laut.de-Kritik
Ein Wechselspiel aus Intention und viel Taktgefühl.
Review von Jasmin LützDas Piano ist ein faszinierendes und vielseitiges Instrument. Musiker wie Nick Cave oder Damon Albarn spielen darauf herzerwärmende Balladen, Rapper Danger Dan bringt sich das Klavierspielen selbst bei und landet mit seinem Hit-Album 2021 in den Charts. Chilly Gonzales verbindet klassische Pianomusik mit modernen Hymnen und sehr viel Körpereinsatz.
Volker Bertelmann aka Hauschka lässt Tennisbälle, Kronkorken und andere Gegenstände auf den Klaviersaiten tanzen oder umwickelt und spannt die Hämmer mit verschiedenen Materialien (Leder, Filz). Ein kreativer Künstler, der sein Piano auch mal präpariert, um damit allerlei Sounds und Klänge neu zu vertonen. Hauschka wird auch als der deutsche John Cage bezeichnet, weil dieser bereits in den 1940ern als erster Komponist, diese avantgardistische Technik zur Verfremdung des Klavierklangs praktizierte. Aber auch Autodidakten wie Henry Cowell, der die Klaviersaiten zupfte oder daran kratzte (String Piano),inspirieren Hauschka.
So mancher Virtuose kratzt sich bei dieser Anwendung wohl eher am Kopf, aber Volker Bertelmann präsentiert damit seine ganz eigene Klaviermusik. Und die passt sowohl ins Konzerthaus als auch auf die große Showbühne. Zu hören sind diese Soundkreationen auf Hauschkas zweitem Album "The Prepared Piano" (2005). Dies erscheint wie sein Debüt "Substantial" (2004) auf dem Kölner Label Karaoke Kalk (Donna Regina, Roman).
"La Seine" beginnt mit einer langsamen Sightseeing-Tour durch das präparierte Klavierspiel. Mal ruhiger, mal leicht gehetzt vertont Hauschka die einzelnen Songstrukturen und erzählt zu allen zwölf Songs eine eigene Geschichte. In der Stadt ist immer viel los und somit werden die Noten auch im Straßenverkehr von "Traffic" wiederholend auf die präparierten Saiten gehämmert. "Twins" oder "Where Were You" sind kleine Balladen, gar nicht anstrengend, sondern eher anmutig und entspannt. Da zeigt sich auch sein Talent zum Komponieren von Filmmusik.
Klingt es oft wie ein komplettes Orchester mit Streichern und Bläsern ist das prominente Klangobjekt doch nur sein Klavier. Ab und zu begleitet ein Synthesizer oder E-Bass das berührende Stück. In "Morning" gesellt sich ein elektronisches Schlagzeug zum Solospiel des Pianos dazu. Ein Wechselspiel aus Intention und viel Taktgefühl.
Verspielte Wiegenlieder, die auch ohne Worte ("Kein Wort") funktionieren. Eine schwebende Geräuschkulisse, ausgelöst durch verklebte Klaviersaiten mit Gaffer-Tape und einem darauf gut platzierten Tamburin. Ein minimalistisches Spiel mit außergewöhnlichen Klängen und Klingeltönen, die man unbedingt auch einmal live bei einem Konzert erleben sollte.
"The Prepared Piano" fasziniert auch andere KünstlerInnen, und so gibt es 2007 eine Remix-Version des Albums namens "Versions Of The Prepared Piano" mit u.a. Barbara Morgenstern und Wechsel Garland.
Bei den Aufnahmen zu diesem Album und den folgenden dreizehn Veröffentlichungen dachte der in Düsseldorf lebende Künstler Hauschka sicherlich noch nicht daran, irgendwann einen Oscar für die beste Filmmusik in den Händen zu halten. Zwar hat er bereits einige Soundtracks u.a. für "Hotel Mumbai" (2018) und "Als Hitler Das Rosa Kaninchen Stahl" (2019) komponiert, seinen größten Erfolg feiert er jedoch erst 2023 mit der Musik zu Im Westen Nichts Neues. Weltweit verfolgen seine Fans zu Hause an den Bildschirmen seine sympathische Rede vor dem Publikum in Los Angeles. Kreuztal im Kreis Siegen (NRW), Hauschkas Geburtsstadt, gratuliert, und mit Sicherheit wird uns Herr Bertelmann schon bald mit neuen preisverdächtigen Kompositionen erfreuen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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