laut.de-Kritik

Das erste Album ohne Convertino und Burns alias Calexico.

Review von

"Stets zu spät und einen Tag hinterher, ich brauche noch ein Jahr, um wieder die gleiche Zeit zu erreichen", singt Howe Gelb zu Beginn des Openers "Classico". Dass seine Uhr anders tickt als die der meisten anderen Menschen, hat er seit den 80er Jahren unzählige Male bewiesen. Erfolg bringe mehr Probleme als Vorteile, pflegt er in Interviews zu sagen, und bleibt seiner Linie treu, das zu tun, was er für richtig hält.

Etwa, sich von seinen langjährigen Weggefährten John Convertino und Joey Burns alias Calexico zu trennen, weil die Harmonie untereinander verflogen war. Da die Drei das Grundgerüst von Giant Sand bildeten, stellt sich die Frage, inwieweit es sich hier um eine neue Platte der Band handelt. Aber letztendlich ist die Antwort egal. Giant Sand bringen sechs Jahre nach der Entstehung ihres wohl anspruchsvollsten Werkes "Chore Of Enchantment" eine neue Platte raus - für die eingeschworene Fangemeinde durchaus ein Ereignis.

"Is All Over The Map" bietet Gelbs üblichen wüsten Stilmix. In den ruhigen Opener bricht ein fieser Gitarrenklang ein, "Nyc Of Time" beginnt dagegen krachend und entwickelt sich zum Folk-Schrammel-Stück. Das chaotische "Remote" fängt nach Angaben Gelbs den Sound seiner Wahlheimat Tucson ein, wo es offenbar schlimm zugeht. "Flying Around The Sun At Remarkable Speed" klingt bis auf eingestreute Störungen fast wieder eingängig, "Cracklin' Water" ist nachdenklich und relaxt, "Fool" bringt nach kurzen Klaviereinlagen sogar gute Stimmung auf. Durch "Les Forcats Innocents" und "Napoli" weht ein leicht exotischer Flair.

Die Trennung von Calexico kommt in "Hood (View From A Heidelburg Hotel)", mit über sechs Minuten das längste Lied des Albums, explizit zur Sprache. "The way I'm feeling about the brotherhood has got me feeling down and up to no good. Brothers are not brothers anymore" heißt es da. "Feeling about the brotherhood has got me sitting here and feeling like Gordon Lightfoot" singt Gelb allerdings in der letzten Zeile, die dann doch für ein Schmunzeln sorgt.

Unter der Führung von John Parish (PJ Harvey, Eels) entstanden, wartet das Album mit einem besonderen Gast auf: Vic Chesnutt, der mit der dänischen Sängerin Henriette Sennenwalt noch einmal "Classico" wiedergibt. Gelbs Tochter Indiosa darf sich auf "Anarchistic Bolshevistic Cowboy Bundle" austoben (hinter dem komplizierten Titel verbirgt sich im wesentlichen "Anarchy In The UK" von den Sex Pistols). Mit "Ploy" folgt ein kurzer, klimperiger Abschluss.

"Is All Over The Map" lässt sich kaum mit Giant Sands anspruchsvollstem Werk "Chore Of Enchantment" (2000) vergleichen. Was nicht am Werk an sich, sondern an den völlig anderen Entstehungsgeschichte liegt. Die gute Nachricht lautet, dass sich Gelb - wie gewohnt - am eigenen Schopf aus dem Schlamassel herausgezogen hat und wieder die Notwendigkeit verspürt, in einer "festen" Band zu spielen. Das Ergebnis ist zwar durchwachsen, strahlt aber eine gewisse Zuversicht aus. Was bei ihm schon seit langem nicht mehr der Fall war.

Trackliste

  1. 1. Classico
  2. 2. NYC Of Time
  3. 3. Remote
  4. 4. Flying Around The Sun With Remarkable Speed
  5. 5. Cracklin' Water
  6. 6. Rag
  7. 7. Muss
  8. 8. Drag
  9. 9. Fool
  10. 10. Les Forcats Innocents
  11. 11. Napoli
  12. 12. Hood (View From A Heidelburg Hotel)
  13. 13. A Classico Reprise
  14. 14. Anarchistic Bolshevistic Cowboy Bundle
  15. 15. Ploy

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