laut.de-Kritik
Räubermusik aus den dunklen Winkeln der Straße.
Review von Holger GrevenbrockDüster, dystopisch, desillusionierend; so stellt uns Hafti sein Offenbach vor. Fanden sich auf seinem Vorgänger "Russisch Roulette" noch einige Party-Tracks zum Durchschnaufen, zieht er auf "Unzensiert" die Schlinge enger und enger um den Hals.
Schonungslos zeichnet der Offenbacher in seiner ihm eigenen überspitzten Sprache den vorbestimmten Weg der Unterwelt-Bewohner nach: "Es fing an mit nem Joint, danach kam die Nase/Heute hängt der Bruder an der Nadel/Erst schlägt man in die Fresse, danach trägt man Messer/Irgendwann ne Ballermann, aus ner Gasi wird ne Echte/Erst spritzt man sich Testos, danach Wachsis/ Danach in die Fotze und das Kind wird ein Spasti." Haftbefehl lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass sein Offenbach-Mathildenviertel nur den Weg Richtung Abgrund weist.
Seine Welt malt er in schwarz-weiß Bildern, die Rollen sind klar verteilt. Die Cops sind die Bösen, die Bänker die Gesandten des Teufels und die Bewohner des Mathildenviertels die Unterdrückten. Man könnte sich über die wenig differenzierte Herangehensweise aufregen, in der Hafti nicht davor zurückschreckt, krude Verschwörungstheorien heranzuziehen, um seiner antikapitalistischen Haltung einen Boden zu bereiten. Aber das bringt auch zum Ausdruck, dass Haftbefehl mit seiner Vergangenheit lange nicht abgeschlossen hat. Er, der den Absprung schaffte, schlüpft in die Figur eines Hängengebliebenen.
Gleich der Einstieg "Brudi Namens Fuffi" zieht den Hörer in eine Welt, in der Bares das Geschehen diktiert. Den Weg des Geldes zeichnet Hafti aus der Perspektive eines 50€-Scheins nach, der von oben nach unten gereicht wird. Seine wechselnden Besitzer entstammen verschiedenen Milieus, wie etwa der verschwitzte Bänker, der eine Prostituierte für ihre Dienste auszahlt, die gleich darauf zum Dealer eilt, um ihr mühsam Verdientes gegen Koka einzutauschen.
Ein paar Sätze genügen dem Offenbacher, den tiefen Graben zwischen Ober- und Unterschicht in zutiefst eindrückliche Bilder einzufangen. "069" ist so ein Beispiel, in dem es heißt: "Die Banken kratzen an den Wolken/ Ich mich am Yarrak, wie komm ich an Euros?". Ungefiltert findet seine Wahrnehmung Eingang in seinen Texten. Die rohen, direkten Lyrics treffen stets ins Schwarze und lösen beim Hörer ein Kopfkino der besonderen Art aus. Zeilen wie in "Golden Brown" drehen einem den Magen um: "Löffel heiß, Spritze hoch, ansetzen, ballern/Sie fliegen kurz hoch rauf in den All und/machen Urlaub im Weltraum, wollen landen doch fallen/ qualvoller Tod wie es meistens der Fall ist".
"Unzensiert" könnte sich gut und gerne als Album ausgeben, würde nicht der schwache Mittelteil eine tiefe Kerbe ins Gesamtbild schlagen. "Wo Ich Herkomm" ist nicht mehr als eine müde Aneinanderreihung des bereits Bekannten, gefolgt von einer uninspirierten Hook und unauffälligen Feature-Parts. "Depressionen Im Ghetto" gefiel noch als Single-Auskopplung, fällt allerdings im Vergleich zum Rest ein wenig ab. Grund zum Skippen liefert vor allem "Chabos", das einzig dazu dient seiner gleichnamigen Mode-Kollektion eine Werbe-Plattform zu bieten. Den Track hätte er sich sparen können.
Anders als Hafti, der sich zur Mitte der Laufzeit ein kleines Päuschen gönnt, haut Hofproduzent Bazzazian aka Benny Blanco wie schon auf "Russisch Roulette" ein Brett nach dem anderen raus und reiht sich spätestens jetzt in die absolute Top-Gilde der Hip Hop-Produzenten ein. Allein wegen des fulminanten Trap-Beats zu "Frisch Aus Der Küche", der zum Ende in ein wahres Dub-Ungetüm mutiert, zahlt sich das Eintrittsgeld aus.
Kurz ins Straucheln geraten fängt sich Hafti im Anschluss wieder. Das bereits erwähnte "Golden Brown" leitet das würdige Finale der Platte ein. Junkies, die nur noch für den nächsten Schuss leben, und Dealer mit fragwürdigen Prinzipien gehen eine unheilvolle Beziehung ein. Besonders Ziehvater Xatar läuft im Track zur Hochform auf: "Wundern uns über Blut in der Pisse/Es sind die Nadeln der von uns Unterdrückten/Junkies, mein China White/Der Kuss eines Engels, während ein anderer weint." Profit aus dem Leid eines anderen schlagen - die Thematik zieht sich durch das gesamte Tape, ohne dass die Figur Hafti sich der eigenen Verantwortung entzieht.
Wahre Storyteller-Qualitäten stellt der Babo in "Odyssee" unter Beweis, wenn er sein ambivalentes Verhältnis zur eigenen Herkunft thematisiert. Von den vielen Feature-Parts tut sich neben Xatar besonders Bausa hervor, der eine der besten Lines abliefert: "Ich weiss nicht, wer du bist, ich erkenn' es an dei'm Portemonnaie/ Ich nehm' die Scheine raus und mach mir einen Holiday".
Auf seinem Kreuzzug gegen die Banken und die Willkür der Polizei schwingt der Babo in "Hang The Bankers" ein letztes Mal die populistische Keule. Und wie! "Man hat unsere Seelen gelegt in die Hände von Mario Draghi" Das mag politisch hochgradig unkorrekt sein, doch Beat samt Refrain erweisen sich als wahre Genickbrecher und zeigt abermals, wie perfekt sich Beats und Lyrics ergänzen.
"Unzensiert" setzt den auf "Russisch Roulette" eingeschlagenen Wegs konsequent fort. Offenbach scheint noch düsterer, die Ungerechtigkeit noch präsenter und das Leben seiner Unterwelt-Bewohner noch hoffnungsloser. Hafti zeigt sich der Straße verbunden wie eh und je und beweist einmal mehr, das er zu den interessantesten Rappern der Republik zählt.
10 Kommentare mit 6 Antworten
... ich find's gut
besser könnte man es nicht beschreiben. toller review.
gute review! sehe das ganze sehr ähnlich
gelungene fortführung des 2014 eingeschlagenen wegs und die weitere und vorallem konstant breite zusammenarbeit mit blanco trägt erneut früchte wie bäuerinnen
der opener "Brudi Namens Fuffi" sorgt schon im alleingang für einen gänsehauterzeugenden start und schafft von beginn an eine packende atmosphäre, die an das vorgänger album mit leichtigkeit anknüpft
"Frisch Aus Der Küche" ist ein würdiger nachfolger von RR's "anna kournikova" im geiste und markiert mit seinem unglaublich hungrig-intensiven soundbild eines der highlights des albums, gerade zum ende hin entladen sich sämtliche aufgestauten energien in einem denkwürdigen beatgewitter mit satten bässen.
das sinnierende "Aus Hater Werden Fans" kramt moses p hervor, der zusammen mit einem souveränem hafti auf einem wirklich schönen und atmosphärischen (an "sie ist weg" von den fanta4) beat ansprechend und ohne stolperer oder dialektsauswüchse angenehm nostalgie neu verpackt vermittelt
die beiden skits strotzen trotz gleicher beats durch haftis aggressiven vortrag und der treibenden Soundkulisse nur so vor energie, sind in ihrer länge genau richtig und sorgen für einen noch runderen exzellenten start des ersten drittels des albums.
zusammen mit dem bekannten und sehr dynamischen "copKKKilla", dem düster-elektronischen "069", das das leben auf der straße in jedem ton lebt und dem minimalistisch-hypnotischen "Alles Dreht Sich" hält die scheibe das niveau auf einer derart hohen stufe, das mit ersten fillern zwangsläufig zu rechnen ist.
"Wo Ich Herkomm" bietet bekannte, mit features angereicherte streetattitüden und ein etwas bekannt vorkommendes, hartes beatkontrukt, das das nachfolgende "Depressionen Im Ghetto" mit gleichzeitig eintönig- wie eingängigen klängen im oldschool-stil nur konseqeunt weiterführt
verspielt im beat, routiniert im vortrag präsentiert sich "Rolle Auf Chrom", das wohl eine art fortsetzung zu RR's "Ich rolle mit meinem besten" darstellen könnte und recht unterhaltsam ist ohne an die klasse des "vorgängers" heranzureichen
die beliebige features von celo und abdi sorgen auch nicht für mehr zuspruch, bei den zweien scheint einiges an pulver verschossen zu sein
mit "Chabos", einem durch eine parade an formschwankenden features aufgeblasenen werbetrack für kleidung und dem etwas müden trapglockenfiller "Kalash" durchschreitet "unzensiert" seine talsohle. schlagartig bergauf geht es aber zusammen mit einem seltsam abgemischten xatar auf "Golden Brown, bei dem sich trotz treibenden beats der eindruck erweckt, dass da noch etwas luft nach oben ist
das storytellinglastige "Odysee" kreiert eine wunderbar eigene stimmung die durch die einprägsame hook seitens haftbefehls noch weiter bestärkt wird. auch die features sind passend und aussagekräftig
den schlusspunkt liefert das textlich etwas durchhängende "Hang The Bankers", das einen drückenden beat und ein etwas zu krudes olexeshfeature aufwarten kann
zusammengefasst kann man sagen, dass haftbefehl auf dem richtigen kurs ist und am RR-sound festhält, die ganz großen experimente aber nicht wagt. einige beliebige sounds und features sowie das unnötige werbematerial sollten beim nächsten mal aber wegfallen
4/5
Das Tape ist sehr gut geworden und unterscheidet sich imo schon recht deutlich von Russisch Roulette. Allerdings auch son Teil wo weniger mehr gewesen wäre. Hätte man es um ca. 3 Tracks gekürzt wäre es deutlich besser durchzuhören gewesen.
4/5 schon alleine wegen Zeilen wie oben in der laut Rezension. Wer hat in Deutschrap sonst so ne krasse Bildsprache wie Hafti?
Sehr Gute Scheibe. Schade das es sie nicht als CD oder Vinyl gibt. Diese Digitale Scheisse mag ich nicht.
Produktion deutlich rougher und düsterer als beim Vorgänger. Amtosphäre top. Features genial gesetzt. Der Junge Capo, sowie UFO gehn ab wie Sau, perfekt untermalt mit einem trapmonster sondergleichen. Xatar glänzt ebenso auf dem Boombapteppich, hervorragend. Copkkkilla prescht enorm wuchtig aus dem Boxen, was blanco da gezaubert hat sucht seinesgleichen, die Line "Man sagt Tränen sind..." kommt so krass auf dem Beat.
Mein absoluter Favorit ist aber die Kollabo mit Pelham, unfassbare Stimmung kommt auf. Ist auch der einzige etwas hellere Track aufm Album, sticht sehr heraus.
Einzige Schwachpunkte sind mMn Wo ich herkomm und auch die Posse Tracks Kalash und Chabos. Kann mit der Thematik des Outros auch nix anfangen.
Ansonsten, top. Nahezu perfekter Nachfolger zu Russisch Roulette.
Review geht meiner Meinung nach nicht weit genug. Unzensiert ist kein autobiographisches Werk und auch keine plumpe Gesellschaftskritik. Das, was hier als undifferenziert gemutmaßt wird, würde in einem literarischen Werk als messerscharf verzerrte Abstraktion - oder was auch immer, es geht um den Gestus - abgefeiert werden. "Schiebe Film auf Melodie". Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, und es ist ein verdammt guter Film geworden.
Einzig und alleine die Features wirken an manchen Stellen etwas schwach, aber tragen in gewisser Weise konträr doch wieder zu der Authentizität und Rohheit des Werkes bei.
5/5.
vollkommen richtig.