17. Oktober 2013

"Im Augenblick haben wir alle noch andere Jobs"

Interview geführt von

Wer sich in den letzten Jahren für Progressive Metal begeistern konnte, wird am Namen Haken nur schwerlich vorbeigekommen sein. Die Engländer sind die Shooting Stars der Stunde. Wurden ihre ersten beiden Alben schon positiv aufgenommen, überschlagen sich die Reaktionen angesichts des aktuellen Outputs "The Mountain" förmlich. Grund genug, mit den Herren aus dem Londoner Umland auf Tuchfühlung zu gehen.

Auf ihrer kleinen Herbsttour empfangen mich Ross Jennings (Gesang) im Rush-Shirt und Richard Henshall (Gitarre, Keyboard) in der Kneipe des Zentrum Altenberg in Oberhausen. Im Hintergrund mampfen hungrige Crew-Mitglieder ihr Abendessen und veranstalten einen Höllenlärm. Davon lassen wir uns aber nicht beeindrucken.

Euer Name wird etlichen unserer Leser nichts sagen. Deshalb fangen wir mit ein paar allgemeinen Fragen an. Erzählt mir doch mal, wie ihr euch kennen gelernt habt.

Ross: Richard und ich sind befreundet, seit wir sechs oder sieben Jahre alt waren. Wir haben die Band dann später mit einem dritten Kumpel von uns gegründet. Der spielt aber nur auf den Demos.

Richard: Wir waren auf derselben Grundschule, südlich von London. Unser erstes Demo haben wir 2007 aufgenommen. Dann sind Sensory Records auf uns aufmerksam geworden.

Ross: Unterwegs haben wir dann noch ein paar andere Bandmitglieder aufgegabelt.

Thom (MacLean, Bass) verlässt die Band jetzt, habe ich gelesen?

Ross: Ja, Thom ist an einem Punkt in seinem Leben, wo er seine Prioritäten verändern möchte. Wir wollen mit Haken mehr auf Tour gehen und Promo-Sachen machen, er möchte aber lieber anderen Dingen nachgehen, anderen Projekten und so.

Richard: Er ist eine Art Bruder für uns und außerdem ein technisch brillanter Bassist. Es ist nicht leicht für uns, aber wir respektieren seine Entscheidung natürlich. Er hat sich das auch nicht leicht gemacht.

Habt ihr schon einen Nachfolger?

Ross: Wir hoffen, dass wir in den kommenden Monaten Auditions abhalten können, aber momentan haben wir noch niemanden. Man muss da auf so viele Faktoren achten. Auf der menschlichen Ebene muss es stimmen, dann muss der Neue natürlich bereit sein, viel Zeit in die Band zu stecken. Und letztlich natürlich auch die fantastischen Bassparts von Thom spielen können, klar.

Ich gehe nicht davon aus, dass ihr von der Musik momentan leben könnt, oder?

Ross: Nein, im Augenblick haben wir alle noch andere Jobs. Ich bin freier Fotograf, Richard ist freier Musiklehrer an einer Schule. Irgendwie müssen die Rechnungen halt bezahlt werden. Haken finanziert sich aber selbst, wir machen da keinen Verlust. Hoffentlich kommt mit "The Mountain" etwas mehr Geld rein.

Richard: Die anderen arbeiten auch als Musiklehrer, das heißt, wir sind zum Glück recht flexibel und können auf kleine Touren wie diese gehen. Nach und nach wollen wir die Arbeitsstunden reduzieren und uns vollständig auf Haken konzentrieren.

Wer von euch ist eigentlich auf den Namen gekommen? Für deutsche Ohren klingt der ja sehr merkwürdig.

Richard: Als wir jünger waren, haben wir uns ständig getroffen und uns Geschichten und Figuren ausgedacht. Wir taten so, als seien die beispielsweise aus der nordischen Mythologie. König Haken! Wir sprechen den Namen für gewöhnlich englisch aus, aber die deutsche Aussprache gefällt uns auch. Und auf Holländisch heißt "haken" häkeln. Finde ich lustig. Ein internationaler Name quasi.

Ross: Ich finde momentan, dass die deutsche Aussprache am besten zum Namen passt.

Richard: Und zur Musik, wir haben jede Menge Hooks in den Songs. (lacht)

"Auf dem nächsten Album machen wir eine Rap-Einlage"

Wie seid ihr denn zum ersten Mal mit Prog in Kontakt gekommen? Das ist nicht unbedingt die typische Musikrichtung, die junge Musiker üblicherweise ausprobieren.

Ross: Das hat sich so ergeben. Es gab eine Zeit, da haben wir noch gar keine Gitarrenmusik gehört. Wir mögen unterschiedliche Stile: Soul, R'n'B, Rap, HipHop...

Ooookay, davon hört man bei Haken orginal nix. Vielleicht in der Zukunft?

Richard: (lacht) Ross ist ein guter Rapper. Auf dem nächsten Album machen wir eine Gangster-Rap-Einlage.

Ross: Später ging es dann aber über Indierock hin zu Metal, dann haben wir uns auch die Haare wachsen lassen, und hin zu technischeren Sachen.

Richard: Mein Vater hat viel Pink Floyd und Yes gehört. Das hab ich natürlich mitbekommen, als ich aufgewachsen bin. Es war immer schon da.

Ross: Irgendwann haben wir dann Dream Theater entdeckt, Devin Townsend, Pain Of Salvation. Das hat einige Türen geöffnet. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal "Awake" (Album von Dream Theater) gehört habe. Das hat mich sofort weggeblasen. Wir haben uns vorgestellt, wie es wäre, so eine Band zu sein. Speziell für unsere Fans in Deutschland und den Niederlanden ist das eine große Nummer, die stehen voll auf Dream Theater.

Richard: Wir haben auch schon zusammen auf demselben Festival auf der Bühne gestanden. Der Auftritt war wichtig für uns, seitdem bekommen wir viel mehr Aufmerksamkeit. Ein Haken mehr für unsere Checklist: mit Dream Theater spielen, einen Vertrag bei Inside Out bekommen, Weltbeherrschung, das übliche eben. (lacht)

Mögt ihr auch Musik abseits von Prog?

Richard: Klar. Wir hören ganz verschiedene Musikstile. Aktuell gefallen mir The Dear Hunter, die machen Indie mit einem Hauch von Prog drin. Karnivool aus Australien find ich auch super.

Ross: Ich hab mir gerade die neue TesseracT gekauft und mich damit beschäftigt. Hör mir aber auch immer noch gerne die alten Klassiker an.

Richard: Im Tour-Bus dominieren gerade Gentle Giant.

"Es geht um Kapitalismus und Gier"

Ein gutes Stichwort, um zu eurem aktuellen Album "The Mountain" überzuleiten. Fangen wir mit diesen Gentle-Giant-Teilen an. Ihr habt offensichtlich eine Menge Arbeit in die Gesangsarrangements gesteckt. Das unterscheidet euch besonders von anderen Progbands, denen das Instrumentelle immer näher zu liegen scheint. Legt ihr da besonderen Wert drauf?

Ross: Definitiv. Die Vocals auf unseren bisherigen Alben waren wahrscheinlich das schwächste Glied. Wir hatten uns explizit vorgenommen, das zu verbessern. Ein bisschen haben wir schon im Titelsong der letzten Platte "Visions" mit diesem Gentle-Giant-Gesangsgefühl rumgespielt. Live hat sich das noch weiterentwickelt, und davon wollten wir auf dem neuen Album mehr haben. Richard hat sich Zeit genommen und ein paar Teile für mich arrangiert.

Richard: Der Song, der in dieser Beziehung wohl raussticht, ist "Cockroach King". Generell ist der Gesang immer sehr wichtig, um die musikalische Erzählung voranzubringen. Wir haben auf dem Album ja erstmals so gearbeitet, dass jeder Texte geschrieben hat, um verschiedene Emotionen einfangen zu können.

Eure Texte auf dem neuen Album sind recht vage, was ich gut finde. So kann sich jeder seine eigene Interpretation eines Songs machen. Trotzdem wüsste ich gerne: Wovon handelt "Cockroach King"?

Richard: Es geht hauptsächlich um Kapitalismus und Gier. Der "Coachroach King" steht an der Spitze der finanziellen Nahrungskette. Der Protagonist der Geschichte strebt danach, möglichst viel Geld zu verdienen. Und als der das dann erreicht hat, merkt er, dass man Glück und Zufriedenheit nicht kaufen kann. Es ist eine sehr allgemeine Idee und spielt auch auf "The Great Gatsby" an.

Das Buch hab ich seit Ewigkeiten rumstehen, aber immer noch nicht gelesen.

Ross: Wir auch nicht, aber es gibt ja zum Glück Verfilmungen. (Gelächter.)

Richard: Der Text ist außerdem von Hunter S. Thompson inspiriert, aber eher auf einer abstrakten Ebene.

Ihr habt zu dem Song auch ein tolles Puppenvideo gedreht. Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen?

Ross: Das war die Idee von Charlie (Griffiths, Gitarre). Er sieht sich tagsüber jede Menge Fernsehen mit seinem Kind an und wollte gerne was mit Handpuppen machen, so Karikaturen von uns. Er hat eine Menge Zeit damit verbracht, die Figuren selbst zu basteln. Gedreht haben wir das Teil selbst. Charlie hat die Puppen gespielt und ich habe gefilmt. Ein bisschen Hilfe haben wir uns für Schnitt und Beleuchtung geholt - und jetzt ist das Video für ein paar Preise nomminiert worden. (lacht)

Und gab's da keine Probleme mit den Rechten? Es sieht doch sehr nach den Muppets aus.

Ross: Inside Out waren schon skeptisch, ob sie sich da keinen Prozess einhandeln. Aber die haben das dann durch einen Anwalt abklären lassen.

Richard: Es sind ja keine richtigen Muppets, mehr eine Art Hommage. Ein kurzer Gruß an diese Zeit.

Wo wir gerade bei Inside Out Music sind: Seid ihr zufrieden mit dem Label?

Richard: Wir sind quasi mit den Alben aufgewachsen, die auf Inside Out rauskamen. Es ist ziemlich surreal, jetzt mit so vielen von unseren Lieblingsbands auf dem gleichen Label zu sein. Ich könnte momentan wirklich nicht zufriedener sein. Wir sind alle aufgeregt, welche Möglichkeiten dadurch in den nächsten Jahren noch auf uns zukommen.

"The Mountain" wurde von Jens Bogren produziert, wahrlich kein Unbekannter in der Szene. Haben Inside Out den Kontakt hergestellt oder ihr?

Ross: Das kam gleichzeitig von beiden Seiten. Wir wollten gerne mit ihm arbeiten, weil wir seine Mix-Arbeiten für andere Bands mochten.

Richard: Zum Beispiel für Headspace, mit denen wir befreundet sind. Oder für Leprous, Devin Townsend, so viele tolle Künstler, die wir gerne hören. Bogrens Produktionen klingen immer so klar und voller Tiefe, das wollten wir auch haben.

Ross: Wir sind auch gefragt worden, ob wir mit Leprous touren möchten, aber leider hat das zeitlich nicht gepasst. Vielleicht klappt es in der Zukunft mal.

Mit "The Mountain" habt ihr für meinen Geschmack euren eigenen Stil gefunden. War das eine bewusste Entscheidung, weg von den Dream-Theater-Einflüssen und hin zu mehr Eigenständigkeit?

Richard: Wir versuchen, uns vorher keine zu großen Gedanken zu machen, bevor wir mit dem Schreiben anfangen. Dennoch wollten wir es dieses Mal etwas reduzierter haben und ein emotionaleres Album aufnehmen, mit einem etwas rauheren Feeling. Dazu passend haben wir ein einfacheres Artwork gewählt, mit einem starken, aussagekräftigen Bild. Aber wir haben die Musik nicht bewusst in irgendeine Richtung gedrängt.

Ross: Wir möchten uns auch nicht zu sehr wiederholen. Das Fantasy-Element in den Texten ist verschwunden und wir wollten das Album nicht mit einem großen Epos enden lassen. Also nicht schon wieder ein 25-Minuten-Song zum Schluss.

Stattdessen habt ihr mit "Somebody" aufgehört, einem großartigen Halbballade. Ich höre da einen gewissen Hans-Zimmer-Einfluss raus, besonders seine Musik vom "Inception"-Soundtrack.

Richard: Da liegst du richtig, das war eine große Inspiration beim Schreiben. Plus das Hauptthema aus "28 Days Later" von John Murphy. Ray (Hearne, Schlagzeug) hat sich das Ende vorgenommen und es mit vielen Bläsern arrangiert. Diese tiefen Frequenzen, genauso sollte sich das anhören.

Sind die echt oder kommen die aus dem Keyboard?

Richard: Die sind alle echt. Ray spielt Tuba an der Guild Hall School Of Music And Arts und hat das natürlich selbst aufgenommen. Er lebt in einem Haus voller Blasmusiker. Ich glaube, es sind zirka achtzig Spuren übereinander.

Ross: Ich hab mal eine Nacht in diesem Haus verbracht. Die machen ganz schön Getöse, irgendeiner spielt gerade immer eine Skala oder so. Die ganze Nacht durch. (lacht)

Richard: Wecker brauchen die jedenfalls nicht. Alle stehen um sechs auf und fangen an, zu spielen.

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