aufnahmen?

Der Arbeitsprozess hat ein halbes Jahr gedauert, nicht jeden Tag sondern mit Unterbrechungen. Die eigentlichen Studio-Aufnahmen dauerten nur sehr kurz, die Streicher zwei Tage, die Bläser haben es einzeln eingespielt, jeder an einem Tag.

Hast du eine spezielle Arbeitsroutine?

Ja. Dadurch, dass ich Vater bin, habe ich eh einen strukturierten Tagesablauf, kann damit aber sehr gut umgehen. Wenn's ums Arbeiten geht, bin ich sehr unromantisch. Ich setz mich um neun Uhr hin und weiß, ich hab von dann bis dann Zeit, und bis jetzt hat das immer sehr gut funktioniert.

Und du kannst auch gut davon ablassen?

Das auch. Ich muss mir schon eine Deadline setzen, an der es wirklich fertig sein muss, damit ich es loslassen kann. Das ist ja auch immer ein Problem gerade bei komplexeren Arrangements, das man hier und da was rum macht. Das ist aber, wenn die Musiker aus dem Studio raus sind, gar nicht mehr richtig möglich, insofern ist das schon gut, dass man sich mal entscheiden muss und sagen: So ist das jetzt.

"Ich gehe gerne überambitioniert ran"

Sehr präsent auf dieser Platte ist deine Liebe zu Frank Sinatra.

Ja, schon immer. Ich war schon immer Fan. Der Traum, so ein Album zu machen, den hatte ich schon länger. Diesmal hat es zu diesem Thema gut gepasst, weil es genug Tiefe und Doppelbödigkeit hat.

Du meintest, Sinatra hätte die besten Poparrangements.

Nun, ob es Pop ist, ist so eine Sache – aber die Arrangements sind schon sehr, sehr anspruchsvoll. Ich habe mir die Latte natürlich relativ hochgelegt indem ich sage: "Ich mache das auch". Aber ich gehe auch gerne überambitioniert ran. Das letzte Album war ja doch relativ bandmäßig, aber ist schon so, dass ich denke, dass das große Ensemble und das große Arrangement das ist, was ich am besten bedienen kann.

Muss man sich bei einer so komplex arrangierten Musik die Latte nicht zwangsläufig hoch legen? Dieses "Mal schauen, was passiert", würde das für dich überhaupt klappen?

Ich könnte das nicht. Ich kann nur konzeptuell arbeiten. Ich fange ein Album an, ich brauche ein Thema, ich muss mich reinrecherchieren, möchte alles möglichst genau rausfinden und wissen. Mich einfach mit einer Gitarre hinzusetzen und Songs zu schreiben, da weiß ich gar nicht, was dabei rauskommen würde. Ich weiß nicht, ob das zu einem Album führen würde.

Es muss gleich das gesamte Klangkonzept stehen?

Eigentlich schon ja. Das musikalische Konzept und das thematische Konzept ist schon wichtig, damit ich überhaupt anfangen kann.

Es gibt also nicht den Songkern, sondern immer gleich das ganzheitliche Drumherum.

Eigentlich schon, ja. Es gibt aber andersherum auch den Song-Test. Wenn der so komplex arrangiert ist, ist ein wichtiger Test für mich zu sagen: Ich hab nur ne Gitarre und spiele die Akkorde und schau, wie der funktioniert. Es muss schon ein Song sein, sonst würde er nicht aufs Album kommen.

Du hast gesagt, dass Sinatra und dich die Liebe zum Konzeptalbum verbindet.

Er hat jetzt nicht nur Konzeptalben. Den Sinatra-Songs kann man kein thematische Schwere attestieren. Aber er hat irgendwann schon angefangen, die Songs so zu kuratieren, dass die von der Stimmung zusammenpassen mussten. Das ist die Phase, die ich am interessantesten finde. In den 50er und 60er-Jahren gibt es tolle Sachen. "Only The Lonely", "Songs For Lovers", "In The Wee Small Hours Of The Morning", das ist so die schönste Phase für mich. Und natürlich ist das Konzeptalbum heute eine Art Kampfansage, weil das Album an sich in Frage gestellt wird. Aber ich gebe alles.

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